
Bündnis Kindergrundsicherung räumt Mythen ab
Die Verhandlungen der Bundesregierung zur Einführung einer Kindergrundsicherung sind derzeit umfangreich Gegenstand öffentlicher Debatten, in denen immer wieder Mythen und Vorurteile zur Kindergrundsicherung und Armutsbetroffenheit kursieren. Diesen stellt sich das Bündnis Kindergrundsicherung mit einer Zusammenstellung von Fakten: So belegen seit vielen Jahren Studien immer wieder, dass Familien zusätzliches Geld vom Staat für ihre Kinder ausgeben, und es gibt keine belastbaren empirischen Belege, dass finanzielle Leistungen des Staates für Kinder nicht bei den Kindern ankommen. Derzeit sind in Deutschland fast drei Millionen Kinder von Armut betroffen oder bedroht – mehr als jedes fünfte Kind.
Asyl ist ein Menschenrecht: Appell von 53 Organisationen an die Bundesregierung zur Reform des europäischen Asylsystems
Im Vorfeld des Treffens der EU-Innenminister*innen am 8. Juni 2023 appellieren Menschenrechtsorganisationen an Innenministerin Nancy Faeser und die Bundesregierung, ihrer völkerrechtlichen und humanitären Verantwortung gerecht zu werden und ihren eigenen Koalitionsvertrag ernst zu nehmen. Sie zeigen sich irritiert über die Position der Bundesregierung zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS): „”Anstatt sich dem Trend der Entwertung europäischer Grund- und Menschenrechte und der Erosion rechtsstaatlicher Grundsätze entschieden entgegenzustellen, signalisiert die Regierung mit ihrer Position die Bereitschaft, diesen Weg, um jeden Preis mitzugehen.”
Hans-Jochen Luhmann
Kolumne und Lesetipps

64. Pankower Waisenhausgespräch: zum Krieg in der Ukraine
Ich habe gerade eine Empfehlung aus unserem VDW-Kreis erhalten, zu einem Vortrag: Vortragender ist Olaf Müller, Philosoph in Berlin (HU). Den Vortrag hat er gehalten bei den Pankower Waisenhausgesprächen. Es ist auch eine Hommage an die Göttinger 18, auch den Geist, den die damals insbesondere an der Universität Göttingen geschaffen beziehungsweise initiiert haben.
Lesetipp April 2023
Erdgas gibt nicht auf: Der Konflikt um die Heizungsanlagen-Verordnung 2023
Um den Text der Gebäudeenergiegesetz-Novelle wird seit kurzem in bizarrer Weise öffentlich debattiert. Die erste regierungsinterne Vorlage eines frühen Referentenentwurfs wurde an Zeitungen des Springer-Verlags gegeben, die daraufhin das Narrativ eines Grundsatzkonflikts in die Welt setzten. Strukturell scheint die FDP auf dasselbe Muster zu setzen wie bei der Verbrenner-Debatte bei Automobilen: Sie schürt die Erwartung, es könne auch in Gebäuden bei Heizungsanlagen mit Verbrennungstechnik bleiben, man müsse nur den gasförmigen Endenergieträger auswechseln.
Kolumne Mai 2023
Wie Finanzinvestor*innen Profit mit Arztpraxen machen
Eine Studie von Finanzwende Recherche zeigt auf, mit welchen Mitteln Finanzfirmen aufgekaufte Arztpraxen und Medizinische Versorgungszentren auf Profit trimmen: Häufig verschieben sie Schulden auf die übernommenen Einheiten, nehmen weitere Kredite für Zukäufe auf, verlagern Gewinne in Schattenfinanzzentren und kassieren für Kredite an die Praxen hohe Zinsen, mitunter im zweistelligen Bereich. Damit entziehe Private Equity dem Gesundheitssystem viele Gelder und drohe die Qualität sowie Versorgungssicherheit zu gefährden, warnt Finanzwende. Die Anzahl der Käufe von Arztpraxen und Medizinischen Versorgungszentren durch Private-Equity-Firmen stieg zwischen 2011 und 2021 von acht pro Jahr auf 140 pro Jahr.
“Schwarzbuch Krankenhaus”: Erfahrungen in Kliniken am Limit, im kaputt gesparten Gesundheitssystem
Eine Publikation der Rosa-Luxemburg-Stiftung zeigt, was “Pflegenotstand” in der Realität für Patient*innen und Pflegende bedeutet. Gleichzeitig soll das “Schwarzbuch Krankenhaus” auch Ermutigung sein, sich nicht mit den bestehenden Verhältnissen abzufinden, sondern aktiv zu werden: Da sind innerbetrieblich Betriebsräte und Gewerkschaftsvertreter*innen, die angesprochen werden können; und jede*r Betroffene kann Außenstehende wie etwa Behörden oder Medien informieren – ein Rechtsanwalt erläutert in einem Interview die entsprechenden gesetzlichen Regelungen und Fallstricke.
Nachhilfe für Christian Lindner: Attac übergibt Steuerkonzept für eine soziale und gerechte Steuerpolitik beim Deutschen Steuerberater*innenkongress
Seit den 1980er-Jahren wächst die Ungleichheit in Deutschland: Der Anteil der ärmeren Hälfte der Bevölkerung am Gesamtvermögen ist von fünf auf unter zwei Prozent zusammengeschrumpft, währenddessen hat sich das Vermögen der Milliardäre verdoppelt und das der wohlhabenden zehn Prozent ist kontinuierlich gewachsen. Attac hat ein alternatives und nachhaltiges Steuerkonzept für mehr Verteilungsgerechtigkeit entwickelt. Es enthält unter anderem Vorschläge für eine Dezentralisierung des Steuersystems, eine Neuordnung der Steuerverwaltung, eine Neuordnung der Steuern und Abgaben für Umwelt, Klima und Verkehr, eine einheitliche Finanzierung der Abgaben für das Sozialsystem und eine Weiterentwicklung des Steuerstrafrechts.
IPPNW-Weltkongress: Krieg, Klima und Gesundheit zusammen denken
Alle Mediziner*innen auf dem 23. Weltkongress der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges – Ärzte in sozialer Verantwortung (IPPNW) sind sich einig, dass ein globaler Kurswechsel dringend notwendig ist, um die katastrophalen Folgen eines Atomkriegs oder eines Umweltkollapses zu verhindern: “Wir haben vor Jahrzehnten gelernt, dass es keine medizinische Reaktion auf einen Atomkrieg geben kann. Jetzt lernen wir, dass unsere Fähigkeit, wirksam auf extreme gesundheitliche Notfälle zu reagieren, die durch vom Menschen verursachte Veränderungen des Weltklimas ausgelöst und vervielfacht werden, auf eine harte Probe gestellt wird. Darüber hinaus sind diejenigen, die den Auswirkungen der Klimakrise am stärksten ausgesetzt sind, häufig diejenigen, die nicht über die Mittel verfügen, um den Schaden zu mindern.”
Brot für die Welt veröffentlicht sechsten “Atlas der Zivilgesellschaft”: Unterdrückung der Zivilgesellschaft nimmt weltweit zu
2022 war ein Jahr des Protests: Im Iran gingen Frauen auf die Straße, in Brasilien protestierten Indigene gegen die Abholzung ihrer Wälder, in vielen Ländern demonstrierten Menschen gegen Misswirtschaft. Um das Engagement der Zivilgesellschaft zu verhindern, bedienen sich Regierungen unterschiedlicher Instrumente – von Einschüchterungen, Gewalt und Festnahmen bis zu Zensur, Desinformationen und restriktiven Gesetzen. Wer sich für Menschen einsetzt, die Schutz und Unterstützung am dringendsten brauchen, wird kriminalisiert, an der Arbeit gehindert oder bedroht; in der EU blockieren die Regierungen die Seenotrettung im Mittelmeer massiv.
»Du wirst noch an mich denken«
Das schwere Leben wird vermeintlich erträglicher gemacht durch Be- und Verurteilungen: “Wir beurteilen und verurteilen, schätzen gering oder schätzen wert, haben zu allem und jedem eine Meinung. So entstehen Härte und ein ewiges Ringen um Bedeutung.” Wäre das richtige Fazit zu sagen, dass das, was uns in der Erfahrung mit unseren Müttern quälte, nicht unbedingt etwas durch die Person Bestimmtes ist? Vieles an dem Umgang mit der nachwachsenden Generation war zeitbedingt, der Situation geschuldet und den Möglichkeiten, die diese Mütter hatten.
Top-Banken finanzieren weiterhin mit Milliarden den Ausbau fossiler Brennstoffe
Der 14. Bericht “Banking on Climate Chaos” listet drei deutsche Banken unter die 60 größten Finanzierer der fossilen Industrie weltweit. Nahezu drei Viertel der untersuchten Banken haben im Rahmen der Net-Zero Banking Alliance zur Dekarbonisierung ihres Portfolios Versprechen gemacht, die jedoch in den seltensten Fällen mit Ausschlusskriterien für fossile Expansionisten einhergehen. Existierende Richtlinien sind oft so vage, dass sie den Banken erlauben weiter Unternehmen mit massiven Expansionsplänen zu finanzieren; das trifft auch auf die Deutsche Bank zu.
Erfolgreiche bundesweite Aktionstage “Mobilitätswende jetzt!” setzten ein Zeichen gegen autozentrierte Verkehrspolitik
Lokale Initiativen, Klimagruppen und Umweltverbände haben sich in gemeinsamen Aktionen am Wochenende des 22. und 23. April 2023 für eine ernst gemeinte Klimapolitik und eine Mobilitätswende stark gemacht. Ziel war, die Politik – ob auf kommunaler, Länder- oder Bundesebene – zum Handeln aufzufordern und die Bevölkerung für das Thema zu mobilisieren; die Teilnehmenden forderten unter anderem die Förderung des Schienennetzes und des Radverkehrs, einen bezahlbaren öffentlichen Nahverkehr, ein flächendeckendes Tempolimit und den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen. Laut BUND betrug die Teilnehmerzahl allein in Hamburg etwa 1.000 Personen; die Straße “Lange Reihe” in der Innenstadt war während der Aktion für Autos und Busse komplett gesperrt.
Streckbetrieb der Atomkraftwerke war energiepolitischer Irrweg
Mit wochenlangen Ausfällen aufgrund von Wartungsarbeiten, der geringen verbliebenen Leistung, dem niedrigen Beitrag der Reaktoren zur Regelleistung und einer Atomstromproduktion, die bilanziell nur in den Export geht, leistet Atomkraft im Jahr 2023 keinen relevanten Beitrag zur Energiesicherheit. Die nach dem Abschalten der letzten Meiler wieder geführte Debatte um die Atomkraft schürt, losgelöst von jeglicher Faktenlage, nur Ängste. Alle Kräfte sollten sich auf den Weg zu einer Energieversorgung aus 100 Prozent Erneuerbaren Energien konzentrieren.
Studie im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums hält klimaneutralen Gebäudebestand in 2045 für möglich, wenn sofort gehandelt wird
Bundeswirtschaftsminister Habeck hat bereits bei seiner Eröffnungsbilanz 2022 eine Studie zur “Gebäudestrategie Klimaneutralität 2045” angekündigt, die nun veröffentlicht wurde. Die Autorinnen und Autoren fordern eine klare ordnungsrechtliche Strategie zum Ausstieg aus fossilen Heizgeräten (neue Öl- und Gasheizungen). Der Einsatz von Wasserstoff im Gebäudebereich sei weitestgehend zu unterbinden; Biomasse solle wegen der begrenzten Verfügbarkeit nur noch im Bestand zum Einsatz kommen, wenn keine anderen Optionen zur Verfügung stünden.
Mehr Demokratie e.V. zur vorgeschlagenen Wahlrechtsreform: Finger weg von der Grundmandats-Klausel!
Nach Ansicht des Fachverbandes Mehr Demokratie e.V. ist es vollkommen unnötig, bei einer Reform des Wahlrechts mit dem Ziel einer Bundestagsverkleinerung die Grundmandatsklausel abzuschaffen. Diese Regelung ermöglicht Parteien den Einzug in den Bundestag, wenn sie bundesweit die Fünf-Prozent-Hürde verfehlen, aber mindestens drei Direktmandate erringen. Zur vom Verfassungsgericht geforderten Reform des Bundestagswahlrechts hat Mehr Demokratie e.V. bereits vor der Bundestagswahl 2021 einen einfachen Minimal-Vorschlag gemacht, bei dem die Zahl von 598 Abgeordneten fest liegt: Der Vorschlag reduziert nicht die Zahl der Direktmandate, sondern steigert sie unter Beibehaltung des Proporz sogar erheblich.
Studie gibt erstmals systematischen Einblick in Auswirkung und Arbeitsweise der Finanzlobby in Deutschland
Gemessen an der Zahl ihrer Mitgliedsorganisationen und an den Budgets, die ihr zur Verfügung stehen, ist die Finanzlobby eine der einflussreichsten Lobbygruppen in Deutschland. Unter den 100 Organisationen mit den größten Lobbybudgets ist sie die am häufigsten vertretene Branche, noch vor der Autoindustrie. Allein durch das Verhindern der Finanztransaktionssteuer, durch den CumEx-Steuerraub und durch die Bankenrettung im Rahmen der Finanzkrise 2008 sind Schäden in Höhe von rund 341 Milliarden Euro entstanden – wenn eine Lobby derart unverfroren Gesetze und Regulierungsprozesse zum Schaden der Allgemeinheit beeinflussen kann, leidet darunter auch das Vertrauen in die parlamentarische Demokratie.
Die Hände in den Schoß legen und andere ungestört ihre apokalyptische Arbeit tun lassen? Im Gegenteil!
Andreas Losch und Frank Vogelsang haben ein faszinierendes Kaleidoskop kompetenter und sehr authentischer Stimmen zusammengestellt, die als informativer Gedankenaustausch zwischen Wissenschaft und Theologie gelesen werden können. Der Astrophysiker Heino Falcke zu den Debatten um den Klimawandel: “Eigentlich könnten die Kirchen die großen Verbinder sein, aber auch sie ziehen sich in ihre Milieus zurück, kämpfen mit ihren eigenen Problemen, stellen sich beleidigt in die Schmollecke, richten sich ein in ihrer Bedeutungslosigkeit, spielen eine Zuschauerrolle und keinen stört es mehr.” Hansjörg Hemminger legt dar, warum das sogenannte intelligente Design (ID) keine Naturwissenschaft ist und erinnert: “Die ID-Bewegung entstand nicht aus naturwissenschaftlichen Forschungen. Ihr Ziel war und ist die Durchsetzung eines protestantisch-fundamentalistischen Weltbilds.”
Umweltorganisationen und die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie fordern Investitionen in die klimagerechte Transformation aus der Krise
Unser Wirtschaftsmodell hat viel zu lange auf der einseitigen Abhängigkeit von billigen fossilen Importen basiert und uns verletzlich gemacht: als Menschheit, weil Kohle, Öl und Gas die Klimakrise immer weiter anheizen, und als Volkswirtschaft, weil unser Wohlstandsmodell erpressbar ist. Nur mit einer mutigen und entschlossenen Investitionsoffensive in erneuerbare Energien, die auch die Industrie, den Verkehr und die Wärmeversorgung von der Fessel der fossilen Energien befreien kann, können wir unseren Wohlstand sichern und zugleich die Klimakrise begrenzen. Künftige Generationen werden nicht durch eine strikte Schuldenbremse entlastet, sondern durch frühzeitige und faire Investitionen in saubere Technologien und Industrieprozesse, die das Land stabiler und unabhängiger gegen Krisen machen.
“Religiöse Vielfalt folgt wiederkehrenden Mustern”
Der Religionswissenschaftler und Theologe Perry Schmidt-Leukel legt einen neuen Vergleich der Weltreligionen Christentum und Buddhismus vor und kommt zu dem Schluss: „Die Betrachtung der internen Vielfalt beider Religionen widerlegt Klischees von absoluter Verschiedenheit.“ Die Beschäftigung mit einer anderen Tradition biete die Chance, Vergessenes der eigenen Religion wiederzuentdecken. In der anderen Religion begegne einem immer auch das Andere aus der eigenen Tradition; damit werde religiöses Blockdenken überwunden und wechselseitiges Lernen ermöglicht.
Rechte Christen instrumentalisieren Theologie für ihre Gesellschaftsordnung
Innerhalb der Neuen Rechten bewegen sich religiöse Gruppierungen, die ihre politische Meinung auch theologisch zu unterfüttern versuchen. Neurechte Christen inszenieren sich als Widerstand gegen eine moderne, plurale und individualistische Gesellschaft. Ihre Kritik an modernen Gesellschaften begründen sie etwa mit der Vorstellung von einer festen Schöpfungsordnung, dazu gehören neben dem klassischen Ehe- und Familienverständnis die ständische Gliederung der Gesellschaft und die Einteilung der Menschen in unterschiedliche Völker, fest verteilt über den Erdball; dies alles sei von Gott gefügt und damit unveränderlich.