Brandmauer bröckelt weiter: Europäisches Parlament schwächt EU-Lieferkettengesetz massiv ab

Die EVP entkernt die europäische Lieferkettenrichtlinie mit Stimmen der extremen Rechten. Eine der wichtigsten Schutzmauern der europäischen Demokratie die Brandmauer gegen Rechtsradikale – ist damit weiter unterminiert. Die massive Abschwächung ist ein schwerer Schlag für den Schutz von Menschenrechten und Umwelt.

(Brüssel, Bonn, 13. November 2025) „Die viel beschworene Brandmauer zerbröselt vor unser aller Augen“, warnt Friedel Hütz-Adams vom entwicklungspolitischen Institut SÜDWIND e.V. „Die Europäische Volkspartei (EVP) hat sich erneut auf eine Linie mit den Rechtsradikalen begeben – dieses Mal, um das EU-Lieferkettengesetz entscheidend zu verwässern.“ Bereits im vergangenen Jahr hatten konservative und rechte Fraktionen im Europäischen Parlament gemeinsam versucht, die Entwaldungsverordnung der EU zu schwächen. „Es ist also nicht das erste Mal, dass sich ein solches Bündnis zusammenfindet“, so Hütz-Adams. „Doch dieses Mal geht es um das Herzstück europäischer Verantwortung für Menschenrechte und nachhaltiges Wirtschaften.“

Menschenrechte geraten ins Hintertreffen

Das EU-Lieferkettengesetz – ebenso wie das deutsche Pendant – sollte ursprünglich sicherstellen, dass Unternehmen entlang ihrer Lieferketten Menschenrechte achten und Umweltstandards einhalten. Doch nun drohen zentrale Bestandteile des Gesetzes gestrichen zu werden.

„Statt über den Schutz von Arbeiterinnen und Arbeitern zu sprechen, wird die Debatte schon seit Längerem von Schlagworten wie Bürokratieabbau und Wettbewerbsfähigkeit beherrscht“, kritisiert Hütz-Adams. „Das ist fatal – gerade jetzt, wo erste Studien belegen, dass die Lieferkettengesetze positive Effekte zeigen. Beschäftigte in Produktionsländern berichten von konkreten Verbesserungen. Diese Fortschritte drohen nun zunichtegemacht zu werden.“

Nach dem heutigen Beschluss sollen nur noch Unternehmen mit mehr als 5.000 Beschäftigten unter die Vorgaben der Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) fallen. „Für große Teile der Wirtschaft gilt also weiterhin Business as usual. Die Menschenrechte bleiben auf der Strecke“, so Hütz-Adams.

Besonders kritisch sieht SÜDWIND den Bruch mit internationalen Standards: „Die Beschlüsse stellen eine klare Abkehr von den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte dar“, betont Hütz-Adams. „Diese Leitprinzipien waren die Blaupause für die Gesetzgebungsprozesse in Deutschland und Europa. Dass gerade europäische Regierungen diesen risikobasierten Ansatz nun infrage stellen, ist ein gefährliches Signal – auch international.“

Appell an die politischen Verantwortungsträger

SÜDWIND fordert die europäischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger auf, im anstehenden Trilog-Verfahren zwischen EU-Kommission, Rat und Parlament zur ursprünglichen Zielsetzung des Gesetzes zurückzukehren.

„Jetzt ist der Moment, um Haltung zu zeigen“, appelliert Hütz-Adams. „Statt das Gesetz weiter zu entkernen, braucht es eine Rückbesinnung auf den risikobasierten Ansatz der Vereinten Nationen. Nur so können Menschenrechtsverletzungen effektiv verhindert werden.“ Bleibt eine solche Korrektur im Trilog aus, droht ein gravierender Rückschritt: „Dann stehen wir wieder am Anfang – und werden wiederum erkennen müssen, dass zu wenige Unternehmen ihre menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten freiwillig erfüllen“, so Hütz-Adams

Gemeinsame Sache mit rechtsextremen Kräften machen, ist ein Dammbruch

Auch die Umwelt- und Menschenrechtsorganisation Germanwatch kritisiert inhaltlich und vom Vorgehen her scharf, dass die heute im Europäischen Parlament verabschiedete Abschwächung der EU-Lieferkettenrichtlinie und der Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichtserstattung durch ein Bündnis der Europäischen Volkspartei (EVP) mit extrem rechten Parteien zustande gekommen ist. „Dass die EVP zur Verwässerung eines zentralen Menschenrechts- und Umweltgesetzes gemeinsame Sache mit rechtsextremen Kräften macht, ist ein Dammbruch. Wer demokratische Werte beschwört, darf nicht den Schutz von Arbeitnehmerinnen, Betroffenen entlang globaler Lieferketten und der Umwelt opfern. Und wer mit der extremen Rechten kooperiert, untergräbt selbst die Demokratie“, sagt Juliane Bing, Referentin für Unternehmensverantwortung bei Germanwatch.

Dieses Vorgehen untergrabe auch die Autorität von CDU-Chef Friedrich Merz. Denn der hatte für die CDU, die die größte Gruppe der Europäischen Volkspartei stellt, noch vor wenigen Wochen eine klare Abgrenzung zu Rechtsaußen angekündigt. „Die heutige Abstimmung zeigt das Gegenteil: Anstatt die Brandmauer zu verteidigen, wurde sie geopfert – und das auf dem Rücken derer, die am dringendsten Schutz brauchen“, so Bing weiter.

Germanwatch warnt, dass diese Entscheidung die Glaubwürdigkeit der EU als globaler Vorreiterin für Menschenrechte und nachhaltiges Wirtschaften beschädige. Die Verwässerungen bei den Haftungsregelungen, bei der Verantwortung entlang der Lieferkette und bei der Beteiligung von Arbeitnehmervertretungen setzten ein falsches Signal.

Im kommenden Trilog fordert Germanwatch die Bundesregierung auf, Haltung zu zeigen. Sie müsse sich klar für die notwendigen Regeln zum Schutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und für verbindliche Umwelt- und Menschenrechtsstandards einsetzen – und gleichzeitig ein deutliches Zeichen gegen jede Form der Zusammenarbeit mit rechtsextremen Kräften setzen.

„Jetzt ist der Moment, in dem Berlin zeigen muss, dass Deutschland für ein wertebasiertes Europa steht. Wer Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Menschenrechte und zukunftsfähiges Wirtschaften ernst nimmt, darf das Einreißen der Brandmauer nicht hinnehmen“, fordert Juliane Bing.

Friedel Hütz-Adams ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter beim entwicklungspolitischen Institut SÜDWIND e.V.