Europäischer Gerichtshof verhandelt am 3. September 2019 öffentlich über Zwangshaft für Ministerpräsident Söder

 

Die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) klärt am 3. September 2019 bereits wenige Monate nach Vorlageanfrage, ob Zwangshaft gegen hochrangige Politiker anzuwenden ist, die sich weigern, Luftreinhaltepläne umzusetzen. Wird die Zwangshaft vom EuGH als anwendbar bewertet, kündigte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof bereits an, unmittelbar Haft gegenüber dem Ministerpräsidenten, dem Staatsminister für Umwelt und Verbraucherschutz, dem Präsidenten der Regierung von Oberbayern, dem Regierungsvizepräsidenten, dem Leiter der Abteilung der Regierung von Oberbayern sowie allen Mitarbeitern in der Regierung von Oberbayern, die für die Aufstellung des Luftreinhalteplans verantwortlich sind, anzuordnen.

(Berlin/Luxemburg, 12. Juli 2019) Im Zwangsvollstreckungsverfahren der Deutschen Umwelthilfe (DUH) gegen die Bayerische Staatsregierung (AZ: 22 C 18.1718) für die „Saubere Luft“ in München verhandelt der Europäischen Gerichtshof (EuGH) am 3. September 2019 ab 14:30 Uhr über die Frage, ob eine Zwangshaft gegenüber den für den Luftreinhalteplan München verantwortlichen Amtsträgern zulässig und notwendig ist. Vorangegangen war ein Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) von November 2018. Dass der Verhandlungstermin so kurze Zeit nach Vorlageanfrage behandelt wird, ist unüblich. Der Präsident des EuGH hat das Verfahren als vordringlich zu entscheiden eingestuft. Die Deutsche Umwelthilfe wertet dies als deutliches Signal für die Relevanz dieser Rechtsfrage, die auch Auswirkungen haben wird auf die weiteren 35 Verfahren der Deutschen Umwelthilfe für die „Saubere Luft“ in Städten, aber auch grundsätzlich in allen anderen sich derzeit häufenden Fällen, in denen Regierungsvertreter Gesetze und rechtskräftige Urteile missachten.

Dass sich der EuGH mit dieser Frage auseinandersetzen muss, ist zurückzuführen auf die Weigerung der Bayerischen Staatsregierung, das bereits seit 2014 rechtskräftige Urteil für „Saubere Luft“ in München umzusetzen und Diesel-Fahrverbote in den Luftreinhalteplan der bayerischen Landeshauptstadt aufzunehmen. In dem vorherigen Beschluss von November 2018 wirft der BayVGH der Staatsregierung und seinem Ministerpräsidenten Markus Söder evidente Amtspflichtverletzungen, eine gezielte Missachtung des Gerichts sowie die Bedrohung des Fortbestands des Rechtsstaats vor.

Dazu Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe: „Die Weigerung, rechtskräftige Urteile umzusetzen, betrifft mittlerweile nicht nur den Freistaat Bayern. Im Verfahren für die ‚Saubere Luft‘ in Stuttgart wirft seit wenigen Tagen auch das höchste Verwaltungsgericht in Baden-Württemberg der Landesregierung in Stuttgart vor, sich in einer ‚dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit widersprechenden Weise‘ zu weigern, ein rechtskräftiges Urteil umzusetzen. Die Verhandlung ist von immenser Bedeutung für unseren Rechtsstaat. Wir hoffen, dass die Richter am EuGH es den nationalen Gerichten in der zunehmend von großen Industriekonzernen fremdgesteuerten Lobbyrepublik Deutschland erlaubt, gegen Politiker, die Entscheidungen von Gerichten ignorieren, wirkungsvoll vorzugehen. Bisher machen sich die CSU-Spitzenpolitiker Seehofer, Söder und Dobrindt darüber lustig, dass die Bayerische Landesregierung als höchste Strafe 10.000 Euro Zwangsgeld an sich selbst zahlen muss. Wir sind zuversichtlich, dass der Europäische Gerichtshof mit dieser Grundsatzentscheidung dazu beitragen wird, dass sich zukünftig Politiker sowie Wirtschaftskonzerne wieder an Recht und Gesetz gebunden fühlen und die Bürgerinnen und Bürger endlich zu ihrem Recht auf ‚Saubere Luft‘ kommen.“

Rechtsanwalt Remo Klinger, der die Deutsche Umwelthilfe in dem Verfahren vertritt, ergänzt: „Dass sich der Europäische Gerichtshof vor der Großen Kammer mit dem Fall befasst, ist selten und zeigt die Relevanz dieses einmaligen Verfahrens. Wenn deutsche Politiker der Annahme sind, sie stünden über der Justiz, muss das europäische Rechtssystem eine angemessene Antwort finden. Andernfalls erodiert der Rechtsstaat.“

Wird die Zwangshaft vom EuGH als anwendbar bewertet, kündigte der BayVGH in seinem Beschluss von November 2018 an, unmittelbar Haft gegenüber dem Ministerpräsidenten, dem Staatsminister für Umwelt und Verbraucherschutz, dem Präsidenten der Regierung von Oberbayern, dem Regierungsvizepräsidenten, dem Leiter der Abteilung der Regierung von Oberbayern sowie allen Mitarbeitern in der Regierung von Oberbayern, die für die Aufstellung des Luftreinhalteplans verantwortlich sind, anzuordnen. Die Haft wird aufgehoben, sobald sich die Verantwortlichen dazu bereiterklären, das rechtskräftige Urteil für die „Saubere Luft“ in München von 2014 umzusetzen.

Hintergrund

Die Deutsche Umwelthilfe hat am 29. Februar 2012 Klage gegen den Freistaat wegen Überschreitung des Stickstoffdioxid (NO2)-Grenzwertes erhoben. Mit Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 9. Oktober 2012 wurde der Freistaat Bayern antragsmäßig verurteilt, den Luftreinhalteplan mit allen Maßnahmen fortzuschreiben, die erforderlich sind, um den Grenzwert für NO2 einzuhalten. Das Urteil ist seit 2014 rechtskräftig. Mit der aktuell 6. Fortschreibung des Plans werden die Grenzwerte für NO2 im Jahresmittel erst nach 2030 eingehalten werden können. Da trotz anhaltender Luftverschmutzung keine kurzfristig wirksamen Maßnahmen für eine schnellstmögliche Grenzwerteinhaltung ergriffen werden, hat die Deutsche Umwelthilfe das Zwangsvollstreckungsverfahren eingeleitet. Nachdem bereits mehrere Zwangsgelder verhängt wurden, ist die Zwangshaft die verwaltungsrechtlich nächste Konsequenz.

Jürgen Resch ist Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe.

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) hat durch einen am 20. November 2018 bekanntgegebenen Beschluss vom 9. November 2018 entschieden, die Frage der Zulässigkeit einer Zwangshaft gegenüber den für den Luftreinhalteplan München verantwortlichen Amtsträgern dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Vorabentscheidung vorzulegen.

Der BayVGH, als das für diese Fragen letztinstanzlich zuständige Gericht, stellt in seinem Beschluss von November 2018 fest, dass man zu Fragen der Notwendigkeit von Diesel-Fahrverboten zwar eine andere Meinung haben könne, die Pflicht zur Einführung solcher Fahrverbote in München hingegen feststehe (Beschluss, Rn. 67). Das Gericht widerlegt überdies die Auffassung der Landesregierung, nach der die Luftqualität in den letzten Jahren grundlegend besser geworden sei. Dies ist vielmehr nicht festzustellen, so das Gericht, teilweise im Gegenteil (Beschluss, Rn. 88). Die Haltung der Landesregierung zeige ein für den Fortbestand des Rechtsstaats bedrohliches Rechts- und Politikverständnis, bei dem man nicht erst in anderen Mitgliedstaaten der EU suchen muss, um den Rechtsstaat in Gefahr zu sehen (Beschluss, Rn. 120).

Nach der Rechtsauffassung des BayVGH ist im nationalen Recht nicht mit abschließender Klarheit geregelt, ob in einer solchen Situation auch zum Mittel der Zwangshaft gegriffen werden dürfe. Diese Klarheit könnte sich aber dadurch ergeben, dass das Recht der Europäischen Union dazu verpflichte, im Zweifel zur Anwendung dieses Mittels zu greifen, wenn sich andernfalls das Unionsrecht nicht effektiv durchsetzen ließe.