Rundfunkrät*innen der Gewerkschaften legen gemeinsame Erklärung zur Kontrolle der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten vor

 

Von DGB-Gewerkschaften entsandte und gewerkschaftlich organisierte Rundfunk- und Fernsehrät*innen aus fast allen ARD-Sendeanstalten und dem ZDF stehen angesichts der aktuellen Skandale zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Sie fordern unter anderem, die gesetzlichen Regelungen zur Offenlegung der Gehälter von Führungskräften einschließlich flexibler Gehaltsanteile und geldwerter Vorteile konsequent anzuwenden und auszubauen. Die Forderung nach umfassender Transparenz ergebe sich aus der treuhänderischen Verwendung der Rundfunkbeiträge, selbst wenn dies in der Konkurrenz zu privaten Medienhäusern zu Nachteilen führen könne.



(Berlin, 30. September 2022) 29 von DGB-Gewerkschaften entsandte und gewerkschaftlich organisierte Rundfunk- und Fernsehrät*innen aus fast allen ARD-Sendeanstalten und dem ZDF haben eine gemeinsame Erklärung zur Kontrolle der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten vorgelegt. Hier die Erklärung im Wortlaut:

Gemeinsame Erklärung der von DGB-Gewerkschaften entsandten und gewerkschaftlich organisierten Rundfunkrätinnen und -räte zur Kontrolle der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten

  1. Wir setzen uns für eine Stärkung der bestehenden Compliance-Regelungen der Sendeanstalten und der Kontrollrechte der Aufsichtsgremien ein. Wir stehen zu der Kontrolle von Programm und Finanzen durch ehrenamtlich tätige Mitglieder der Rundfunk- und Verwaltungsräte. Diese sind ausschließlich der Allgemeinheit, den demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen der Gesellschaft und dem öffentlich-rechtlichen Auftrag im Sinn des Medienstaatsvertrags und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verpflichtet. Diese Aufgabe kann durch hauptamtliche Strukturen und externe Expertise unterstützt, aber nicht ersetzt werden. Um die Arbeitsbedingungen der Rundfunk- und Verwaltungsräte zu verbessern, sind die Gremiengeschäftsstellen wo nötig personell auszubauen und unbedingt unabhängig vom Einfluss der Intendantinnen und Intendanten zu organisieren. Die Aufsichtsgremien müssen die Möglichkeit haben, unabhängige Gutachten in Auftrag zu geben.
  2. Wir begrüßen die Stärkung des Auftrags der Gremien im vorliegenden Entwurf zur Änderung des Medienstaatsvertrags, „über eine wirtschaftliche und sparsame Haushalts- und Wirtschaftsführung“ zu wachen (§ 31 Abs.2a). Bereits bei der Anmeldung der Finanzbedarfe erfolgt eine solche Prüfung durch die unabhängige Sachverständigenkommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF). Soweit dies nicht bereits der Fall ist, ist die Prüfung durch die Landesrechnungshöfe gesetzlich zu verankern. Innerhalb der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sind das innerbetriebliche Controlling und Revisionswesen und die Prüfung durch unabhängige Wirtschaftsprüfungsgesellschaften zu stärken. Die Tätigkeit von Antikorruptions- und Compliance-Beauftragten ist außerhalb des Einflussbereichs der Intendantinnen und Intendanten zu organisieren. Ergänzend sollte es externe Ombudsleute geben, die auch anonym angerufen werden können.
  3. Boni bzw. flexible Gehaltsanteile für Kürzungen oder Umschichtungen im Programm sind ein Skandal. Bonuszahlungen für den Abbau von Arbeitsplätzen werden von den Gewerkschaften auch in der Privatwirtschaft angeprangert und bekämpft. Wenn Umschichtungen unter anderem in die digitalen Formate erforderlich sind, um jüngere Zielgruppen zu erreichen, sind diese gemeinsam mit den Beschäftigten zu gestalten. Führungskräfte, die dafür im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Boni kassieren, haben jedes Vertrauen verspielt.
  4. Die gesetzlichen Regelungen zur Offenlegung der Gehälter von Führungskräften einschließlich flexibler Gehaltsanteile und geldwerter Vorteile sind konsequent anzuwenden und auszubauen. Die Tätigkeit in Organen der Gemeinschaftseinrichtungen und von Tochtergesellschaften ist Bestandteil der Aufgaben der Intendantinnen und Intendanten und darf nicht zusätzlich honoriert werden. Die Ausübung weiterer Nebentätigkeiten ist nur mit Zustimmung der Aufsichtsgremien zulässig. Die Forderung nach umfassender Transparenz ergibt sich aus der treuhänderischen Verwendung der Rundfunkbeiträge, selbst wenn dies in der Konkurrenz zu privaten Medienhäusern zu Nachteilen führen kann. Dabei sind die Grundsätze der Tarifautonomie auch für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in vollem Umfang zu wahren.
  5. Dort wo dies nicht bereits der Fall ist, ist durch gesetzliche Regelungen sicherzustellen, dass Vertreterinnen und Vertreter der Beschäftigten mit vollem Stimmrecht und einem relevanten Anteil an der gesetzlichen Zahl der Mitglieder in die Verwaltungsräte entsandt werden.
  6. Damit Rundfunkräte ihrem Kontrollauftrag im Sinne der Allgemeinheit gerecht werden können, sind Qualifizierungsmaßnahmen und Fortbildungen anzubieten. Über Inhalt, Art und Umfang entscheiden die Aufsichtsgremien.
  7. Soweit nicht bereits vorhanden, sind auch für die Aufsichtsgremien Compliance-Regelungen zu entwickeln und zu beachten. Die Gewerkschaften sind aufgerufen, Kolleginnen und Kollegen zu entsenden, die sich der Aufgabe der Kontrolle und Beratung mit medienpolitischer Kompetenz und entsprechender Priorisierung in ihrem Gesamtportfolio stellen wollen und können.
  8. In den letzten Monaten waren alle Rundfunkräte mit der Durchführung der Dreistufentest-verfahren zur Prüfung des publizistischen und gesellschaftlichen Nutzens digitaler Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und zur Genehmigung von Telemedienangeboten befasst. Die zwingende Vergabe marktökonomischer Gutachten mit begrenztem Erkenntnisgewinn sollte auch mit Blick auf die geplanten Änderungen im Medienstaatsvertrag evaluiert werden. Der Grundgedanke ist es jedoch wert, vertieft betrachtet zu werden. Dazu gehört insbesondere die Verpflichtung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, konkrete Vorhaben und deren Kosten den Aufsichtsgremien zur Genehmigung vorzulegen. Auch die damit verbundene Kontrolle der Umsetzung geht weit über die bisherige Aufgabe der Beratung hinaus. Auch die für das Dreistufentestverfahren vorgegebene Trennung der Organe mit Beratungen und Entscheidungen der Rundfunkräte unter Ausschluss der Geschäftsleitungen könnte einen Beitrag zu einer größeren Eigenständigkeit und Unabhängigkeit von den Intendantinnen und Intendanten leisten.
  9. Bei allen Entscheidungen staatlicher Organe, durch eine Änderung von gesetzlichen oder staatsvertraglichen Regelungen in die Entscheidungsabläufe und Strukturen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks einzugreifen, sind die Grundsätze der Staatsferne, der Unabhängigkeit, der Rundfunkfreiheit und der Programmhoheit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu respektieren und zu bewahren.
  10. Auch angesichts der berechtigten Kritik stehen wir zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Seine Notwendigkeit und Leistungsfähigkeit wird durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von ARD, ZDF und Deutschlandradio täglich eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Deren Arbeit wird von der Allgemeinheit aufgrund ihrer Qualität und wegen der Unabhängigkeit und Verlässlichkeit in großem Maße geschätzt. Auch in diesen Tagen leisten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ‑ gerade des RBB und des NDR ‑ Enormes, um die Vorgänge nach journalistischen Grundsätzen aufzuklären und Veränderungen anzustoßen. Wir weisen alle interesse- und ideologiegeleiteten Versuche zurück, die skandalösen Vorgänge im RBB dazu zu nutzen, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk unter Generalverdacht zu stellen und kaputtzureden.

Erstunterzeichnende:

  • Harald Freiling (Initiator), Rundfunkrat hr, GEW
  • Günay Defterli, Verwaltungsrat hr, Vertreter der Beschäftigten, ver.di
  • Dr. Verena Di Pasquale, Rundfunkrat BR, stellv. Vors. DGB Bayern
  • Dr. Achim Engstler, Rundfunkrat NDR, VS in ver.di
  • Peter Freitag, Rundfunkrat WDR, ver.di (dju)
  • Kristin Gesang, Verwaltungsrat hr, stellv. Vors., Vertr. der Beschäftigten, ver.di
  • Enis Gülegen, Rundfunkrat hr, GEW-Mitglied
  • Reiner Hoffmann, ZDF-Fernsehrat, DGB-Vorsitzender 2014 bis 2022
  • Eva Hubert, Rundfunkrat NDR, ver.di-Mitglied
  • Christian Hülsmeier, Rundfunkrat WDR, IGBCE
  • Luise Klemens, Rundfunkrat BR, ver.di, Landesbezirksleiterin Bayern
  • Marianne Kugler-Wendt, Rundfunkrat SWR, DGB
  • Julia Mole, Rundfunkrat SR, ver.di
  • Dietmar Muscheid, Verwaltungsrat SWR, DGB-Vors. Rheinl.-Pf./Saar 2001 bis 2021
  • Mehrdad Payandeh, Rundfunkrat NDR, Vors. DGB Nieders.-Bremen-Sachsen-Anhalt
  • Dieter Pienkny, Rundfunkrat rbb, DGB
  • Laura Pooth, Rundfunkrat NDR, Vors. DGB Nord
  • Petra Reinbold-Knape, Rundfunkrat WDR, Stellvertreterin, IGBCE
  • Michael Rudolph, Rundfunkrat hr, Vors. DGB Hessen-Thüringen
  • Markus Schlimbach, Rundfunkrat MDR, Vors. DGB Sachsen
  • Thorsten Schmidt, Rundfunkrat SR, DGB
  • Mike Schürg, Rundfunkrat WDR, IG Metall
  • Katharina Seewald, Rundfunkrat hr, GEW-Mitglied
  • Gitta Süss-Slania, Rundfunkrat SWR, ver.di
  • Anja Weber, Rundfunkrat WDR, Vors. DGB Nordrhein-Westfalen
  • Frank Werneke, ZDF-Fernsehrat, Vors. ver.di
  • Norbert Wichmann, Rundfunkrat WDR, DGB
  • Susanne Wingertszahn, Rundfunkrat SWR, Vors. DGB Rheinland-Pfalz/Saarland
  • Sandro Witt, Rundfunkrat MDR, DGB