Endkampf um Nord Stream 2: Überraschungsangriff der USA landet Volltreffer

 

Der transatlantische „(Wirtschafts-)Krieg“, der um Nord Stream 2 (NS2) und den zweiten Strang von TurkStream seit drei Jahren geführt wird, ist in die Endphase getreten. Kriegsgegner sind die USA einerseits und etliche europäische NATO-Partner (Deutschland, die Türkei und die Niederlande) andererseits. „Agressor“ sind die USA – die sind definitiv und überparteilich entschlossen, die Fertigstellung beider Pipelines zu verhindern, um ihrem auf Tankertransporte angewiesenen und deswegen nicht-konkurrenzfähigen Fracking-Gas in Europa die Tür zu öffnen. Es handelt sich nebenbei um einen Angriff auf Europas industriepolitische Klimapolitik.

Bis vor wenigen Tagen meinten die Auguren noch, man befinde sich in einem Stellungskrieg, in der Schlachtvorbereitung, beim Schaufeln von Schützengräben. Man glaubte, das Verfahrens-Modell sei das von 2019, mit dem die USA Erfolg hatten: Sie nahmen das weltweit modernste Verlegeschiff des Schweiz-Niederländischen Unternehmens Allseas aus dem Spiel und stoppten damit die Abschluss-Verlegearbeiten gut 100 Kilometer vor dem Ziel. Das lief im letzten Jahr legislativ, im US-Kongress, über den „Protecting Europe’s Energy Security Act of 2019“ (PEESA). Den hatte der Auswärtge Ausschuss des Senats am 31. Juli 2019 gebilligt. Vorher wurde eine sogenannte “companion bill”, „H.R.3206 ‑ Protecting Europe’s Energy Security Act of 2019“, vom Auswärtigen Ausschuss im Repräsentantenhaus einstimmig (!) genehmigt. Eingestellt wurde das dann als Section 7503 in das Gesetz für den Militärhaushalt für das Jahr 2020, welches Präsident Trump am 20. Dezember 2019 gebilligt hatte. So sollte es, so die Erwartung, mit dem PEESA Clarification Act of 2020, eine Verschärfung des PEESA von 2019, welcherMitte Juni 2020 im Kongress eingeführt worden war, auch dieses Mal laufen. Doch weit gefehlt.

Am 15. Juli 2020 jedoch startete US-Außenminister Pompeo den Angriff, den die Europäer erst für den Herbst des Jahres erwartet hatten. Quasi über Nacht und ohne Vorwarnung der verbündeten Europäer wurde in einem Statement des Foreign Office der Angriff angekündigt. Die höchst wirksamen Geschosse sind, wie immer, Änderungen im Kleingedruckten – damit unterhalb des Radars der Medien. Es wurde eine Bestimmung gekippt, die alle Energieprojekte, die vor dem 2. August 2017 begonnen worden sind, von Sanktionen im Rahmen des CAATSA-Gesetzes ausgenommen hatte. Alle Geschäftsaktivitäten nach dem 15. Juli 2020 in Zusammenhang mit Nord Stream 2 und dem zweiten Strang von TurkStream könnten nunmehr sanktioniert werden, wenn drei Bedingungen vorliegen:

  1. sie ein gewisses Volumen erreichen (1 Million US-Dollar) oder
  2. die Fähigkeiten Russlands zum Bau der Pipeline ausweiten und
  3. wenn hinsichtlich der Aktivitäten aufgrund von Verträgen, die vor dem 15. Juli 2020 geschlossen wurden, nicht
    „(3) the person making such investments or engaging in such activities is taking reasonable steps to wind down the operations, contracts, or other agreements as soon as possible after July 15, 2020.

Das heißt: Wer im Zusammenhang der Abschlussarbeiten beider Pipelines Leistungen vertraglich zugesagt hat, soll sich schleunigst zurückziehen. Er soll die in allen Verträgen enthaltene force majeure-Klausel ziehen, weil die USA als überlegene Macht drohend den Anlass geben. Das wird dann als „nicht-rückwirkend“ verkauft.

Wenige Stunden nach der Ankündigung Pompeos veröffentlichte das OFAC, die für Sanktionen zuständige Behörde in den USA, entsprechende Richtlinien. Damit sind die ersten Schüsse im Endkampf gefallen.

Die Bundesregierung ist von diesem Überraschungsangriff überrumpelt. Die lediglich ins Grundsätzliche zielenden Reaktionen von Außenminister Maas („Extraterritoriale Sanktionen lehnen wir klar ab.“) und Wirtschaftsminister Altmaier (via AFP „Deutschland lehne extraterritoriale Sanktionen ab, «denn wir erachten sie als völkerrechtswidrig», erklärte das Bundeswirtschaftsministerium am Donnerstag. «Das ist die klare Haltung der Bundesregierung.»“) sprechen für sich. Da muss noch erheblich nachgelegt werden. Es steht an, die Entschiedenheit der USA ernst zu nehmen und sich Verbündete gegen die USA zu suchen. Die bisherige Strategie der Deutschlands, das Thema dilatorisch zu behandeln und es unentschieden über die Ziellinie „3. November“ zu schieben, ist gescheitert. Vielleicht wird dieser Krieg ja doch noch NATO-Thema.