Das Merkelsche Narrativ zur NATO und den immer schlimmer endenden Kriegen seit 1990

 

Unsere Bundeskanzlerin ist bekanntlich eine kluge Frau, auch historisch beschlagen. In der Eröffnungsrede zur Beratung des Bundeshaushalts für 2020 am 27. November 2019 hat sie das Podium genutzt, auf den Gipfel zum 70. Geburtstag der NATO vorzubereiten, der am 3. bis 4. Dezember 2019 in London stattfinden wird. Die Hälfte ihrer Rede war der außenpolitischen Situation gewidmet, im Zentrum stand ein historischer Rückblick zur NATO, mit Schwerpunkt bei den 30 Jahren seit 1990.

Dieses historische Gemälde musste holzschnittartig sein. Die Kunst ist die der Narrativ-Bildung. Die Merkelsche Stilisierung ist lesenwert. Hier der Ausschnitt, den ich in voller Länge zur Lektüre empfehle:

Nach 1990 hat die NATO eine interessante Aufgabenzuteilung bekommen, eine interessante Zeit erlebt. Vielleicht sollte man darauf angesichts dieser 70 Jahre einmal kurz Rückblick halten:

Ende der 90er-Jahre kam die Frage der Erweiterung auf die Tagesordnung. Im Zusammenhang mit der ersten Erweiterungsrunde um drei Länder ist damals auch die NATO-Russland-Grundakte abgeschlossen worden. Ich weiß nicht, wer sich noch daran erinnert: Es war eine durchaus kontroverse Diskussion, ob die NATO erweitert werden sollte. Sie ist dann 1999, 2004, 2009 und 2017 noch einmal deutlich erweitert worden. Man hat 1997 im Vorfeld dieser Erweiterung die NATO-Russland-Grundakte abgeschlossen, die in Paris unterzeichnet wurde, die die Truppenaufstockungen in den neuen Mitgliedstaaten, also in den östlichen Staaten, limitiert hat, die verboten hat, dort Atomwaffen zu stationieren, und die die Anerkennung der damaligen Grenzen, die territoriale Souveränität, akzeptiert hat. Im Grunde war damit die Hoffnung verbunden, auch ein gedeihlicheres Miteinander mit Russland zu haben, als es dann tatsächlich der Fall war.

Ende der 90er-Jahre folgte dann das Eingreifen der NATO im Jugoslawien-Konflikt. Dies war aus meiner Sicht ein Beitrag dazu, dass es zu friedlichen Verhandlungen kommen konnte und der Ahtisaari-Plan damals genehmigt wurde. Die NATO hat sich bis heute als Ordnungsmacht auf dem westlichen Balkan etabliert.

Zu Beginn des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts, am 11. September 2001, kam es zum ersten großen terroristischen Anschlag, dem Angriff auf das World Trade Center. Der Begriff „asymmetrische Kriegsführung“ war damit in aller Munde. Damals ist zum ersten und einzigen Mal der Artikel 5 von den Vereinigten Staaten von Amerika innerhalb der NATO erfragt worden, die Beistandsverpflichtung. Der Beistand wurde auch gewährt von den Mitgliedstaaten der NATO. Wir haben das aus Überzeugung getan.

Seit dieser Zeit gibt es den Einsatz in Afghanistan, an dem sich Deutschland bis heute beteiligt. Ich weiß, was für schwierige Auseinandersetzungen das damals waren. Deshalb möchte ich einfach ein großes Dankeschön an unsere Soldatinnen und Soldaten sagen, die seit dieser Zeit dort Dienst tun – Peter Struck hat immer gesagt, unsere Sicherheit wird am Hindukusch verteidigt – und die das bis heute leisten.

Es kam dann zu keiner NATO-Mission beim zweiten Irakkrieg, als Europa gespalten war und wir zu keiner gemeinsamen Haltung kamen.

Das zweite Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts ist im Grunde geprägt durch zwei Entwicklungen: einmal den Arabischen Frühling und die Reaktionen darauf. Wir erinnern uns: 2011 – da waren wir nichtständiges Mitglied im Sicherheitsrat – gab es den NATO-Einsatz zur Flugraumüberwachung in Libyen. Deutschland hat sich damals enthalten. Das Mandat wurde überdehnt. Es war eines der letzten Mandate im Sicherheitsrat, die es gab. Russland hat sich seitdem selten wieder beteiligt, und der Sicherheitsrat ist seitdem ziemlich handlungsunfähig geworden. Wir haben damals gesehen, dass dieses Mandat überdehnt wurde, dass Gaddafi sozusagen verjagt wurde und dass in Libyen Instabilität ausbrach. Auch heute ist noch keine politische Lösung in Sicht.

Wir haben dann den Bürgerkrieg in Syrien gesehen. Dort hat die NATO nichts unternommen. Dieser Bürgerkrieg ist langsam, aber sicher zu einem Stellvertreterkrieg geworden. Wir müssen heute konstatieren, dass es die grausamste und die schlimmste humanitäre Situation ist, die wir seit dem Völkermord in Ruanda hatten: 500 000 Tote, 12 Millionen Vertriebene, die Hälfte davon Binnenvertriebene, die anderen sind Flüchtlinge außerhalb Syriens. Auch hier wartet eine politische Lösung auf ihre Realisierung,

Ich hebe Dreierlei hervor:

  1. In den 1990er Jahren noch konnte sich die NATO „als Ordnungsmacht auf dem westlichen Balkan etablier<en>.“
  2. Mit diesem Einsatz ohne UN-Mandat und dem NATO-Einsatz in Libyen, wo „Wir … damals gesehen <haben>, dass dieses Mandat überdehnt wurde, dass Gaddafi sozusagen verjagt wurde“, endet die Kooperation mit Russland im UN Sicherheitsrat.
  3. Die Konsequenz dessen, der Zerrüttung: „Bürgerkrieg in Syrien … <ist> die grausamste und die schlimmste humanitäre Situation …, die wir seit dem Völkermord in Ruanda hatten: 500 000 Tote, 12 Millionen Vertriebene …

Der nahegelegte Schluss daraus: Es muss wieder zu einem kooperativen Verhältnis mit Russland kommen. Diesen Schluss aber zieht die Kanzlerin nicht – den aber zieht Macron.