Ukraine-Russland-Nato: Situation und Auswege aus der Sackgasse

 

Das Erschreckende an der gegenwärtigen Situation in der Ukraine ist, neben der Möglichkeit, dass das gegenseitige Drohgebaren durch irgendeine nicht mehr zu stoppen scheinende Eskalation zum Krieg führt, noch etwas anderes: Das Drohszenario, das beide Seiten gegeneinander aufgebaut haben, gibt der Vorstellung eines neuen „großen“ Kriegs zwischen den Weltmächten Konturen. Es gibt allerdings keine militärische Lösung der Krise, daher braucht es erste Schritte, die sie deeskalieren. Der Bund für Soziale Verteidigung (BSV) hat in einem Papier wichtige Argumente und Fakten zusammengestellt und führt Vorschläge auf, die zur Überwindung der Krise von verschiedenen Seiten gemacht worden sind.

(Minden, 7. Februar 2022) Seit November 2021 wachsen die Spannungen in Osteuropa dramatisch. Russland hat 100.000 Soldat*innen nah der Grenze zur Ukraine zusammengezogen und führt verschiedene Manöver, unter anderem in Belarus, Mittelmeer und Nordsee, durch. Politiker*innen der NATO sprechen davon, dass Russland einen Angriff auf die Ukraine vorbereite. Auch wenn im Januar 2022 Gespräche in verschiedenen Formaten begonnen haben, scheint die Eskalationsgefahr noch lange nicht gebannt. Der Bund für Soziale Verteidigung (BSV), ein Fachverband für gewaltfreie Politik und konstruktive Konfliktbearbeitung, stellt dazu fest:

„Das Erschreckende an der gegenwärtigen Situation ist, neben der Möglichkeit, dass das gegenseitige Drohgebaren durch irgendeine nicht mehr zu stoppen scheinende Eskalation zum Krieg führt, noch etwas anderes: Das Drohszenario, das beide Seiten gegeneinander aufgebaut haben, gibt der Vorstellung eines neuen „großen“ Kriegs zwischen den Weltmächten Konturen. In Schweden patrouillieren Soldaten auf Gotland, die U-Boot-Flotten sind alarmiert, die Manöver finden in unmittelbarer Nachbarschaft zu der anderen Seite statt. Ein Krieg ist denkbarer geworden, als Möglichkeit näher gerückt, weil die Vorbereitungen auf ihn zugenommen haben und längst nicht mehr nur an den Tischen der Regierungen, der NATO und auf Truppenstützpunkten stattfinden. Wie auf Gotland werden sie allen Bürger*innen sichtbar – sofern diese nicht von den nicht enden wollenden Meldungen über die Coronapandemie so abgelenkt sind, dass sie sie nicht wahrnehmen wollen und können. Die – zugegebenermaßen kleinen – Friedensorganisationen in Russland und der Ukraine haben ihrer Sorge deutlich Ausdruck verliehen und geben beiden Seiten gleichermaßen Schuld an der Situation. Die Rüstungsvorhaben der NATO und der EU, von dem Bau neuer Flugzeuge zum Transport von Atombomben (F 18 oder F 35), den FCAS und die so genannten Modernisierung der Atombomben bis hin zu Drohnen, Marineschiffen usw., das Zwei-Prozentziel der NATO und so weiter finden eine Rechtfertigung in dieser Krise. Militärische Stärke, Abschreckung durch Atomwaffen, Aufrechnen der Truppenstärken und Waffentypen sind auf einmal wieder Diskussionsthema.

Es scheint, als ob die Politik selbst darüber bis zu einem gewissen Maße erschrocken ist – anders lassen sich die vielfältigen Gesprächsformate der letzten Wochen nicht erklären. Wir begrüßen die Aktionen aller Politiker*innen, die sich für eine solche Deeskalation einsetzen. Wir wiederholen: Nach unserer Überzeugung will niemand Krieg, und vielleicht gelingt eine Deeskalation durch die Diplomatie. Aber noch reicht das, was gemacht wird, bei Weitem nicht aus. Wir brauchen ein Umdenken weg von einer rein sicherheitslogischen Betrachtungsweise, die auf Waffen und Abschreckung setzt, hin zur Schaffung von gemeinsamer Sicherheit.“

Der Bund für Soziale Verteidigung (BSV) hat in einem Infopapier einige wichtige Argumente und Fakten zusammengestellt und führt Vorschläge auf, die zur Überwindung der Krise von verschiedenen Seiten gemacht worden sind. Einige dieser Vorschläge lauten:

  • Es gibt keine militärische Lösung der Krise. Deshalb braucht es erste Schritte, die sie deeskalieren. Beide Seiten sollten ihre Truppen von der Grenze zurückziehen und
  • ein Moratorium für Manöver in Osteuropa aussprechen.
  • Es braucht eine Fortsetzung der Gespräche auf allen Ebenen, von bilateralen Gesprächen über die OSZE, den Europarats bis hin zum NATO-Russland-Rat. Pax Christi weist darauf hin: „Für eine Verständigung zwischen Russland und dem Westen gibt es zahlreiche Formate, die unter Einbeziehung der Ukraine genutzt werden müssen. Die Charta von Paris aus dem Jahr 1990, die Achtung und Zusammenarbeit als Grundlage der gegenseitigen Beziehungen bestimmt und die jede Androhung und Anwendung von Gewalt gegen die territoriale Integrität von Staaten ächtet, ist dafür die Grundlage.“
  • Die europäische Rüstungskontrolle sollte auf allen Ebenen wiederbelebt werden (Intermediate Range Nuclear Forces Treaty ‑ INF, Vertrag über den offenen Himmel) und auch die Aufnahme von Gesprächen zur Abschaffung aller Atomwaffen, wie es im Atomwaffenverbotsvertrag vorgesehen ist.
  • Europa zur atomwaffenfreien Zone machen, indem alle Atomwaffenarten, auch Kurzstreckenraketen, abgezogen und abgerüstet werden.
  • Verzicht der NATO auf eine Aufnahme der Ukraine. Das Grundrechtekomitee weist zurecht darauf hin, dass „ein Beitrag zur Förderung der Sicherheit des Bündnisses – laut NATO-Vertrag Voraussetzung für die Aufnahme neuer Mitglieder –durch einen Beitritt der Ukraine nicht gegeben“ wäre.
  • Die Vereinbarungen von „Minsk 2“ müssen von beiden Seiten vollständig umgesetzt werden; dazu gehört auch die Durchführung von regionalen Wahlen in der Ostukraine.
  • Ein vollständiger Waffenstillstand, der von allen Seiten eingehalten wird.
  • Umsetzung relativer regionaler Autonomiestatuten, um eine Spaltung der gesamten Ukraine zu verhindern.
  • Stärkung der Zivilgesellschaft in der Ukraine.

Wir brauchen, so der Bund für Soziale Verteidigung (BSV), ein Umdenken weg von „sicherheitslogischer“, auf die Macht der Waffen und des Drucks setzenden Politik hin zu einem „friedenslogischen“ Verständnis von Sicherheit, die als gemeinsame Sicherheit die berechtigten Interessen aller Seiten in den Blick nimmt, die Menschheit nicht in „wir“ und „sie“ aufteilt und auf Gewaltfreiheit als einzigen nachhaltigen Weg zur Lösung von Problemen setzt. In der Friedensbewegung sollte darüber nachgedacht werden, welche Möglichkeiten des Protests und des Einflusses wir auf die Bundesregierung und die anderen beteiligten Regierungen haben. Es gibt inzwischen neben den Aufrufen schon einzelne öffentliche Protestaktionen und Veranstaltungen zu dem Thema. Aber im Moment sind die Stimmen derjenigen, die auf Aufrüstung, Truppenstationierungen und Abschreckung setzen, noch lauter als die zu Frieden mahnenden Stimmen.

ChristineSchweitzer

Dr. Christine Schweitzer ist Geschäftsführerin des Bund für Soziale Verteidigung (BSV).

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Das BSV-Informationsblatt „NATO-Ukraine-Russland: Situation und Auswege aus der Sackgasse“ steht über diesen Link zum Download als PDF bereit.