Nachhaltige Freude am Leben: Die Tür steht offen!
Im spirituellen Sinn gibt es Freude und tiefes Glück als Gefühle, die sich durch das (un-)bewusste Wissen um Tod und Vergänglichkeit nicht oder nur wenig beeinträchtigen lassen. Sie können dort bestimmend werden, wo religiöser Glaube die Grenzen der Vergänglichkeit innerlich überschreitet. Was fromm klingen und säkular eingestellte Zeitgenossen ein Stück weit be-fremden mag, hat gleichwohl sein geistiges Recht.

Freude am Leben zu haben, sollte eine Selbstverständlichkeit sein, ist es aber leider nicht. Äußere oder seelische Umstände tragen individuell immer wieder zu Depressionen, Ärger oder Verzweiflung bei bis hin, dass Menschen sich das Leben nehmen. Wo es an Lebensfreude mangelt, dort fehlt es in der Regel auch an erkennbarem Sinn. Umgekehrt formuliert: Sinnvolles (Er‑)Leben ist von mehr oder weniger Freude begleitet, ja getragen. Lebensfreude, Lebenslust gibt es nicht ohne Lebenssinn. Darum können Lach-Kurse, in denen mehr oder weniger mechanisch gelacht wird, nicht wirklich und nachhaltig erfreuen: Freude wurzelt in einem anregenden und überzeugenden Grund. Ohne einen solchen bleibt „Freude“ aufgesetzt, künstlich und ist dann jedenfalls weder erfüllend noch tragfähig.
Nun ist das Leben freilich laufend durchsetzt mit Unerfreulichem, Widrigem, Lästigem. Das hängt im Grunde zusammen mit der Struktur der Schmerzhaftigkeit und Vergänglichkeit des Lebens. Die jedem denkenden Menschen bewusste Tatsache seiner Sterblichkeit umklammert seine gesamte Existenz. Gewiss will er genau diese bittere Rahmenbedingung seines Daseins nach Möglichkeit verdrängen; das wissen die Soziologen und die Philosophen schon lange.
Und so zeigt sich der Psychoanalytiker Ernest Becker überzeugt, dass „die Furcht vor dem Tode ein universelles Phänomen“ ist, das den Menschen „wie nichts sonst“ prägt, ja als maßgeblicher Faktor in seiner Kulturbildung wirksam wird. Eine amerikanische Forschergruppe hat die hieraus resultierende Todesangst-Bewältigungstheorie experimentell überprüft und bestätigt. Das Bewusstsein der Endlichkeit wirft die Frage nach dem Unendlichen und nach der Unsterblichkeit notgedrungen auf – und neigt, wo hilfreiche, überzeugende Antworten ausbleiben, konsequent zum frustrierten Abblenden dieser Fragen einerseits, zur sogar politisch forcierten Illusion eines angeblich „unendlichen Fortschritts“ andererseits.
Demgemäß aber sind die Freuden eines solchen, von einer tief angelegten Verdrängung charakterisierten Lebens nicht nachhaltig und eher selten tiefgehend – kein Vergleich zu der „vollkommenen Freude“, von der die Bibel mehrfach spricht! Menschliche Freude wird getrübt, ja überblendet durch das so gern tabuisierte Bewusstsein um die Vergänglichkeit aller Freuden. Wirklich aller? Eben nicht, denn im spirituellen Sinn gibt es Freude und tiefes Glück als Gefühle, die sich durch das (un‑)bewusste Wissen um Tod und Vergänglichkeit nicht oder nur wenig beeinträchtigen lassen. Sie können dort bestimmend werden, wo religiöser Glaube die Grenzen der Vergänglichkeit innerlich überschreitet und somit Auferstehung oder Unsterblichkeit bereits geistig vorwegnimmt.
Die Stärke christlichen Glaubens besteht darin, nicht allein die Auferstehung vom Tod und die Unsterblichkeit in der Zukunft anzuvisieren, sondern schon das jetzige Leben durch die Verbindung mit dem auferstandenen Jesus Christus tief zu durchdringen. Die Logik des Evangeliums basiert auf einer umfassenden Transzendenz im Jetzt, zumal sie völlige Versöhnung mit Gott als dem Schöpfer und Vollender einschließt. So wird tragfähige, wirklich nachhaltige Freude möglich, indem umgreifender Sinn erkennbar wird und beflügelnd ins Leben kommt. So formuliert das Neue Testament im 1. Kapitel des Kolosserbriefs: Christus „ist der Anfang der neuen Schöpfung, der Erstgeborene aller Toten, der zuerst zum neuen Leben gelangt ist, damit er in jeder Hinsicht der Erste sei. Denn Gott gefiel es, in ihm die ganze Fülle des Heils Wohnung nehmen zu lassen. Durch ihn wollte Gott alles versöhnen und zu neuer, heilvoller Einheit verbinden. Alles, was gegeneinander streitet, wollte er zur Einheit zusammenführen, nachdem er Frieden gestiftet hat durch das Blut, das Jesus am Kreuz vergoss; alles, was auf der Erde und im Himmel lebt, sollte geeint werden durch ihn und in ihm als dem letzten Ziel.“
Göttliche Liebe durchflutet das Leben derer, die sich von dieser „frohen Botschaft“ (das heißt wörtlich: „Evangelium“) erleuchten und erfreuen lassen. Auf dieser Basis kann der Apostel Paulus dazu aufrufen: „Freut euch, und noch einmal sage ich: freut euch!“ (Phil 4,4). Dem Psychologen Erich Fromm zufolge „spielt Freude in den religiösen und philosophischen Systemen, die im Sein den Sinn des Lebens sehen, eine zentrale Rolle.“ Das gilt insbesondere dort, wo es nicht um ein abstraktes Sein geht, sondern um ein versöhntes Verbundensein mit dem Schöpfer der Welt und allen Lebens, der seine Schöpfung vollenden will. Das ist ein lebendiges Sein, das in die Ewigkeit hinein ragt. Franz von Assisi hat es von daher so formuliert: „Die Freude, die das Herz des Geistesmenschen erfüllt, macht jedes todbringende Gift der Schlange zunichte.“
Es ist solche himmlische Freude, die der irdischen überlegen ist und auch allem Schmerz zu trotzen vermag. Nochmals mit Franziskus in Gebetsform gesagt: „Du bist die Geborgenheit, die Ruhe, die Fröhlichkeit und die Freude. Du bist … unsere große Glückseligkeit.“ Das gilt nicht minder in unseren modernen Zeiten. So erklärte der im Dritten Reich hingerichtete Theologe Dietrich Bonhoeffer: „Bei Gott wohnt die Freude, und von ihm kommt sie herab und ergreift Geist, Seele und Leib, und wo diese Freude einen Menschen gefaßt hat, dort greift sie um sich, dort reißt sie mit, dort sprengt sie verschlossene Türen.“ Die Logik himmlischer Freude beschreibt er mit den Worten: „Ohne die Freude an dem Mensch gewordenen und auferstandenen Sohn Gottes geraten wir ins Murren, in den Widerspruch, in die Traurigkeit. Wie finden wir aber solche Freude? Allein durch den festen Glauben: Jesus lebt! Wenn es wirklich wahr ist, dass Jesus lebt, dass er sich uns bezeugt, uns führt und hilft, wie sollten wir dann nicht ebenso froh werden wie die Jünger, als sie ihn am Ostermorgen sahen (Joh 20,20)?“ Für Bonhoeffer, der sich selbst kaum etwa als „fromm“ oder „religiös“ ansah, war es klar, dass Gottes Freude zuhause ist in jener „Welt, die unsichtbar sich um uns weitet“ und die den „hohen Lobgesang“ der erlösten Gotteskinder kennt – wie es in seinem berühmten Gedicht zum Jahresende 1944 heißt, das sein letztes Lebenszeichen an seine Mutter und an seine Braut wurde. Und schon früher hatte er betont: „Das ist unser Ziel, einzugehen in die Freude unseres Herrn – Mt 25,11.“
Was fromm klingen und säkular eingestellte Zeitgenossen ein Stück weit befremden mag, hat gleichwohl sein geistiges Recht und ist alles andere als irrational. Auch Naturwissenschaft ist sich selbst im Klaren darüber ist, wie wenig sie eigentlich weiß. Auch unter Naturwissenschaftlern finden sich gottgläubige Menschen. Insofern ist „himmlische Freude“ keineswegs intellektuell unredlich.
Freude am Leben ist aus dieser Sicht auch dann erlaubt, wenn Unerfreuliches in der Welt oder im eigenen Dasein vorherrscht – denn es geht um die Freude an einem Leben, das in die Ewigkeit hineinreicht und dort glücklich verankert ist. Schon die Sehnsucht nach dieser nachhaltigen, ja dem Neuen Testament nach vollkommenen Freude hat ihr tiefes Recht. Denn wenn von der Existenz Gottes ausgegangen werden darf, ist der Allgegenwärtige auch in jedem menschlichen Herzen präsent und selbst der Erzeuger der Sehnsucht nach ihm – kurz: nach Glückseligkeit. „Meine Schafe hören meine Stimme“ – dieses Wort Jesu deutet darauf hin, dass es eine Resonanz seiner Freudenbotschaft im Herzen gibt. Geht es ums Thema Freude, ist folglich jede Bescheidenheit fehl am Platze. Die Tür zur himmlischen Freude steht offen.
Werner Thiede.

Werner Thiede ist Pfarrer i.R. der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und apl. Professor für Systematische Theologie an der Universität Erlangen-Nürnberg. Von ihm stammt auch das Buch Himmlische Freude. Vom tiefen Glück des Glaubens, Leipzig 2024.
