Desinformations-Kampagne macht Stimmung für Freifahrtschein bei Reserve-Antibiotika in der Massentierhaltung
Um den massenhaften Einsatz von Reserve-Antibiotika in der industriellen Massentierhaltung schnellstmöglich zu verbieten, muss die EU-Kommission mit einer Korrektur der Tierarzneimittelverordnung klarstellen, dass die entsprechenden Regeln nicht für Einzeltiere wie Hund, Katze oder Pferd gelten. Damit dürften Einzeltiere weiter mit Reserve-Antibiotika behandelt werden – die Resistenzen fördernde massenhafte Verabreichung dieser extrem wichtigen Antibiotika über das Futter oder Wasser in der industriellen Tierhaltung würde hingegen untersagt, denn Reserve-Antibiotika müssen immer häufiger Menschenleben retten, weil andere Antibiotika gegen resistente Erreger unwirksam werden. Zur Zeit macht eine Kampagne mit Desinformation über emotionale Bilder und Slogans Stimmung bei Haustierhalterinnen und -haltern, statt eine Klarstellung des Anwendungsbereiches einzufordern, und behauptet, von dem Verbot von Reserve-Antibiotika in der industriellen Massentierhaltung wären automatisch alle Haustiere betroffen.
(Berlin, 16. August 2021) Die Deutsche Umwelthilfe fordert von EU-Parlament und -Kommission, den massenhaften Einsatz von Reserve-Antibiotika in der industriellen Massentierhaltung schnellstmöglich zu verbieten. Dazu muss die Kommission mit einer Korrektur der Tierarzneimittelverordnung kurzfristig klarstellen, dass die neuen Regeln nicht für Einzeltiere wie Hund, Katze oder Pferd gelten. Dies ist notwendig und auch rechtssicher möglich, wie ein Gutachten im Auftrag der Deutschen Umwelthilfe zeigt. Damit dürften Einzeltiere weiter mit Reserve-Antibiotika behandelt werden – die Resistenzen fördernde massenhafte Verabreichung dieser extrem wichtigen Antibiotika über das Futter oder Wasser in der industriellen Tierhaltung würde hingegen untersagt. Reserve-Antibiotika müssen immer häufiger Menschenleben retten, weil andere Antibiotika gegen resistente Erreger unwirksam werden. Für strengere Regeln hat auch der Umweltausschuss des EU-Parlaments votiert.
Mit ihrem Veto gegen den vorliegenden Kommissionsvorschlag entscheiden die Abgeordneten des EU-Parlamentes im September, ob sie diese zentrale Korrektur herbeiführen. Scheitert das Veto gegen die bisherige Formulierung, riskiert die EU die weitere Zunahme von Krankheitserregern auf Fleisch und anderen Lebensmitteln, die auch gegen die letzten Reserve-Antibiotika resistent sind – eine tödliche Bedrohung für Mensch und Tier.
Der Umwelt- und Verbraucherschutzverband Deutsche Umwelthilfe kritisiert deshalb massiv eine Kampagne, die mit Desinformation Stimmung macht, statt eine Klarstellung des Anwendungsbereiches einzufordern. Dort wird behauptet, von dem Verbot wären automatisch alle Haustiere betroffen. Zusammen mit emotionalen Bildern und Slogans sollen so Haustierhalterinnen und -halter dazu gebracht werden, die Kampagne zu unterstützen. Dass einige Tierarztpraxen finanziell massiv profitieren vom Verkauf und Rabatten, die bei großen Antibiotikamengen etwa für Megaställe gewährt werden, verschweigen sie dabei.
Dazu Reinhild Benning, Deutsche-Umwelthilfe-Agrarexpertin: „Es ist beschämend, wie hier versucht wird, Tierfreundinnen und -freunden Angst zu machen, ihre geliebten Katzen oder Hunde würden gefährdet. Das ist nicht der Fall, wie auch unser neues Rechtsgutachten noch einmal eindeutig klarstellt, wenn die vom Umweltausschuss geforderte Korrektur kommt. Das Interesse einiger weniger Tierärztinnen und Tierärzte mit engem Draht zur Agrarindustrie ist dabei so durchschaubar wie unmoralisch: Werden Hund und Hamster in der EU-Regel weiter in einen Topf geworfen mit Lebensmittel-Tieren, dürfen weiter tonnenweise Antibiotika im Trog der Massentierhaltung landen – zum Profit einiger weniger Tierarztpraxen, die bis zu 78 Prozent ihres Umsatzes durch den Verkauf von Tierarzneimitteln scheffeln. Doch das trägt zu Antibiotikaresistenzen bei und gefährdet damit die Gesundheit von Menschen – aber genauso von Haustieren. Wir rufen deshalb alle verantwortungsbewussten Tierärztinnen und Tierärzte auf, gemeinsam für den Erhalt aller Therapiemöglichkeiten bei Einzeltieren, eine strenge Regulierung bei der Massenmedikation in industriellen Tierhaltungen sowie für mehr Tierschutz im Stall zu kämpfen.“
Bei den Reserve-Antibiotika handelt es sich um fünf Wirkstoffklassen, die laut Weltgesundheitsorganisationen für Menschen vorbehalten und nicht bei „food animals“ eingesetzt werden sollen, die aber bisher in der EU auch für sogenannte Lebensmittel-Tiere zugelassen sind. Bei der Gesetzgebung ist die EU-Kommission allerdings bislang nicht genau genug. Sie hat in der Verordnung nur den Begriff „animals“ geschrieben, also Tiere. Für ein präzises Verbot müssen die Begriffe genauer bestimmt werden, wie „food animals“ oder „livestock“, also Tiere, die der Lebensmittelgewinnung dienen. Die Deutsche Umwelthilfe fordert, die Unterscheidung per korrigierter Verordnung kurzfristig umzusetzen.
Reinhild Benning ist Senior Beraterin für Agrarpolitik bei der Deutschen Umwelthilfe. | |
Ein Gutachten zum Thema steht über diesen Link zum Download als PDF bereit. |
Der Resolutionsentwurf des EU Parlaments gegen den delegierten Rechtsakt zur Tierarzneimittelverordnung steht über diesen Link zum Download als PDF bereit. |