„Hunger ist politisch und er ist vermeidbar, wenn wir nachhaltige, klimaresiliente, lokale beziehungsweise regionale Ernährungssysteme fördern.“

 

Das katholische Werk für Entwicklungszusammenarbeit Misereor weist darauf hin, dass die Entscheidungen und Handlungen der Politik zur Bekämpfung des fortschreitenden Klimawandels und des weltweiten Hungers gegenwärtig nicht ausreichen: „Wir müssen zu einer stärkeren Haltung der Genügsamkeit und des Maßhaltens kommen. Darauf zu vertrauen, unser Leben und Produzieren könne im Wesentlichen unverändert weitergehen, wenn wir nur moderne, regenerative Technologien anwenden, ist ein Trugschluss.“

(Berlin, 17. August 2023) Anlässlich seiner Bilanzpressekonferenz weist das katholische Werk für Entwicklungszusammenarbeit Misereor auf die massiven Konsequenzen der vielen Krisen hin, die vor allem Menschen in Ländern mit hoher Armutsquote treffen. Misereor fordert mehr politische Anstrengungen von Deutschland und Europa und eine Aufstockung der internationalen Hilfsgelder, um die humanitären Folgen zu bekämpfen.

Dringlichste Ziel bleibt für die Arbeit von Misereor die Bekämpfung des Hungers. Vom Ziel 2 der UN-Nachhaltigkeitsziele – der Beseitigung des Hungers – sei man momentan weit entfernt. „In Zeiten, in denen hunderte Milliarden Euro in die Stabilisierung von Finanzmärkten oder die Verbesserung unserer militärischen Fähigkeiten investiert werden, darf die Bekämpfung des Hungers nicht zurückstehen. Hunger ist politisch und er ist vermeidbar, wenn wir nachhaltige, klimaresiliente, lokale beziehungsweise regionale Ernährungssysteme fördern, bedürftigen Ländern ihre Schulden erlassen und der Weltbank bessere finanzielle Möglichkeiten zur Unterstützung verarmter Weltregionen eröffnen“, erklärte Pirmin Spiegel, Hauptgeschäftsführer von Misereor, in Berlin. Auch zur Bekämpfung des fortschreitenden Klimawandels seien die Entscheidungen und Handlungen der Politik nicht ausreichend: „Wir müssen zu einer stärkeren Haltung der Genügsamkeit und des Maßhaltens kommen. Darauf zu vertrauen, unser Leben und Produzieren könne im Wesentlichen unverändert weitergehen, wenn wir nur moderne, regenerative Technologien anwenden, ist ein Trugschluss“, so Spiegel.

Niger: Europa sollte unangemessene Einmischung vermeiden

In den aktuellen politischen Krisen, Konflikten und dem Klimawandel sieht Misereor die größte Herausforderung für die Arbeit der kommenden Jahre. Sie drängen viele Menschen weiter in Armut, so in der Sahelzone: „Die aktuellen Ereignisse in Niger beeinträchtigen zunehmend die Arbeit unserer Partner vor Ort, die bislang als Bollwerk gegen Hoffnungslosigkeit und Instabilität dienten. Der Zugang zu benachteiligten Bevölkerungsgruppen in abgelegenen Regionen wird komplizierter und riskanter, die für die Arbeit notwendigen Ausrüstungen, Strom und Treibstoff werden knapper“, so Spiegel. Angesichts der Erfahrungen in Mali warnte der Misereor-Hauptgeschäftsführer in der aktuellen Situation vor einer unangemessenen Einmischung. „Europa sollte jetzt mit Zurückhaltung reagieren. Wir sollten es aushalten, dass Länder ihre Souveränität ausüben und nach eigenen Lösungen für ihre inneren Widersprüche suchen, auch im Verbund mit größeren regionalen Bündnissen“, so Spiegel.

Sudan: Armut befeuert Konflikte und autoritäre oder autokratische Regierungen

Der Vorsitzende der Katholischen Zentralstelle für Entwicklungshilfe (KZE), Karl Jüsten, wies auf die Lage im Sudan hin: „Fortwährende Armut befeuert die Machtübernahme autoritärer oder autokratischer Regierungen. Der Putsch des Militärs vor zwei Jahren und der aktuelle Bürgerkrieg hat die alten inner-ethnischen Konflikte im Sudan neu entfacht, vor allem in der Region Darfur. Man kann schon jetzt von einer Fortsetzung des Völkermordes von 2003 bis 2020 sprechen. Der Zerfall des Sudan als einheitlicher Staat und damit eine Destabilisierung in der gesamten Region schreitet rapide voran“, erklärte Jüsten. „Wir fordern dazu auf, regionale Vermittlungsbemühungen zu unterstützen und die internationale Hilfe für die Geflüchteten und für die Aufnahmeländer aufzustocken, um eine weitere humanitäre Krise abzuwenden.“

Jüsten warnte zudem vor Kürzungen bei den Geldern für Entwicklungszusammenarbeit. „Die großen Krisen haben anhaltend direkte und indirekte Wirkungen auf alle Regionen der Erde. Durch das Engagement in der Entwicklungszusammenarbeit und der Bekämpfung des Hungers in den vergangenen Jahren sind die internationalen Erwartungen an die deutsche Entwicklungszusammenarbeit zweifellos gestiegen. Die aktuellen Krisen und Konflikte machen wieder einmal deutlich, wie notwendig eine verstärkte internationale Zusammenarbeit ist“, erklärte Jüsten.

Spenden und Kollekten

Misereor hat im vergangenen Jahr 61,7 Millionen Euro an Spenden und Kollekten erhalten und konnte damit die Spendeneinnahmen auf einem hohen Niveau halten. Misereor-Hauptgeschäftsführer Pirmin Spiegel bedankte sich bei den Spenderinnen und Spendern für die Unterstützung: „Diese ist umso höher zu bewerten, als die Folgen von Inflation, Ukraine-Krieg und Corona-Pandemie viele Menschen auch in Deutschland hart treffen“, sagte Spiegel. Insgesamt standen Misereor 2022 einschließlich der Gelder aus Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung 241,5 Millionen Euro zur Verfügung, die für Projekt-, Bildungs, Advocacy- und Lobbyarbeit in aktuell 86 Ländern Afrikas und des Nahen Ostens, Asiens und Ozeaniens, Lateinamerikas und der Karibik sowie in Deutschland eingesetzt werden. Aktuell unterstützt Misereor etwa 3200 Projekte, die von rund 1800 Partnerorganisationen umgesetzt werden.

Pirmin Spiegel ist Hauptgeschäftsführer von Misereor.

Der Jahres-Bericht 2022 von Misereor steht über diesen Link zum Download als PDF bereit.