Die Hände in den Schoß legen und andere ungestört ihre apokalyptische Arbeit tun lassen? Im Gegenteil!

 

Es begann mit der sinnlichen Wahrnehmung. Menschen beobachteten, wie die Sonne, wie der Mond, die Planeten und die Sterne regelmäßig über den Himmel zogen. Und ein lebloser Körper, der sich bewegte, musste von irgendetwas oder jemandem gezogen oder geschoben werden; oder er musste angeschoben worden sein, ein Himmelskörper genauso wie ein Felsblock oder ein Karren auf der Erde. Bis weit ins Mittelalter hinein fußten wissenschaftliche Begründungen in erster Linie solcherart auf qualitativen Argumenten, entsprechende Gegenargumente waren ebenfalls rein qualitativ. Die zugrundeligenden metaphysischen Annahmen dieser spekulativen Naturbeschreibung ‑ sie beschränkte sich sich nicht allein auf die Beobachtung der Himmelsphänomene, sondern umfasste die gesamte belebte wie unbelebte Natur ‑ gingen davon aus, dass die materielle Welt geistig-göttlich durchwirkt oder zumindest grundiert sei. Entsprechend waren wissenschaftliche Erklärungen von theologischen Betrachtungen durchsetzt und geleitet. Ansätze zu einer empirisch systematischen Forschung im neuzeitlichen Sinne fanden sich lediglich in der Alchemie und beim Brennen von Likören, also wo materieller Gewinn durch gezielte technische Entwicklungen und Weiterentwicklungen aus der Naturwissenschaft heraus winkte.

An der Wende zum 17. Jahrhundert dann suchte Johannes Kepler (1571 bis 1630) quantitative und daher mathematisch fassbare Strukturen zu finden, die der Welt allgemein zugrunde liegen. Sein Zeitgenosse Galileo Galilei (1564 bis 1642) hat zu diesem Zweck systematisch beobachtet und experimentiert. Mit Galileis Arbeit schälen sich neben direkt gewonnenen naturwissenschaftlichen Ergebnissen bereits wesentliche Punkte einer Theorie der Wissenschaften heraus. Etwa, dass eine Naturwissenschaft auf Empirie basiert. Daten werden systematisch gesammelt. Im Fall der Astronomie ergab sich das schon zu Galileis Zeiten in gewisser Weise von selbst, im Falle der Mechanik waren es zunächst systematisch durchgeführte Experimente, beispielsweise Galileis Versuche zum freien Fall beziehungsweise zur Bewegung auf einer schiefen Ebene. Des Weiteren haben Erklärungen durch Bezug auf etwas Göttliches keinen naturwissenschaftlichen Erklärungswert; die Naturwissenschaft sucht nach Erklärungen eben aus der Natur. Das bedeutet keineswegs Ablehnung der Religion. Heute noch genauso, wie zu Galileo Galileis Zeiten.

Und hier sind wir im Sammelband „Gottes Schöpfung und menschliche Technik“, herausgegeben von Andreas Losch und Frank Vogelsang. Die beiden Autoren haben 17 Beiträge zusammengestellt für diesen dritten Band ihrer Reihe „Theologie und Naturwissenschaft im Dialog“; Essays von Naturwissenschaftlern, Ingenieuren, Philosophen, Theologen unterschiedlicher Prägung sowie dem Journalisten Thomas Ramge und dem Religionswissenschaftler Michael Blume. Herausgekommen ist ein faszinierendes Kaleidoskop kompetenter und sehr authentischer Stimmen, die als höchst informativer Gedankenaustausch zwischen Wissenschaft und Theologie gelesen werden können.

Der Astrophysiker Heino Falcke, mit dem Journalisten Jörg Römer zusammen Autor von „Licht im Dunkeln ‑ Schwarze Löcher, das Universum und wir“, beschreibt anschaulich und ganz knapp die Entwicklung des Universums aus dem Urknall heraus, die Entfaltung von Leben auf der Erde bis zu den Säugetieren mit dem Menschen als „dominante Art in unserer Welt, die die Zukunft dieser Erde, die Zukunft ihres Biotops, die Zukunft ihres Klimas und ihr künftiges Aussehen bestimmt.“ Und Falcke sagt klar: „Ich sehe die Jugend, die für ihre Zukunft kämpft, aber durch unser aller Trägheit ihren Glauben an das Morgen verliert. Und ich sehe Menschen, die Hass und Angst verbreiten, um ihre Macht zu vergrößern, anstatt ein Netz der Liebe zu knüpfen.“ In diesem Zusammenhang schreibt er den Kirchen unmissverständlich ins Stammbuch: „Eigentlich könnten die Kirchen die großen Verbinder sein, aber auch sie ziehen sich in ihre Milieus zurück, kämpfen mit ihren eigenen Problemen, stellen sich beleidigt in die Schmollecke, richten sich ein in ihrer Bedeutungslosigkeit, spielen eine Zuschauerrolle und keinen stört es mehr. In Gottes Namen: Reißt euch zusammen und arbeitet zusammen! Ist die Zersplitterung unserer Gesellschaft heutzutage, auf die alle als Zeichen der Freiheit und der Emanzipation so stolz sind, nicht auch eine Form von Eitelkeit und Egoismus? Sind mittlerweile die eigenen Empfindlichkeiten schwerwiegender als die großen Probleme im Land und in der Welt?“ Und schließlich stellt er fest: „Gott hat uns an keiner Stelle dazu aufgefordert, selber die Apokalypse herbeizuführen. Gott verlangt auch nicht von uns, dass wir unsere Hände in den Schoß legen und andere ungestört ihre apokalyptische Arbeit tun lassen. Im Gegenteil: ‚Suchet der Stadt Bestes […]‘“

Die begeisterte Spiritualität, die sich in Heino Falckes Text widerspiegelt, findet sich ebenso greifbar in den Beiträgen der anderen Naturwissenschaftler zu dem Sammelband; ob nun der Physiker und Mathematiker Wolfgang Schreiner die „Theologie eines Naturwissenschaftlers“ entfaltet, Ernst Fischer in faszinierender Weise jeweils eine „ganz kurze Geschichte“ sowohl der Technik als auch der Medizin nachzeichnet oder der Geophysiker Robert S. White darüber nachdenkt, ob Nachhaltigkeit ein christliches Gebot sei.

Der im Juni 2022 verstorbene Hansjörg Hemminger hat ebenfalls noch einen Beitrag zu dem Band geleistet. Hemminger hatte Biologie und Psychologie studiert, sich im Fach „Verhaltensbiologie des Menschen habilitiert“; er war wissenschaftlicher Referent bei der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen gewesen und später bei der Arbeitsstelle für Weltanschauungsfragen der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Er war Autor mehrerer Bücher, eines davon trägt den schönen Titel: „Und Gott schuf Darwins Welt.“ Im vorliegenden Sammelband „Gottes Schöpfung und menschliche Technik“ legt er in einer Einführung für Nichtbiolog*innen dar, warum das sogenannte intelligente Design (ID) keine Naturwissenschaft ist. Er erinnert: „Die ID-Bewegung entstand nicht aus naturwissenschaftlichen Forschungen. Ihr Ziel war und ist die Durchsetzung eines protestantisch-fundamentalistischen Weltbilds.“

Unmittelbar vor Hemminmger kommt der Theologe Matthias Schleiff zu Wort. Auf der Tatsache aufbauend, dass Modellrechnungen zum stabilen Erhalt eines von Leben erfüllten Universums lediglich geringe Variationen bei den Zahlenwerten für die physikalischen Naturkonstanten zulassen, entwickelt er eine Argumention, die darauf hinausläuft, dass ein Schöpfer des Universums existiert. Dabei reiht Schleiff auf interessante Weise interessante Thesen aneinander, sollte sich an einigen Stellen allerdings deutlicher ausdrücken. Wenn er etwa schreibt: „Ein in der Naturwissenschaft gegenwärtig oft beanspruchtes Argumentationsmuster wird als ‚Schluss auf die beste Erklärung‘ bezeichnet.“, sollte er das schon auch aus der Wissenschaftsgeschichte belegen und einige Beispiele anführen. Und er sollte darlegen, was Naturwissenschaften unter „Hypothese“ verstehen und wie sie Hypothesen in einem komplexen wissenschaftlichen Erkenntnisprozess einordnen, namentlich mit Blick auf die Rolle der Empirie seit Galileo Galilei. So, wie Schleiff jetzt argumentiert, wird er Naturwissenschaftler*innen kaum überzeugen können. Aus rein physikalischen Sachverhalten heraus sucht er metaphysische Schlüsse zu ziehen. Vieles klingt dabei allzu sehr wie vorwissenschaftliche qualitative Argumentation, wenngleich Schleiff mit harten wissenschaftlichen Erkenntnissen hantiert. Möglicherweise bietet Schleiffs Text gerade daher einen guten Einstieg für konkrete Dialoge zwischen Wissenschaftler*innen und Theolog*innen.

Dr. Michael Wildberger.