Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentages wirbt für neue Rollenverständnisse in der evangelischen Kirche

 

Die evangelische Kirche steht sich selbst im Weg mit ihrem Amtsverständnis und Kirchenordnungen, die noch aus einer Zeit resultieren, in der man durch Sitte und Tradition Kirchenmitglied war. Durch Austritte transformiert sich die evangelische Kirche hin zu einer Kirche der Freiwilligkeit und des mündigen Bekennens. Damit diese Transformation gelingt und sich das große Potential einer solchen Gemeinschaft freiwillig Engagierter voll entfalten kann, braucht es schon jetzt eine „hörende Kirche und ein dienendes Hauptamt“.



(Fulda, 1. Juli 2022) Auf einem Podium mit dem Titel „Wohin steuern die christlichen Kirchen?“ stellte die Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentages, Dr. Kristin Jahn, die Vielfalt der Gaben und das Engagement der Mitglieder als größtes Potential der Kirchen dar. Aufgabe der Kirchen sei es, einen Rahmen zu setzen, damit Menschen diese Gaben einbringen können, sie eine Sprache für ihr Leben finden zu lassen und im Dialog mit ihnen Dinge zu entwickeln, anstatt immer noch Sendemast-Kirche zu sein.

Ziel des am 30. Juni 2022 von der Friedrich-Naumann-Stiftung und der Katholischen Akademie Fulda veranstalteten Abends in der Akademie des Bistums Fulda war eine Standortbestimmung über aktuelle Herausforderungen und die Zukunftsfähigkeit der evangelischen und der katholischen Kirche. Eingeladen waren Verantwortliche der beiden größten christlichen Laienbewegungen Deutschlands, dem Deutschen Evangelischen Kirchentag und dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK), das durch Vizepräsident Prof. Dr. Thomas Söding vertreten wurde.

Im Hinblick auf den in dieser Woche vermeldeten rasanten Anstieg der Austrittszahlen in beiden großen Konfessionen meinte Jahn: „Die Systeme der Amtskirche sind oft nicht flexibel genug, um auf die neue Situation zu reagieren.“ Dafür sei auch die Bereitschaft notwendig, Berufsbilder und Rollenverständnisse innerhalb der Kirchen zu erneuern. Jahn: „Die evangelische Kirche steht sich aus meiner Sicht oft selbst im Weg mit ihrem Amtsverständnis und Kirchenordnungen, die noch aus einer Zeit resultieren, in der man durch Sitte und Tradition in Kirche war. Diese Zeiten sind vorbei. Heute erleben wir einen Erlösungsprozess durch Austritte hin zu einer Kirche der Freiwilligkeit und des mündigen Bekennens.“ Dies untermauerte auch Thomas Söding für seine Konfession: „Wir werden eine Kirche der freiwilligen Entscheidung sein müssen.“

Auf ihre persönliche Vorstellung von Kirche hin befragt, beschrieb Kristin Jahn diese als „Ort, wo wir einander das zeigen, was wir lieben, was uns trägt und wo wir auf den hinweisen, der uns hineingeliebt hat in die Welt.“ Damit sich das große Potential einer solchen Gemeinschaft freiwillig Engagierter voll entfalten könne, brauche es eine „hörende Kirche und ein dienendes Hauptamt“. Der Kirchentag sei dafür ein gutes Beispiel: „Er schafft Räume, damit Menschen ehrenamtlich Verantwortung übernehmen und ihre Themen und Gaben einbringen können.“

Die Frage danach, ob die Kirchen eine Zukunftschance hätten, bejahte Kristin Jahn sehr deutlich: „Fröhlich Christ zu sein, das ist unsere Chance. Der Glaube ist so viel schöner, als die Probleme, die wir uns gemacht haben.“

Dr. Kristin Jahn ist seit März 2022 Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentages.

Der Deutsche Evangelische Kirchentag wurde 1949 als christliche Laienbewegung gegründet und besteht bis heute als unabhängiger Verein fort. Alle zwei Jahre bringt er als Dialog- und Kulturevent rund 100.000 Menschen in einer anderen deutschen Großstadt zusammen. Der 38. Deutsche Evangelische Kirchentag findet vom 7. bis 11. Juni 2023 in Nürnberg statt, auf Einladung der Evang.-Luth. Kirche in Bayern, der Stadt Nürnberg und dem Freistaat Bayern. Er steht unter der Losung „Jetzt ist die Zeit“ (Mk 1,15).