foodwatch fordert strenge Regulierung der Agrarspekulation – Teufelskreis aus Angst und Gier treibt Weizenpreise

 

Im Zuge gesamtwirtschaftlicher Turbulenzen werden Warenterminkontrakte mit Agrarprodukten häufig zu einer beliebten Anlageklasse bei Finanzinstituten. So befeuern Finanzspekulanten die ohnehin stark steigenden Agrar-Rohstoffpreise zusätzlich: Sie wetten auf steigende Preise und hoffen auf rasche Gewinne. Die Lebensmittelpreise sind in den letzten Wochen weltweit massiv gestiegen, laut den Vereinten Nationen liegen sie um 34 Prozent höher als vor einem Jahr und haben den höchsten Stand seit 1990 erreicht.



(Berlin, 9. Mai 2022) foodwatch hat die exzessive Spekulation mit Agrar-Rohstoffen scharf kritisiert. Die Finanzwetten an den Rohstoffbörsen würden die aktuellen Preisanstiege etwa für Getreide zusätzlich befeuern. Spekulationsexzesse müssten daher endlich verhindert werden, forderte die Verbraucherorganisation. Dafür müsse die EU wirksame Handelsschranken, sogenannte Positionslimits, festlegen. Das sei jedoch bisher am Einfluss der Finanzlobby gescheitert.

„Angesichts drohender Hungerkrisen ist die Zockerei auf Agrar-Rohstoffpreise unerträglich. Die Preise steigen, weil Unternehmen und Regierungen befürchten, nicht mehr ausreichend Weizen, Sonnenblumenöl oder andere Grundnahrungsmittel kaufen zu können. Finanzspekulanten befeuern die stark steigenden Agrar-Rohstoffpreise zusätzlich: Sie wetten auf steigende Preise und hoffen auf rasche Gewinne. Es braucht Transparenz darüber, wer über welche Getreidereserven verfügt – nur so kann der Angst vor Knappheit begegnet werden. Und die EU muss dringend Spekulationslimits festlegen und so die Wetten auf steigende Preise beenden“ fordert Matthias Wolfschmidt, Strategiedirektor von foodwatch International. „Aus der Krise 2008 wurde offenbar nichts gelernt, was fatale Folgen für Millionen armer Menschen weltweit hat, die von Hunger bedroht sind. Die Finanzindustrie ist schon jetzt ein Gewinner des russischen Angriffskrieges.“

Die Lebensmittelpreise sind in den letzten Wochen weltweit massiv gestiegen. Laut den Vereinten Nationen liegen die Preise um 34 Prozent höher als vor einem Jahr und haben den höchsten Stand seit 1990 erreicht. Die Preise steigen aus zwei Gründen: Zum einen fürchten Unternehmen und Händler aufgrund des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Russlands ein verknapptes Angebot von Weizen, Pflanzenölen und Phosphat-Dünger aus der Schwarzmeer-Region sowie von Erdöl und Erdgas aus Russland. Zum anderen befeuerten Finanzwetten auf steigende Rohstoffpreise die Preise zusätzlich, kritisierte foodwatch.

Die Preissteigerungen an den Rohstoffbörsen in Paris und Chicago seien laut foodwatch nicht zuletzt erheblichen Versäumnissen der EU-Kommission und der US-Regierung geschuldet. EU und USA hätten die ihnen unterstellten Finanzmarkt-Aufsichtsbehörden seit Jahren nicht zur Durchsetzung wirksamer Spekulations-Begrenzungsinstrumente gedrängt und im Jahr 2020 sogar Deregulierungen durchgeführt.

„The Hunger Profiteers“

Der Rechercheverbund Lighthouse Reports veröffentlichte am 6. Mai 2022 den ausführlichen Bericht „The Hunger Profiteers“ zur Spekulation an den Rohstoffbörsen. Auch die Vereinten Nationen warnen aktuell vor den Folgen der Finanzwetten. Das „World Food Programme“ der UN benötigt zum Beispiel nach eigenen Angaben etwa 50 Prozent mehr Mittel als 2019.

Lighthouse Reports hat für den Report die Geldflüsse in einige der größten börsennotierten Landwirtschaftsfonds nachverfolgt, die mit Weizen handeln, sowie Daten über die Höhe der spekulativen Investitionen auf den Agrarterminmärkten analysiert. nachdem der Anteil der Spekulanten an den Weizenmärkten in Folge der russischen Invasion in der Ukraine stark zugenommen hat. Darüberhinaus sprachen die Rechercheure mit Experten und Whistleblowern. Lighthouse Reports hat auch untersucht, wie die International Swaps and Derivative Association (ISDA), zu deren Mitgliedern unter anderem Goldman Sachs, BNP Paribas, Blackrock und Citibank gehören, über Jahre erfolgreich Lobbyarbeit bei der EU-Regulierungsbehörde, der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA), betrieben hat, um Positionslimits für den spekulativen Warenhandel abzuschwächen.

Im Zuge gesamtwirtschaftlicher Turbulenzen werden Warenterminkontrakte mit Agrarprodukten zu einer beliebten Anlageklasse bei Finanzinstituten

Das Zentrum für Entwicklungsforschung der Universität Bonn hat in einem Policybrief vom März 2022 grundsätzlich dargestellt: „Die internationale Handelsverflechtung bei Nahrungsmitteln hat sowohl negative als auch positive Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit. Zum einen reduziert sie die Abhängigkeit von lokalen Wetterbegebenheiten und trägt einen großen Anteil an der Verbesserung der weltweiten Ernährungssicherheit. Allerdings führen die Verflechtungen auch dazu, dass viele Akteure weltweit, die auf Nahrungsmittelmärkten aktiv sind, durch ihre Handels- und Vermarktungsentscheidungen die Nahrungsmittelpreisbildung beeinflussen, wodurch neue Vulnerabilitäten entstehen.“ Und stellt fest: „Im Zuge gesamtwirtschaftlicher Turbulenzen, wie etwa der Finanzkrise um den Jahrtausendwechsel, werden Warenterminkontrakte mit Agrarprodukten häufig zu einer beliebten Anlageklasse bei Finanzinstituten. Infolge der Finanzkrise stiegen die Spekulationsaktivitäten drastisch an und trugen während der Nahrungsmittelpreiskrisen der 2000er Jahre zu Preisspitzen bei. In den darauffolgenden Jahren wurden die Warenterminmärkte stärker reguliert. Diese Regulierung wurde jedoch in den USA zurückgenommen.“

Matthias Wolfschmidt ist Strategiedirektor von foodwatch International.

Der IPES-Report zur Agrarspekulation, „Another Perfect Storm?“, steht über diesen Link zum Download als PDF bereit.

Der UN-Bericht „Global Impact of war in Ukraine on food, energy and finance systems“ steht über diesen Link zum Download als PDF bereit.

Der Policybrief vom März 2022 des Zentrum für Entwicklungsforschung der Universität Bonn steht über diesen Link zum Download als PDF bereit.

foodwatch hatte in dem Report „Die Hungermacher“ bereits 2011 ausgiebige Recherchen zur Agrarspekulation veröffentlicht und eine wirksame Regulierung der Geschäfte gefordert. Entscheidend ist insbesondere, dass die absolute Zahl der zu Spekulationszwecken geschlossenen Warenterminverträge begrenzt wird. Dafür müssen „Positionslimits“ definiert werden. Der Report steht über diesen Link zum Download als PDF bereit.