„Flucht ins Autoritäre“: Studie zu rechtsextremen Einstellungen in Deutschland

 

Die Abwertung von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern hat 2018 zugenommen, so ein zentrales Ergebnis der aktuellen “Leipziger Autoritarismus-Studie”. 79,1 Prozent der Befragten lehnen Großzügigkeit bei der Prüfung von Asylanträgen ab. 61,5 Prozent können oder wollen nicht an die Berechtigung von Asylanträgen glauben. Asylbewerberinnen und Asylbewerber werden ebenso wie Sinti und Roma und schließlich Muslima und Muslime als kulturelle, sicherheitspolitische oder ökonomische Bedrohung imaginiert; außerdem fungieren diese Gruppen als Blitzableiter, durch den – eigene und aus anderen Ursachen erwachsene – Aggressionen kanalisiert werden.

(Berlin, 7. November 2018) In Berlin wurde heute die „Leipziger Autoritarismus-Studie“ der Universität Leipzig von Dr. Oliver Decker und Prof. Dr. Elmar Brähler (Hauptautor und Herausgeber) präsentiert. Die Studie wurde in Kooperation mit der Heinrich-Böll-Stiftung und der Otto Brenner Stiftung erstellt. In der seit 2002 laufenden repräsentativen Befragung wird die Verbreitung von rechtsextremen Einstellungen ebenso untersucht, wie die Zufriedenheit mit demokratischen Institutionen und Werten. Die aktuelle, neunte Studie legt zudem einen besonderen Schwerpunkt auf die Untersuchung autoritärer Einstellungsmuster.

Seit 2002 dokumentieren die Autoren im Zweijahresrhythmus Diktaturbefürwortung, Chauvinismus, Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus, Sozialdarwinismus und NS-Verharmlosung als Bestandteile des rechtsextremen Einstellungsmusters. 2018 untersuchten sie zum neunten Mal in einer repräsentativen Erhebung die rechtsextremen und politischen Einstellungen der deutschen Bevölkerung. Insgesamt wurden 2.516 Menschen in ihren Haushalten im gesamten Bundesgebiet von geschulten Interviewerinnen und Interviewern befragt. 2.416 Fragebögen gingen in die Auswertung ein.

Die Abwertung von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern hat 2018 zugenommen, so ein zentrales Ergebnis der Studie. 79,1 Prozent der Befragten lehnen Großzügigkeit bei der Prüfung von Asylanträgen ab. 61,5 Prozent der Befragten können oder wollen nicht an die Berechtigung von Asylanträgen glauben und schließen sich der Ansicht an: „Die meisten Asylbewerber befürchten nicht wirklich, in ihrem Heimatland verfolgt zu werden.“

Die Vorbehalte gegen Asylbewerberinnen und Asylbewerber sind am stärksten, gefolgt von denen gegen Sinti und Roma und schließlich Muslima und Muslimen, die auch noch die Meinung der Hälfte der Bevölkerung gegen sich haben. Im Hintergrund stehe einerseits, so die AutorInnen der Studie, dass die abgewerteten Gruppen als kulturelle, sicherheitspolitische oder ökonomische Bedrohung imaginiert würden; andererseits die Gelegenheit, diese Gruppen als Blitzableiter fungieren zu lassen, durch den – eigene und aus anderen Ursachen erwachsene – Aggressionen kanalisiert würden.

Während die Abwertungsbereitschaft gegenüber Migrantinnen und Migranten von vielen Befragten nur latent geäußert würde (ein Drittel antwortete mit „teils/teils“), breche sie sich gegenüber den konkreten, als schwächer imaginierten Gruppen offen Bahn. Zu diesen eindeutigen Befunden habe methodisch sicherlich auch die gewählte vierstufige Skalierung beigetragen, die zur Positionierung zwinge, so die AutorInnen.

„Es bleibt eine große gesellschaftliche Aufgabe, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit aufzuzeigen und zu ächten – besonders in Zeiten eines erstarkenden Rechtspopulismus“, so Jupp Legrand, Geschäftsführer der Otto-Brenner-Stiftung, und Peter Siller, Leiter der Inlandsabteilung der Heinrich-Böll-Stiftung.

Peter Siller und Jupp Legrand heben zudem einen weiteren Aspekt der „Autoritarismus-Studie“ hervor: „Die neuen Zahlen verdeutlichen, dass antisemitische Einstellungen nach wie vor weit verbreitet sind. Es zeigt sich eine sehr hohe Zustimmung zu den Aussagen, die den sekundären Antisemitismus messen. Dieses Ergebnis bestätigt die Vermutung, dass das antisemitische Ressentiment zwar von einer sozialen Norm verhüllt wird, aber in der deutschen Gesellschaft tief verwurzelt bleibt. Ein nur notdürftig überdeckter Antisemitismus dient als Nährboden und als Rechtfertigung für verbale und immer häufiger auch körperliche antisemitische Übergriffe.“

Die Wissenschaftler der Universität Leipzig zeigen in ihrer Untersuchung darüber hinaus, dass die Unterschiede in den Einstellungen zwischen ost- und westdeutschen Bundesländern deutlicher ausfallen, als zwischen nord- und süddeutschen. Die Studie legt zudem erstmals ein besonderes Augenmerk auf den Personenkreis von 20 bis 40 Prozent der Befragten, die die Fragen nach autoritären oder menschenfeindlichen Einstellungen mit „teils-teils“ beantworten. „Gerade hier müssen Aufklärung und Bildung für Menschenwürde und Demokratie ansetzen“ – so Peter Siller und Jupp Legrand.

Peter Siller leitet die Abteilung Politische Bildung Inland der Heinrich-Böll-Stiftung.