Es ist Zeit für eine Debatte über die Besteuerung großer Vermögen
Eine Vermögensteuer zum Abbau der demokratiegefährdenden Vermögenskonzentration in Deutschland ist nicht nur möglich, sondern auch dringend geboten. Die Analyse der deutschen Milliardenvermögen zeigt: Flucht vor der Steuer durch Wegzug ins Ausland ist wegen bestehender Gesetze nicht nur teuer, sie ist vor allem auch wenig attraktiv und weniger verbreitet, als viele Menschen denken. Die Milliardärin Susanne Klatten müsste bei einem Wegzug aus Deutschland nach aktueller Gesetzeslage etwa 6,5 Milliarden Euro an Steuern zahlen, das entspricht ungefähr 30 Prozent ihres gesamten Vermögens.

(Berlin, 2. Juli 2024) Der Verzicht auf die seit 1996 ausgesetzte Vermögensteuer hat Deutschland bislang über 380 Milliarden Euro gekostet – das entspricht 80 Prozent des Bundeshaushalts 2024. Die angeblich unvermeidbare Steuerflucht von Hochvermögenden und Superreichen ist eines der zentralen Argumente gegen die Wiedererhebung der Vermögensteuer. Die gemeinsam vom Netzwerk Steuergerechtigkeit und Oxfam Deutschland herausgegebene Studie „Keine Angst vor Steuerflucht!“ widerlegt diesen Mythos und zeigt auf: Deutschland hat in den letzten Jahrzehnten umfassende und international vorbildliche Regeln etabliert, die Steuerflucht massiv erschweren, wenn nicht sogar unmöglich machen. Eine Vermögensteuer zum Abbau der demokratiegefährdenden Vermögenskonzentration ist daher nicht nur möglich, sondern auch dringend geboten.
Manuel Schmitt, Referent für Soziale Ungleichheit von Oxfam Deutschland: „Die Studie zeigt ganz klar: Der Kampf gegen Steuerflucht ist vor allem eine Frage des politischen Willens. Anstatt im Bundeshaushalt zum Kahlschlag unter anderem bei der Entwicklungszusammenarbeit und bei Sozialausgaben anzusetzen, sollte die Bundesregierung die Besteuerung sehr hoher Vermögen endlich auf die Tagesordnung setzen. So könnte die demokratiegefährdende Vermögenskonzentration verringert und dringend benötigte finanzielle Mittel für den sozialen Zusammenhalt und den Klimaschutz generiert werden – in Deutschland und weltweit.“
Christoph Trautvetter, Netzwerk Steuergerechtigkeit: “Die Angst vor der Steuerflucht ist in der Bevölkerung genauso wie in der Politik weit verbreitet. Aber die Angst ist irrational. Steuerflucht ist kein Schicksal und auch kein Massenphänomen. Die wenigsten Menschen kennen die bereits sehr wirksamen und weitreichenden Gegenmaßnahmen. Und anders als einzelne Skandale das nahelegen, sind die meisten großen deutschen Vermögen nicht im Ausland und sie sind über ihr soziales und politisches Kapital mit Deutschland verbunden. Zeit also für eine rationale Debatte über die Besteuerung großer Vermögen.”
Daten, Zahlen und Fakten aus der Studie „Keine Angst vor Steuerflucht!“
Bis 1996 wurde auf Vermögen in Deutschland eine Vermögensteuer von einem Prozent fällig. Weil sie seitdem ausgesetzt ist, fehlen mindestens 380 Milliarden Euro in der Gemeinschaftskasse. Im gleichen Zeitraum sind die Vermögen der hundert reichsten Deutschen um etwa 460 Milliarden Euro gewachsen. Eine überwältigende Mehrheit der Menschen befürwortet eigentlich die Wiedereinführung der Steuer, fürchtet aber gleichzeitig die angeblich drohende Steuerflucht von Vermögenden.
Die Analyse der deutschen Milliardenvermögen zeigt: Steuerflucht ist wegen der bestehenden Gesetze nicht nur teuer, sie ist vor allem auch weniger attraktiv und weniger verbreitet, als viele Menschen denken. Auch wenn es in der Vergangenheit Möglichkeiten zur steuerfreien Flucht gab, sind 172 von 226 deutschen Milliardär*innen weiterhin weitgehend in Deutschland steuerpflichtig. Neben der schrittweise verbesserten Gesetzgebung und geschlossenen Schlupflöchern liegt das wahrscheinlich auch daran, dass mit der Flucht wesentliche Teile des sozialen Kapitals und des gesellschaftlichen und politischen Einflusses verloren gehen.
Beispielrechnung am Fall Susanne Klatten: Kosten eines fiktiven Wegzugs
Laut Forbes Magazin hat Susanne Klatten ein Vermögen von 24,4 Milliarden US-Dollar (ungefähr 22,6 Milliarden Euro). Das Manager Magazin schätzt das gemeinsame Vermögen von ihr und ihrem Bruder Stefan Quandt auf 40,5 Milliarden Euro. Dieses Vermögen lässt sich grob in drei Teile gliedern:
- BMW-Anteil von 21,7 Prozent, von den Eltern geerbt, Wert zum Stichtag 30. Mai 2024 insgesamt 11,65 Milliarden Euro, 21,5 Prozent der Anteile hält sie über die Susanne Klatten Beteiligungs-GmbH, 0,2 Prozent direkt im Privatvermögen.
- 100 Prozent der Anteile an der Altana AG, ebenfalls von den Eltern geerbt beziehungsweise aus Verkaufserlösen der Pharmasparte erworben, seit 2010 keine Börsennotierung, weitere Beteiligungen über die Skion GmbH gehalten.
- In den Beteiligungsgesellschaften einbehaltene und reinvestierte Dividenden.
Bei einem Wegzug müsste Susanne Klatten die Wertsteigerung ihrer Anteile an den beiden Beteiligungsgesellschaften versteuern. Der Wert der Susanne Klatten Beteiligungs-GmbH besteht zum größten Teil aus den BMW-Aktien und den dort angesparten BMW-Dividenden. Weil sie die BMW-Anteile, genauso wie schon ihr Vater vor ihr, geerbt hat, dürften die historischen Anschaffungskosten im Vergleich zum aktuellen Wert vernachlässigbar sein. Die Differenz zum aktuellen Wert von 11,65 Milliarden Euro müsste zum persönlichen Steuersatz von 45 Prozent zuzüglich Solidaritätszuschlag und gegebenenfalls Kirchensteuer versteuert werden, allerdings sind nach dem Teileinkünfteverfahren nur 60 Prozent der Wertsteigerung steuerpflichtig. So ergäbe sich eine Steuer von etwa 3,3 Milliarden Euro allein für die BMW-Anteile. Rechnet man diesen Betrag auf ihr gesamtes Vermögen hoch, beträgt der Wert etwa 6,5 Milliarden Euro, das entspricht ungefähr 30 Prozent ihres gesamten Vermögens.
Fazit: Kampf gegen Steuerflucht ist vor allem eine Frage des politischen Willens
Der Kampf gegen Steuerflucht ist also vor allem eine Frage des politischen Willens (Manuel Schmitt, Referent für Soziale Ungleichheit von Oxfam Deutschland). Die größte Gefahr ist, dass die Konzentration von Vermögen und Macht ein Ausmaß annimmt, das demokratische Entscheidungen auf diesem Gebiet unmöglich macht. Noch ist es nicht zu spät, die sehr große und demokratiegefährdende Vermögenskonzentration mit einer Vermögensteuer zu verringern.
Eine Vermögensteuer zum Abbau der demokratiegefährdenden Vermögenskonzentration ist nicht nur möglich, sondern auch dringend geboten. Wenn dies im Rahmen einer europäischen oder sogar einer international abgesprochenen Lösung erfolgt, würde das die ohnehin geringe Gefahr der Steuerflucht noch weiter minimieren.
Manuel Schmitt ist Referent für Soziale Ungleichheit bei Oxfam Deutschland.

Die Studie „Keine Angst vor Steuerflucht!“ steht über diesen Link zum Download als PDF-Datei bereit.