Der anstehende Übergang in den USA von einer oligarchisch geprägten Demokratie zum Autoritarismus

 

Der Gegensatz der Herrschaftsformen „Demokratie“ und Autoritarismus“ ist von der Biden-Regierung in den USA zum Schibboleth der globalen Allianzbildung gemacht worden. Das ist Identitätspolitik globalisiert. „Wir gegen die“ ist die schlichte “digitale“ Maßgabe. Nach innen geht der Ruf, die Demokratie zu „verteidigen“.

Dazu hat man zu fragen, was Demokratie ist, wie verschieden Demokratie in unterschiedlichen Ausprägungen funktionieren kann. Vor allem hat man zu klären, welche Mechaniken in den einzelnen Ausprägungen angelegt sind, dass Demokratie schließlich in einen neuen Zustand kippen kann, den man zu Recht als ein „Ende der Demokratie“ bezeichnet. Doch ob der Bekenntnis-Frage wird dieses spannende Thema zumeist in den Hintergrund gedrängt. Von Platon kann man dazu einiges an Anregungen erhalten: Er unterscheidet die drei quantitativ definierten Herrschaftszustände „Demokratie“, „Oligarchie“ und „Monokratie“ – die „Autokratie“ ist wohl als Oberbegriff zu „Oligarchie“ und „Monokratie“ zu begreifen. Die drei idealtypischen Herrschaftsformen sind für Platon keine stabilen Zustände, sie haben vielmehr in sich die Tendenz, revolvierend in den je nächsten Zustand überzugehen. Die Kräfte dafür setzt die jeweilige Herrschaftsform aus sich heraus frei beziehungsweise provoziert sie. Völkerrechtlich gilt übrigens: Jedes Staatsvolk hat das souveräne Recht, über seine Herrschaftsform frei zu entscheiden. Das gilt bis hin zum Recht auf gewaltsame Revolution, um im Zyklus der drei Herrschaftsformen den Übergang zur nächsten anzustoßen.

Um so etwas wie Platon behaupten zu können, braucht man eine dynamische Theorie von Demokratie, eine reine Beschreibung über Charakteristika reicht nicht aus – die allermeisten Texte politologischer Herkunft zur Demokratie-Theorie sind hingegen nicht dynamisch gedacht. Hier wird ein Text zu Zustand und Entwicklungsaussicht der labilen Noch-Demokratie in den USA zur Lektüre empfohlen, der an dieser Stelle anders ist.

Er stammt aus der Feder eines Experten für das US-Wahlsystem, von Thomas Greven (FU Berlin). Seine Expertise ist bezeichnend, die Mechanik von Wahlsystemen ist es eben, die Dynamik ins Spiel bringt. Und da es eine so große Vielfalt von Wahlsystemen in Demokratien gibt, ist die Dynamik maximal divers. Der Untertitel von Grevens Beitrag lautet: „über die autokratische Wende der Republikanischen Partei in den USA“. Eigentlich geht es in dem Aufsatz aber um das Ganze. Wenn nämlich die so, wie von Greven überzeugend diagnostiziert, gewendete Republikanischen Partei (GOP) im November 2024 beziehungsweise in den absehbaren Wirren danach die Herrschaft in Washington erringt, dann werden wir die „autokratische Wende in den USA“ erlebt haben. Trump als Person ist dabei nicht wichtig. Die in Europa gehegte negative Messias-Erwartung an den Großen Bruder jenseits des Atlantiks – wenn Trump geht, sei der Spuk vorbei – ist pure Illusion. Dass Europas sicherheitspolitische Kreise auf Trump schauen wie das Kaninchen auf die Schlange, ist nur das Ergebnis durch die Verführung der medialen Personalisierung. Nicht Trump ist die Kraft zum möglichen Herrschaftsform-Umsturz in den USA – er ist bei weitem kein Lenin. Er ist lediglich das Medium von Basis-Kräften, die in den USA herrschen und die auch andere Personen auf sich leiten können – an Kandidaten ist kein Mangel. Ein erfolgreiches Attentat auf Trump – als Vergeltung für den von ihm befohlenen Enthauptungsschlag gegen Soleimani steht das eh noch aus – würde am Lauf der Dinge in den USA und damit in der Weltgeschichte folglich nichts ändern.

Die ungeschminkte Wahrheit ist: In den USA ist ein Umkippen des überkommenen Zustands des Herrschaftssystems alsbald zu erwarten. Das wird von Greven lehrbuchhaft hergeleitet als dynamisch erwartbares Resultat des Wirkens von mehreren systemischen Eigenschaften.

Den überkommenen Zustand schildert Greven so. Bis etwa Mitte der 1990er Jahre herrschte eine politische Kultur in Washington, DC, die überparteilich agierte und die die Basis beherrschte – auch die republikanischen Senator*innen und Abgeordneten waren darin verstrickt. In welchem Sinne das demokratisch oder eigentlich oligarchisch/plutokratisch war, mag man unterschiedlich einschätzen. Jedenfalls war es eine stabile Herrschaftsform, mit der eine Weltmacht verlässlich agieren konnte – die Alliierten wussten es zu schätzen. Helmut Schmidt hat einmal gesagt, einmal im Jahr nach Washington reisen, mit Kissinger reden und dann mit Vertretern des Kapitols, reichte, um zu wissen, was von dort zu erwarten war.

Unter Führung des späteren Speakers Newt Gingrich gelang es, diese Verstrickung in die Washingtoner /New Yorker Oligarchen-Szene auf GOP-Seite teilweise aufzubrechen. Gingrich attackierte Republikaner, die nicht in ihren Wahlkreisen wohnten oder dort kaum Zeit verbrachten, was die sich erlauben konnten, weil diese aufgrund ihrer demographischen Zusammensetzung «sicher» waren. Konservative Medien, beispielhaft Rush Limbaugh, erkannten die Marktnische mit Drama-Unterhaltungswert, wiegelten die Basis in den Wahlkreisen gegen abgehobene, vor allem in Washingtons Club-Kultur verankerte republikanische Mandatsträger auf, wenn sie nicht das Unterwerfungs-Shibboleth sagten, welches Gingrich damals verlangte: Verweigerung von Kompromissen und Dämonisierung des politischen Gegners. Das kann man für eine „Demokratisierung“ qua verstärkter Repräsentanz des Volkes durch den Mandatsträger halten.

Ergebnis war tatsächlich eine stärkere Rückbindung der Abgeordneten an ihre Wahlkreise. Aber dieser Erfolg einer größeren Nähe zum Wähler hatte eine Kehrseite: die Polarisierung, die zu einer sozialen, kulturellen und politischen Entfremdung zwischen den Vertreter*innen der beiden Parteien führte – das Prinzip Konkurrenz kann auch überschießen. Persönlichkeiten, die durch den politischen Prozess gezwungen werden und trainiert sind, sich gegenseitig herabzuwürdigen wenn nicht zu hassen, werden kaum noch in der Lage sein, in Washington kluge Kompromisse auszuhandeln – es sei denn, sie sind professionelle Schauspieler, die Rolle und Leben jederzeit zu trennen vermögen. Hier liegen die Wurzeln des Anti-Establishment-Populismus, der inzwischen selbst im Kongress, unter Abgeordneten, zunehmend vertreten ist. Der Club-Charakter des Establishments in Washington ist auf eine abschüssige Bahn geraten, er geht zunehmend verloren. Die Alten Hasen geben entnervt auf und machen Platz für Neulinge, die die früheren Sitten nicht mehr kennen; und die in so großer Zahl neu zuströmen, dass diese Sitten ihre Prägekraft verlieren und die Neuen ihre eigenen neuen, eher plebejischen Sitten einzuführen vermögen.

Dr. Hans-Jochen Luhmann ist Senior Expert am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH.