Umdenken bei Hungerbekämpfung notwendig

 

Weltweit hungerten 828 Millionen Menschen im Jahr 2021, 150 Millionen mehr als vor Ausbruch der Corona-Pandemie. Zur Bekämpfung des Hungers sind substanzielle Investitionen in die Transformation der Ernährungssysteme nötig: Bäuerinnen und Bauern in den betroffenen Ländern müssen so unabhängig wie möglich wirtschaften können und zum Beispiel keine teuren und umweltschädlichen Pestizide und Kunstdünger von außen zukaufen müssen. Ziel muss eine krisenfeste, auf lokale Märkte ausgerichtete Landwirtschaft sein, die ausreichend und gesunde Lebensmittel erzeugt.



(Berlin, 27. Juli 2022) Um die weltweite Hungerkrise zu entschärfen, fordert Brot für die Welt bei seiner Jahrespressekonferenz, dass die Nothilfe deutlich aufgestockt wird. „Um Millionen Menschen vor dem Verhungern zu retten, müssen die reichen Industrieländer sofort mehr Geld für die Nothilfe bereitstellen“, sagt Präsidentin Dagmar Pruin bei der Vorstellung des Jahresberichts von Brot für die Welt. Das sei zur akuten Linderung der größten Not dringend geboten. Kurzfristige Maßnahmen reichten aber nicht aus, um den Hunger in der Welt dauerhaft zu überwinden. „Die politischen Entscheidungsträger müssen auch die dahinterliegenden Ursachen entschlossen angehen und in der Agrarpolitik auf allen Ebenen umsteuern. Die Antwort auf wiederkehrende Hungerkrisen muss ein anderes weltweites Ernährungssystem sein, das die armen Länder aus der Abhängigkeit befreit.“ Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine habe die Hungerkrise nicht hervorgebracht, aber verschärft.

Die Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe müssten steigen: „Stattdessen möchte die Bunderegierung laut aktuellem Haushaltsentwurf den Entwicklungsetat kürzen. Das ist angesichts der Lage verantwortungslos“, sagt Pruin. Weltweit hungerten 828 Millionen Menschen im Jahr 2021, 150 Millionen mehr als vor Ausbruch der Pandemie. „Die Not wird immer größer, zugleich macht die Inflation auch Hilfsgüter teurer.“ Daher bräuchten internationale Hilfsorganisationen dringend mehr Geld.

Zugleich mahnt die Präsidentin von Brot für die Welt steigende Mittel für die Klimaanpassung an: „Die Klimakrise befeuert die Hungerkrise. Doch die von der Ampel angekündigten sechs Milliarden Euro jährlich für Klimaschutz und Klimaanpassung sind zu wenig. Zumal bisher nur etwa vier Milliarden fest zugesagt sind.“ Aus Sicht von Brot für die Welt ist die Klimakrise – neben bewaffneten Konflikten und den Folgen der Corona-Pandemie – der größte Hungertreiber.

Brot für die Welt fördert seit vielen Jahren agrarökologische Ansätze in vielen Ländern weltweit. Zum Beispiel in einem Projekt in Burkina Faso, wo traditionelles Saatgut gegen die Abhängigkeit von Klimaveränderungen – und damit gegen Hunger ‑ hilft. Die Menschen bauen Hirsesorten an, die der Dürre standhalten. „Um auf die nächste Krise besser vorbereitet zu sein, müssen in den ärmeren Ländern mehr gesunde Lebensmittel produziert werden“, sagt Pruin. „Das funktioniert auch ohne Umweltzerstörung und industriellen Dünger. Positiver Nebeneffekt: Die Menschen sind weniger abhängig von steigenden Preisen auf den Weltmärkten oder von Importprodukten.“ Mehr Ernährungssouveränität in Afrika, Asien und Lateinamerika und mehr Agrarökologie solle auch das Ziel der Bundesregierung sein.

Brot für die Welt kritisiert auch, dass in Deutschland zu viel Anbaufläche für Biotreibstoffe und die Massentierhaltung verloren geht. Es könnten mehr Nahrungsmittel produziert werden ohne geschützte Flächen umzupflügen, um etwa Brot-Getreide für Notlagen in anderen Ländern einzulagern. „Es landet in Deutschland zu viel Essen in Tank und Trog statt auf dem Teller der Menschen“, so Dagmar Pruin.

Stellungnahme MISEREOR zum Bericht 2022 der FAO

Anlässlich der Veröffentlichung des Berichtes 2022 der Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) am 6. Juli 2022 äußerte sich der Hauptgeschäftsführer des Bischöflichen Hilfswerks Misereor e. V., Pirmin Spiegel:

„828 Millionen Betroffene bedeuten eine 828-millionenfache Verletzung des Menschenrechts auf Nahrung und damit millionenfaches Leid – und das, obwohl es genug für alle am Tisch gibt. Hunger und Armut gehören leider nach wie vor zusammen. „Null Hunger“, Ziel 2 der Nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) bis 2030 zu erreichen, scheint in weiter Ferne. Um das Menschenrecht auf Nahrung umzusetzen, sind substanzielle Investitionen in die Transformation der Ernährungssysteme nötig. Das bedeutet unter anderem: Es zu ermöglichen, dass Bäuerinnen und Bauern so unabhängig wie möglich von Zukäufen von außen wirtschaften können. Damit eröffnen sich Wege aus der Armut, weil sie zum Beispiel keine teuren und umweltschädlichen Pestizide und Kunstdünger zukaufen müssen. Ziel muss eine krisenfeste, auf lokale Märkte ausgerichtete Landwirtschaft sein, die ausreichend und gesunde Lebensmittel erzeugt. Unsere Projekt-Partner arbeiten schon sehr erfolgreich genau an diesen Punkten – diese Pfade gilt es weiter zu verfolgen.“

Jahresergebnis 2021 von Brot für die Welt

Brot für die Welt konnte 2021 in mehr als 1.800 Projekten in fast 90 Ländern nachhaltige Entwicklungsarbeit leisten – dank der Zusammenarbeit mit seinen Partnerorganisationen und der Solidarität vieler Menschen in Deutschland. Insgesamt standen dem Hilfswerk 2021 rund 312 Millionen Euro für die Entwicklungsarbeit zur Verfügung. 277,7 Millionen Euro (90 Prozent der Mittel) hat Brot für die Welt für Hilfsprojekte ausgegeben. Für Werbe- und Verwaltungsaufgaben wurden 9,4 Prozent eingesetzt. Das Deutsche Zentralinstitut für soziale Fragen (DZI) bewertet diesen Anteil der Werbe- und Verwaltungsausgaben an den Gesamtausgaben als niedrig.

Im vergangenen Jahr hat Brot für die Welt 646 Projekte neu bewilligt. Afrika (216 neue Projekte) und Asien (202 neue Projekte) waren dabei die Schwerpunktregionen. In den meisten neuen Projekten geht es um die Stärkung der Zivilgesellschaft und langfristige Hilfe gegen Hunger und Mangelernährung.

Dagmar Pruin ist Präsidentin von Brot für die Welt.

Pirmin Spiegel ist Hauptgeschäftsführer des Bischöflichen Hilfswerks Misereor e. V.

Der Bericht 2022 der Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) steht über diesen Link zum Download als PDF bereit.