Der Revolutionär im Staatsamt

 

Trump will die NATO verlassen, der US-Kongress versucht ihn am Rockzipfel zu halten

Der US-Präsident

Die USA werden seit Anfang 2017 von einem Herrscher regiert, von dem etablierte Kreise in Wasgington seit langem dafürhalten – und es auch öffentlich warnend geäußert haben –, dass er

  1. eigentlich ein Agent einer fremden Macht sei, im Auftrag des Feindes Russland agiere; dass er mindestens durch Russland erpressbar sei, weil die russische Regierung im Besitz all der kompromittierenden Unterlagen sei, welche im sogenannten „Steele-Dossier“ vom Hören-Sagen zusammengestellt worden sind;
  2. mental und charakterlich ungeeignet sei für das Amt, welches er ausübt; so bereits am 8. August 2016 in einem Beitrag für die NYT formuliert von mehr als 50 Sicherheitsexperten, die in republikanisch geleiteten Administrationen einstmals tätig waren. Ihre Hauptaussage: „Donald Trump is not qualified to be President and Commander-in-Chief.“ Damit stellten sie das Prinzip in Frage, dass jedermann, einfach so, ohne Prüfung seiner persönlichen Fähigkeiten, für das höchste Staatsämter kandidieren könnten sollte.
  3. gesundheitlich labil sei, da er mit seinem Übergewicht, den Schlafstörungen und dem Stress sowie dem daraus folgenden Zustand seiner Gefäße vermutlich hoch schlaganfall-gefährdet sei – das heißt die Nachfolge durch Mike Pence täglich eintreten kann, im schlimmsten Fall nicht in Nachfolge für einen verstorbenen Donald Trump, sondern für einen dahinsiechenden Präsidenten mit der formalen Aussicht auf Rückkehr ins Amt;
  4. ein moderner Nero sei, der nun nicht Rom brennen sondern die Institutionen der westlichen Welt, die seit 1945 aufgebaut worden waren, in Trümmern sehen will – der ihm verpasste Titel ist denn auch „Saboteur-in-Chief, not Commander in Chief;
  5. seine Abrissbirne, die schon etliche Institutionen in Trümmer gelegt hat, auch gegen die NATO zum Einsatz zu bringen gedenkt – dass dies sein Vorsatz sei.

Soweit die bedrohlichen Punkte im Modus der Fähigkeit und damit der Möglichkeit lediglich. Es gibt daneben das Faktische. Zunächst, was Trump bislang nicht gemacht hat: Es ist bekannt, dass die Republikanische Partei in den USA mit ihrer (programmatischen) Verankerung in den weißen Wählerschichten auf dem Land, also bildungsfern, angesichts des demographischen Wandels zunehmend strukturell (auf Bundesebene) mehrheitsunfähig wird. Die einzige Aussicht für sie besteht darin, die Option der Manipulation von Wahlen systematisch zu nutzen – eine Option, die bereits extensiv genutzt wird. Präsident Trump hatte kurz nach seinem Amtsantritt angesetzt, diese Option systematisch zu ziehen – und hat dann doch zurückgezogen. Er hat auf diese Option (über die bislang genutzten Möglichkeiten hinaus) verzichtet – bislang zumindest.

In Washington ist es Top-Thema: Wie die Institutionen der Gewaltenteilung und Ansätze kooperativer Außenpolitik retten gegen den Systemveränderer, der gegenwärtig die zentrale Schaltstelle der Macht besetzt hält? Meist wird auf „abwarten“ gesetzt – Zielpunkt des Aushaltens ist die nächste Wahl, in 2020. Auf die Variante, dass er vorzeitig zu Tode oder zur Amtsunfähigkeit kommt, wird wenig gesetzt – die Wahrscheinlichkeit dafür ist aber objektiv recht hoch.

Faktisch positiv gilt: Der amtierende Präsident der USA hat sich kürzlich entschieden, in seinem Land eine konstitutionelle Krise zu provozieren, indem er das Haushaltsrecht des Parlaments beiseite schob und sich die Verfügung über die Finanzmittel anmaßte – ein Vorgang, der in der neueren Geschichte schon des öfteren zur Revolte eines Parlaments gegen den sich absolutistisch gerierenden höchsten Staatsrepräsentanten geführt hat. In Deutschland würde man dazu sagen, er hat die freiheitlich-demokratische Grundordnung umzustürzen im Visier, er ist ein Verfassungsfeind, der aus dem öffentlichen Dienst zu entlassen ist.

In Washington hingegen sind konstitutionelle Krisen nichts Ungewöhnliches. In Washington wird dauernd im Modus des Verfassungsbruchs qua Anmaßung regiert beziehungsweise seitens des Kongresses mitregiert. Der Kompetenz-Streit zwischen Präsident und Kongress hat eine lange Geschichte, insbesondere in der Außenpolitik und dort wiederum insbesondere um die „war power“.

Inhalt des DASKAA 2019 generell

Vor diesem Hintergrund ist das Sammel-Paket, welches im Februar 2019 in den Gesetzgebungsprozess in Washington eingebracht worden ist und eigentlich auf US-Sanktionen gegen Russland zielt, bemerkenswert. Der Gesetzentwurf trägt den Titel „Defending American Security from Kremlin Aggression Act“ (DASKAA 2019). Er baut auf einem im Sommer 2017 eingebrachten Entwurf gleichen Titels auf und wurde von dem republikanischen Senator Lindsey Graham in Kooperation mit dem demokratischen Senator Menendez (Leiter des Auswärtigen Ausschusses im Senat) und drei weiteren Senatoren beider Lager vorgelegt. Die Barrikaden gegen einen unilateralen Austritt des Präsidenten aus der NATO stellen ein umgekehrt dazu ausgerichtetes Element in dem Sammelgesetz dar, eines der Abwehr nach innen. Um das soll es abschließend, in Abschnitt 3, gehen.

Lindsey Graham ist jener republikanische Senator, der am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz es fertig gebracht hat, dem amtierenden US-Verteidigungsminister, nach einem Briefing über die Rückzugs-Pläne des US-Militärs in Syrien und im Nord-Irak, zu sagen

the Trump administration’s plan to withdraw all U.S. troops from Syria by the end of April was “the dumbest f—ing idea I’ve ever heard.”

“Well, if the policy is going to be that we are leaving by April 30, I am now your adversary, not your friend,”“.

Generell geht es in dem Sammelgesetz darum, die Verbreitung von Chemiewaffen einzudämmen, internationale Cyber-Verbrechen und Einmischungsversuche in Wahlen zu bekämpfen und Russland für Aktivitäten sowie die Aggression gegen die Ukraine zu bestrafen. Es dient zudem der Erweiterung des Sanktionsgesetzes CAATSA aus dem Sommer 2017.

US-Personen und -Institutionen soll der Handel mit russischen Staatsanleihen verboten werden. Sanktionen gegen russische Banken sind vorgesehen, die sich an der Finanzierung von russischen Einmischungsversuchen in demokratische Wahlen beteiligt haben. In Section 304 (Seite 39) wird darauf gedrängt, dass die gesetzlich vorgesehenen weiteren Sanktionen gegen Russland im Skripal-Fall umgesetzt werden (die zweite Stufe dieser Sanktionen ist eigentlich seit Dezember 2018 überfällig). In Section 701 wird zudem eine Prüfung verlangt, inwieweit Russland als staatlicher Sponsor von Terrorismus eingestuft werden muss. Zudem werden Berichte über Putins Vermögensverhältnisse und seine wichtigsten Unterstützer verlangt.

Auffällig ist das Bemühen, die kommenden US-Maßnahmen mit den europäischen Partnern beziehungsweise der EU abzustimmen, dafür eine Form zu finden. Diesem Aspekt ist ein eigener Abschnitt gewidmet „Coordination with the European Union“. Zur Abstimmung wird unter anderem in Section 612 die Einrichtung eines „Office of Sanctions Coordination“ im Außenministerium verlangt.

Zur Erläuterung des Gesetzespakets haben die beteiligten Senatoren eine ausführliche Pressemitteilung herausgegeben, in der auch die einzelnen Sanktionsbereiche aufgelistet werden.

Der Bau eines Walls gegen einen Trumpschen NATO-Austritt

Mit dem Element in Section 101-113 verfolgt der Entwurf das Ziel, so der Titel, die NATO zu stärken; eigentlich aber geht es darum, dem US-Präsidenten Fesseln anzulegen, auf dass er nicht einseitig die NATO verlässt. Der Titel:

Opposition of the Senate to Withdrawal From NATO“.

Ein solcher Rückzug wird offenbar nicht nur diesseits des Atlantiks real befüchtet. Um solche Ängste zu besänftigen, hat ein Teil der Delegation des US-Kongresses auf dem Rückweg von der Sicherheitskonferenz in München einen Besuch in Brüssel abgestattet. Der Text des Gesetzesteils beginnt mit dem Bekenntnis

The Senate opposes any effort to withdraw the United States from the North Atlantic Treaty,“

Und da ein solcher Rückzug der Vorbereitung bedarf, also Ressourcen der Administration in Anspruch nähme, worüber der Kongress via seine Kompetenz für den Haushalt verfügt, wird denn auch, ganz in der Tradition bisheriger Konflikte über die Außenpolitik des Präsidenten, der Hebel bei dem Einsatz von „funds“ angesetzt. Die Verwendung von Haushaltsmitteln für den Zweck einer NATO-Kündigung wird solange untersagt, bis

the Senate passes, by an affirmative vote of two-thirds of Members, a resolution advising and consenting to the withdrawal of the United States from the treaty.

Mit Zwei-Drittel-Mehrheit des Senats wird, wenn der Gesetzestext (in beiden Kammern) mit einfacher Mehrheit durchgeht, der Bestand der NATO von US-Seite gesichert. Das ist ein starkes Bekenntnis; und doch wird man sagen müssen, dass damit ein Präsident, der nicht will, nicht zu halten sein wird. Um im Bilde des Titels dieser Notiz zu bleiben: Das Rechtsinstitut NATO ist ein Kleidungsstück. Mit der Vorkehrung im DASKAA würde der Präsident zwar gezwungen, das Kleidungsstück nicht zu zerschneiden; dass er sich ihm aber entzieht, indem er es auszieht, also das Bündnis der US-Truppen wesentlich entleert, daran kann ihn eine Vorkehrung wie die hier besprochene nicht hindern.

Ansonsten sieht die zitierte Passage weiter eine Generalvollmacht für den Justitiar des Senats vor, dass er von sich aus rechtliche Schritte gegen den Präsidenten beziehungsweise die Regierung einleiten solle, sobald er Anzeichen sehe, die gegen dieses Gesetz verstoßen.