Die Bürgerkriegs-Konflikte in Libyen, Syrien und Jemen im Vergleich

 

Ich empfehle die Lektüre einer Studie. Sie ist entstanden im SWP (Stiftung Wissenschaft und Politik), dem führenden außenpolitischen Forschungsinstitut in Deutschland, angebunden an das Bundeskanzleramt in Berlin. Sie bietet die Chance, drei bis heute lodernde Bürgerkriegs-Konflikte im Nahen Osten vergleichend zu betrachten. Alle drei sind in 2011 entflammt, dem Jahr des Arabischen Frühlings. Alle drei lösten Vermittlungsversuche seitens der UN, des Sicherheitsrates, aus. Die schlugen – bislang – sämtlich fehl. Daraus, so das Programm der beiden Autorinnen (Syrien und Jemen) und des einen Autors (Libyen), werden Lehren abgeleitet.

Doch die sind zu abstrakt, um hier empfehlend wiedergegeben zu werden – wer es versuchen will, greife zu dieser Kurzfassung. Dieser Vorbehalt führt bereits zu der ersten Einsicht, die die Lektüre der rund 60 Seiten bereithält: Da wir Konflikte solcherart überwiegend lediglich aus den Medien wahrnehmen, sind wir nicht vorbereitet, abstrakt über Lösungen zu kommunizieren. Man lernt, dass die Narrativ-Prägung und das Bestehen darauf, dass in gewissen Zirkeln allein dieses und nicht jenes Narrativ gebracht wird, Teil der Konflikt-Führung ist – in diesem Sinne sind unsere Medien Mittäter und wir Medien-Konsumenten mit unserem produzierten Bewusstsein Opfer. Mittels zwei Stunden Lektüre von „Mission Impossible?“ kann man sich den Kopf waschen lassen, damit er wieder frei wird. Ein Aha-Erlebnis, das allein durch ein vergleichendes Setting, wie hier angelegt, ermöglicht wird, sei noch mitgeteilt.

Die konfliktverschärfende Rolle des rechtlichen Konstrukts “legitimierte Regierung”

Der gleichsam ‚natürliche’ Verlauf in einem Bürgerkrieg ist, dass die einstmals herrschende Regierung entweder an (territorialer) Macht und an Funktionen verliert (so in Syrien) oder, so im Normalfall, schlicht eine Leiche wird. Das heißt, so in Libyen und im Jemen: Die Bürgerkriegsparteien kämpfen nicht um die Usurpation dieses funktionslos gewordenen Konstrukts, reale Herrschaftsfunktionen verlagern sich nach unten. Der übliche Vermittlungsansatz der UN, so im Jemen wie aus dem Lehrbuch praktiziert, besteht in der Herbeiführung eines Konsenses zu einer föderalen Struktur.

Die Leiche beziehungsweise Hülle „Zentralregierung“ beziehungsweise international anerkannte und deshalb „legitimierte Regierung“ ist aber Gold wert – und wird deshalb wieder und wieder beatmet. Im Jemen-Fall ist dies der ehemalige Chef einer Übergangs-Regierung, mit zeitlich begrenztem Mandat ausgestattet, der einfach weiterregierte, festgenommen wurde, fliehen konnte, und in Riad dann die Saudis um Hilfe bat – der aber in seinem Lande keine, aber auch gar keine Rolle spielt, dort Null Einfluss hat, deshalb auch nicht in einen Landesteil zurückzukehren vermag. Das bei uns übliche Narrativ, es ginge im Jemen-Krieg um „Huthis gegen die legitimierte Zentralregierung unter Hadi“ ist eine medial produzierte Farce.

Im Libyen-Fall ist es ähnlich schlimm und absurd. Dort wurde auf UN-Vermittlung eine „international anerkannte“ Regierung installiert, die mit den militärischen Machtverhältnissen vor Ort wenig zu tun hat; was sie damit zu tun hat(te), rührt allein daher, dass ihr auf dubiosen Wegen herbeigeführter Status der eines Geld-Esels ist: Der lockt dann „kooperationswillige“ Milizen an. So war es zumindest bis zur heutigen Dominanz der Flüchtlingskrise in Europa. Die führt dazu, dass die Europäer den UN-Konsens verlassen haben und nun Geld, im Austausch gegen Kooperation bei der Unterbindung des Migranten-Zuflusses, direkt an jeweils regional herrschende Milizen geben. Der Legalisierungs-Ansatz, die Beatmung der Zentralstaats-Hülle, hat ausgedient. Die Europäer hebeln, in ihrer Not, den zentralen UN-Ansatz aus.

Im Syrien-Fall ist es ganz einfach. Da wollten, wie im Rückblick überdeutlich wird, andersherum äußere Mächte, insbesondere der Westen, die legitimierte Zentralregierung stürzen – und nutzten den inneren Aufruhr vom 15. März 2011 zur Militarisierung – im August schon handelte es sich um einen allseitig mit Milizen geführten Krieg. Führend die USA, die, so die Autorin, zwar verführerische Signale sandten, aber doch nicht zum Vollzug entschieden waren. Als der innere Krieg richtig loderte, in 2012, einigte man sich auf das Genfer Kommuniqué als auch den Annan-Plan, vom Sicherheitsrat ein Jahr später angenommen.

„<Zur> Rolle Assads: Sollte der Präsident als Vorbedingung von Verhandlungen zurücktreten müssen<?> […] obwohl der Wortlaut beider Dokumente dies nicht hergibt […]  blieben die unterschiedlichen Interpretationen wirksam. Russland und China trugen die Forderung nach einem Rücktritt Assads nicht mit und lehnten, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Libyen-Erfahrung, jegliche Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII der UN-Charta ab.“ (S. 37/38)

Das ist der medial unterstützte Kampf der Sprechweisen – wie heute mit dem angeblichen „2-Prozent-Ziel der NATO“ wiederholt aktuell. Da ebenfalls ist es so, dass der „Wortlaut <es> nicht hergibt“, dennoch sind die Medien voll von der falschen Darstellung. Wie kann das sein? Können Journalisten nicht lesen und nicht recherchieren? Wohl kaum. Wo kommt die Einheitlichkeit des Falschen her? Die Einheitlichkeit muss eine produzierte sein. Ich habe Anlass zu der Vermutung, dass die (fälschlich) interpretierende Sprechweise von der NATO-Pressestelle den bei ihr akkreditierten Journalisten abverlangt wird. Auch Journalismus ist eine wirtschaftliche Tätigkeit des Gebens und Nehmens. Pressestellen sind Narrativ-Schleudern – können zumindest so genutzt werden.

Rechtlich war im Syrien-Fall alles klar – eigentlich. Doch in diesem Fall hatte sich die sogenannte „internationale Gemeinschaft“, ihrer Regelbasiertheit ungeachtet, entschieden, das mit der Legitimation der Zentralregierung nicht so ernst zu nehmen wie in den anderen beiden Fällen.

Bei der vergleichenden Lektüre zu der diese wunderbare Studie einlädt, fällt ein Zweites auf: Der Syrien-Fall wird in einer anderen Tonlage dargestellt und analysiert. Während bei den beiden anderen Fälle, Libyen und Jemen, eine eher konflikt-mechanistische Tonlage herrscht, ‚kühl bis ans Herz hinan’, herrscht im Syrien-Fall eine deutlich mehr (menschen-)rechtlich wertende Tonlage. Bei der Lektüre kamen mir Zweifel, ob Letzteres der Sache dient. Ich habe jedenfalls begriffen, dass auch Recht als Mittel funktionalisiert werden kann und parteilich im  Konflikt eingesetzt werden kann. Die pure ‚moralische’Berufung auf Recht, unter Absehung von Funktionalität, dass Recht doch gelten und also durchgesetzt werden müsse, ist mir seitdem noch dubioser als schon bislang.