Corona-Pandemie: 95 Prozent aller Länder froren Steuern für Wohlhabende und Konzerne ein oder senkten sie sogar – trotz Kürzungen bei Gesundheit, Bildung und sozialer Sicherung

 

Für jeden Dollar, der für Gesundheit ausgegeben wird, zahlen einkommensschwache Länder vier an ihre reichen Gläubiger. Die Bundesregierung sollte sich für einen umfassenden Schuldenerlass einsetzen, regt die Hilfs- und Entwicklungsorganisation Oxfam an. Darüber hinaus sollte sie die für 2023 vorgesehenen Kürzungen der Entwicklungsleistungen im Bundeshaushalt unbedingt rückgängig machen, um Bildung, Gesundheit und soziale Sicherung in einkommensschwachen Ländern zu finanzieren; dafür sollten auch Einnahmen aus einer umfassenden Übergewinnsteuer genutzt werden.

(Berlin, 11. Oktober 2022) Zahlreiche Länder haben seit Ausbruch der Corona-Pandemie durch ihre Politik zum Anstieg der Ungleichheit beigetragen. Die meisten Regierungen haben ihren Anteil an den Ausgaben für Gesundheit, Bildung und soziale Sicherung gekürzt und es gleichzeitig versäumt, die Steuern auf exzessive Gewinne und steigenden Reichtum zu erhöhen oder die Mindestlöhne anzuheben. Das geht aus einem aktuellen Bericht hervor, den Oxfam gemeinsam mit Development Finance International (DFI) im Vorfeld der Jahrestagung von IWF und Weltbank und dem G20-Finanzminister*innentreffen, das vom 12. Bis 14. Oktober 2022 stattfand, veröffentlicht hat.

Der „Commitment to Reducing Inequality Index 2022” (CRI) untersucht die Politik der Regierungen zur Bekämpfung sozialer Ungleichheit in 161 Ländern seit Ausbruch der Pandemie. Der Bericht zeigt, dass

  • die Hälfte der einkommensschwachen Länder die Gesundheitsausgaben ungeachtet der Pandemie gekürzt haben,
  • fast die Hälfte aller Länder den Anteil für soziale Sicherung gekürzt haben,
  • über zwei Drittel der Länder (70 Prozent) den Anteil für Bildung gekürzt haben,
  • trotz des Drucks auf die Staatsfinanzen 95 Prozent aller Länder (143 von 161) auf eine stärkere Besteuerung sehr reicher Menschen und großer Unternehmen verzichteten,
  • elf Länder sogar entsprechende Steuern gesenkt haben,
  • vor dem Hintergrund weltweit steigender Lebensmittel- und Energiepreise es zudem zwei Drittel der Länder versäumt haben, die Mindestlöhne anzuheben.

Tobias Hauschild, Leiter Soziale Gerechtigkeit von Oxfam Deutschland, erklärt: „Coronapandemie, Klimakrise und steigende Lebensmittel- und Energiepreise verschärfen die soziale Ungleichheit und Armut weltweit. Insbesondere auf gering bezahlte Arbeitnehmer*innen, vor allem Frauen, haben die Krisen massive negative Auswirkungen. Unser Index zeigt, dass die meisten Regierungen nicht die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um dieser Explosion der Ungleichheit entgegenzuwirken. Die Hauptlast dieser Krisen tragen die Menschen am unteren Ende der Einkommensskala. Millionen Menschen leiden deshalb unter Armut. Gleichzeitig haben sehr viele Vermögende und Konzerne ihre Gewinne trotz Krise massiv gesteigert. Die Politik muss sie endlich stärker in die Verantwortung nehmen.“

Der Bericht zeigt, dass in der multiplen Krisenlage auch eine andere Politik möglich ist. So hat Costa Rica seine Spitzeneinkommenssteuer um 10 Prozentpunkte angehoben, Neuseeland um 8 Prozentpunkte und Argentinien hat eine Sonderabgabe auf große Vermögen erhoben. Senegal erhöhte den Anteil seiner Bildungsausgaben am Staatshaushalt um ein Fünftel und den für soziale Sicherung um ein Drittel. Barbados führte eine umfassende Reihe von Gesetzen zur Verbesserung der Arbeitsrechte von Frauen ein.

In vielen Ländern fehlt jedoch der fiskalische Spielraum, um der derzeitigen Krisenlage zu begegnen. Im Jahr 2021 gaben die Länder mit niedrigem Einkommen 27,5 Prozent ihrer Haushaltsmittel für die Rückzahlung ihrer Schulden aus – doppelt so viel wie für Bildung, viermal so viel wie für Gesundheit und fast zwölfmal so viel wie für soziale Sicherung. Ungleichheit und die Armut in den einkommensschwachen Ländern werden durch das Beharren des IWF auf neue Sparmaßnahmen zum Abbau von Schulden und Haushaltsdefiziten weiter verschärft: Der CRI-Bericht zeigt, dass auf der Grundlage von IWF-Daten drei Viertel aller Länder weltweit in den nächsten fünf Jahren weitere Ausgabenkürzungen in Höhe von insgesamt 7,8 Billionen Dollar planen.

Hauschild führt aus: „Für jeden Dollar, der für Gesundheit ausgegeben wird, zahlen einkommensschwache Länder vier an ihre Gläubiger. Die Bundesregierung muss sich auf der IWF / Weltbank Jahrestagung und im Rahmen der G20 für einen umfassenden Schuldenerlass einsetzen. Darüber hinaus muss sie die für 2023 vorgesehenen Kürzungen der Entwicklungsleistungen im Bundeshaushalt unbedingt rückgängig machen, um Bildung, Gesundheit und soziale Sicherung in einkommensschwachen Ländern zu finanzieren. Dafür sollten auch Einnahmen aus einer umfassenden Übergewinnsteuer genutzt werden.“

Tobias Hauschild ist der Leiter Soziale Gerechtigkeit von Oxfam Deutschland.

Der Report „Commitment to Reducing Inequality Index 2022“ (CRI) steht über diesen Link zum Download als PDF bereit.