„Golden“ Passports in der EU

 

Die Kontrolle über die Außengrenzen der EU beziehungsweise des Schengen-Raumes gilt als essentiell – zum Schutz gegen Terroristen und andere potentiell Kriminelle. Im Zuge der neuerwachten Ost-West-Rivalität ist als Kampfmittel die Sanktionierung von Personen neu entdeckt worden – sie werden auf Listen geführt, was signalisiert: „Ihr dürft nicht einreisen!“

Vor diesem Hintergrund war es immer schon erstaunlich wahrzunehmen, dass es in etlichen EU-Staaten die Sitte des Golden Passport gibt. Wer hinreichend reich ist, kann sich die EU-Bürgerschaft kaufen. Das gilt nicht nur für Spitzensportler. Die EU-Staats-Bürgerschaft ist beliebt und knapp, wie die Flüchtlingswelle der Armen oder auch die Normal-Migration zeigen. Was knapp ist, hat einen Wert. Im Kapitalismus kann man beinahe jeden Wert zu Geld machen. Gerade „prekäre“ Staaten tendieren dazu, Geschäftsmöglichkeiten zu erkennen und zu realisieren, die (rein) privat nicht realisierbar sind. Also entwickelte sich auch dieses business model von Staaten innerhalb der (gewachsenen) EU. Spitzenreiter unter den Protagonisten ist Großbritannien (was Kundige wenig überrascht). Auch Portugal ist gut im Geschäft. Eingestiegen sind auch diejenigen, die schon die hoheitliche Aufgabe der Typ-Prüfung von Kraftfahrzeugen zu Geld gemacht haben, wie Malta und Zypern. Darunter finden sich auch sämtliche osteuropäische Staaten – auch die baltischen und Polen, die gemäß ihrer Verlautbarungen eigentlich etwas gegen russische Oligarchen haben.

Wissen kann man von dieser Sache heute so gut, weil die EU-Kommission vor einigen Jahren bechlossen hatte, dagegen einen Vorstoß zu unternehmen. Seit Anfang 2019 liegen die vorbereitende Studie, die Mitteilung der Kommission über den Stand dieser Unsitten mit einer guten Zusammenfassung sowie ein Regulierungsvorschlag auf dem Tisch. Schaut man die Unterlagen durch, insbesondere das Primärdokument, die Studie, dann fällt vor allem die Schmallippigkeit der untersuchten Staaten auf …; ihre Auskunftsbereitschaft ist gering. So sah es auch aus, als ich den Bericht der EU-Kommission zum Stand der Typ-Prüfung und Rückrufe in den EU-Mitgliedstaaten durchschaute. So steht es um die europäische Solidarität, wenn es um Geld und Geldwäsche geht.

Die eigentliche Pointe des gutgemeinten Hineingrätschens der Kommission aber kam erst einige Monate später, Mitte Mai 2019, ans Licht. Da erhielt der Kommissionspräsident einen Brief von zwei Abgeordneten des Europäischen Parlaments. Darin schildern sie, was ihnen zur Kenntnis gekommen war. Es ging um die Reisetätigkeiten eines russischen Staatsbürgers, Andrej Pavlov, im Schengen-Raum. Die beiden MdEPs waren an personalisierte Daten zu den Destinationen dessen Reisetätigkeit seit 2014 gekommen, offenkundig aus Quellen der russischen Grenzkontrolle. Diese Person war im Rahmen der sogenannten Magnitsky-Affaire sanktioniert worden (auch in den USA) und hatte ein Einreiseverbot erhalten – bei der Art seiner (führenden) Verwicklung in die Magnitsky-Affaire hat man bei dieser Person ein hohes Geldwäsche-Potential zu unterstellen.

„It has … come to our attention that between 2015 and 2019 Andrei Pavlov has made over 70 trips to the European Union from Russia.“

Im Durchschnitt hat diese höchst verdächtige und mit der Sanktion „Einreiseverbot“ belegte Person ‑ im Klartext: ein Krimineller ‑ Länder des Schengen-Raumes, inklusive der Schweiz, zwei Mal pro Monat besucht.

Was passiert war, hat der Guardian recherchiert. Pavlov hatte sich von einem Insel-„Staat“ in der Karibik mit dem Namen „St Kitts and Nevis“ je ein Visum besorgt. Der Staat ist Mitglied der Vereinten Nationen, hat 56.000 Einwohner und gehört zu den zwölf kleinsten Staaten der Erde. Der „Regierungschef“, in unsere Verhältnisse übersetzt ein Dorfbürgermeister, betreibt privat ein Rechtsanwaltsbüro – darüber wurde das Geschäft abgewickelt.

In die EU kann man nicht nur mit gekauften Pässen sondern auch mit „gekauften“ Visa aus Kontingenten illegitim einreisen – das hatte die EU-Kommission bei ihrem großangelegten Vorhaben gegen „Golden Passports“ offenbar „vergessen“.

Was „vergessen“ bei einer geordneten Verwaltung heißt, dafür ist der (Un-)Fall methodisch höchst beispielhaft. In den Brunnen gefallen ist der Anlauf, weil der „pars pro toto“-Charakter des Auftrags, gegen „Golden Passports“ vorzugehen, nicht durchschaut beziehungsweise nicht geklärt wurde. Begrifflich – und also rechtlich – hatte es allein um „Passports“ zu gehen; dem Sinn nach aber hätte es um jegliche (möglicherweise käufliche) Einreisepapiere zu gehen gehabt. Das kann eine rechtlich vorgehende Administration aber nur, wenn das Mandat, welches ihr gegeben wird, diese Ambivalenz bereits aufhebt.