Das Nachdenken plattgewalzt

 

Warum die Öffnung der Tore für 5G-Mobilfunk die Gesellschaft spalten wird

von Werner Thiede

Der Traum führender Politiker, Deutschland solle mit der Digitalisierung und 5G mit an der Weltspitze stehen, mag rein technologisch und wirtschaftlich etwas für sich haben, übersieht aber die enormen mittel- und langfristigen Risiken des Ausbaus. Jedenfalls darf nicht länger so getan werden, als sei die vollständige „Versorgung“ mit 5G eine selbstverständliche Angelegenheit für unsere Gesellschaft.

Mit dem Startschuss zur Versteigerung der Funkfrequenzen für 5G-Mobilfunk geht es um weit mehr als um die „Versorgung“ mit der in vielen Ländern umstrittenen Super-Strahlung. Eingeläutet wurde damit nicht weniger als eine Spaltung unserer Gesellschaft. Bundesprä­sident Frank-Walter Steinmeier hat unterstrichen: „Es kann nicht sein, dass ein Teil der Ge­sellschaft die Chancen und Möglichkeiten der Technologien erörtert und ein anderer Teil sich um das Reparaturgeschäft kümmert.“ Desgleichen hat sein Amtsvorgänger Joachim Gauck kürzlich vor einem Auseinanderdriften der Gesellschaft gewarnt und sich damit ein auch auf die Digitalisierung bezogen. Dass deren Weiterentwicklung an den Rollout von 5G-Mobilfunk gekoppelt ist, lässt sich nicht bestreiten. Aber die Digitalisierung als Gesamtprogramm entzweit unsere Gesellschaft in Besorgte einerseits und Bedenkenlose andererseits.

Allein eine Aufzählung digitalisierungskritischer Bücher im deutschsprachigen Raum wäre seitenlang – spricht das nicht Bände? Namentlich die Forschung zu 5G ist gespalten in Warner und „Treiber“. Über die wissenschaftliche Uneinigkeit dürfen großartige Werbe-Annoncen für 5G und einseitig positive Berichterstattungen in der Presse nicht hinwegtäuschen. Der Internationale Appell „Stopp von 5G auf der Erde und im Weltraum“ verzeichnet inzwischen zahlreiche Unterschriften von besorgten Wissenschaftlern und Organisationen aus bald hundert Ländern. Schon sorgt sich der Deutsche Städte- und Gemeindebund: „Es ist nicht zu vermuten, dass ein erneuter scheinbar unkontrollierbarer Wildwuchs der Standorte von Mobilfunkanlagen als alternativlose Voraussetzungen einer prosperierenden Gemeindeentwicklung von der Bevölkerung ohne weiteres akzeptiert würde.“

Jedenfalls darf nicht länger so getan werden, als sei die vollständige „Versorgung“ mit 5G eine selbstverständliche Angelegenheit für unsere Gesellschaft. In Wahrheit fühlt sich ein Teil der Bevölkerung von der neuartigen Strahlung, die das Aufstellen vieler Tausender neuer Sendestationen umfasst, gesundheitlich bedroht. Das beruht keineswegs auf irrationalen Ängsten, sondern auf ersten Resultaten von Experten-Forschung und andererseits auf dem Tatbestand, dass zahlreiche Wissenschaftler rund um die Welt wegen der weitgehenden Unerforschtheit der biologischen 5G-Effekte warnen. In den USA forderten heuer zwei Forschergruppen wegen der zelltoxischen Effekte von 5G ebenso ein Moratorium wie in Deutschland der Ärztearbeitskreis Digitale Medien. Joel Moskowitz, Direktor am Berkeley Center for Family and Community Health der Universität von Kalifornien, warnt: „Der Einsatz der 5G-Technologie ist ein gewaltiges Experiment für die Gesundheit aller Arten.“

Der Traum führender Politiker, Deutschland solle mit der Digitalisierung und 5G mit an der Weltspitze stehen, mag rein technologisch und wirtschaftlich etwas für sich haben, übersieht aber die enormen mittel- und langfristigen Risiken des Ausbaus. Die beweisen die neulich veröffentlichten Investoren-Warnungen hinsichtlich der Mobilfunk-Risiken. Welch wirtschaftlicher Schaden droht neben dem gesundheitlichen, sollten sich die kritischen Forscherstimmen bestätigen! Aber es ist zu befürchten, dass der Schweizer Philosoph und Physiker Eduard Kaeser Recht behält, wenn er in seinem neuen Buch „Trojanische Pferde unserer Zeit“ diagnostiziert: „Die Allianz von Big Science, Big Data und Big Industry ermutigt heute ein Vorwärtsstürmen, das das Nachdenken plattwalzt.“

Prof. Dr. theol. habil. Werner Thiede ist apl. Professor für Systematische Theologie an der Universität Erlangen-Nürnberg.