Corona-Wiederaufbaufonds darf nicht eine Wirtschaft von gestern wiederaufbauen wollen

 

Umwelt- und Entwicklungsorganisationen sehen die Vorschläge der EU-Kommission für einen Wiederaufbaufonds, mit dem die am stärksten von Corona betroffenen Länder in der EU unterstützt werden sollen, als wichtigen Schritt aus der Coronakrise. Jetzt biete sich die große Gelegenheit, eine krisenfestere globale Wirtschaft zu fördern, die auf die Erreichung der Ziele für eine global nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen einzahle. Wiederaufbauprogramme sollten sich an den Prinzipien der Nachhaltigkeit und der internationalen Solidarität orientieren; sie sollten auf den Schutz globaler Gemeingüter zielen und niemanden zurücklassen.



(Berlin/Bonn, 27. Mai 2020) Die EU-Kommission hat heute ihren Vorschlag für einen Wiederaufbaufonds vorgelegt, mit dem die am stärksten von Corona betroffenen Länder in der EU unterstützt werden sollen. Mit etwa 750 Milliarden Euro umfasst der Fonds ein beträchtliches Investitionsvolumen, bleibt aber weit hinter den vom Europäischen Parlament geforderten 2.000 Milliarden Euro und den bereits gewährten nationalen Hilfen zurück.

Die Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch sieht die Vorschläge als wichtigen Schritt aus der Coronakrise. „Das Recovery-Paket der EU-Kommission ist in mehrfacher Hinsicht wegweisend“, lobt Audrey Mathieu, Leiterin des Teams Deutsche und Europäische Klimapolitik bei Germanwatch. „Wenn die EU diese Vorschläge umsetzt, kann die Coronakrise zur Chance für die Bewältigung der Klimakrise und die Stärkung der Solidarität in Europa werden.“

Wegweisend ist aus Germanwatch-Sicht insbesondere die Anwendung der sogenannten Taxonomie als Prüfrahmen, mit dem das Risiko der Förderung klimaschädlicher Wirtschaftsaktivitäten deutlich verringert werden kann. Anders als bei den bisherigen Plänen für ein deutsches Konjunkturpaket bietet das EU-Rahmenwerk für nachhaltige Investitionen (Taxonomie) bei guter Umsetzung ein inhaltlich und methodisch sauberes Klassifizierungssystem. Germanwatch fordert die Bundesregierung auf, sich an dieser Rahmensetzung ein Beispiel zu nehmen.

„Auf Bundesebene droht derzeit eine Entwicklung, bei der die Risiken für die Klimaziele vor allem im Verkehrssektor nur durch schöne Worte ohne Lenkungswirkung begrenzt werden sollen“, so Mathieu. Statt an der EU-Taxonomie will sich die Bundesregierung bisher bei der Ausrichtung ihrer Konjunkturhilfen am sogenannten SDG-Mapping der Entwicklungsbank KfW orientieren, welches den Beitrag einzelner KfW-Aktivitäten zu den UN-Nachhaltigkeitszielen („SDGs“) bewerten soll. Während dieses SDG-Mapping für die KfW einen ersten Schritt in Richtung einer Berücksichtigung der globalen Nachhaltigkeitsziele im eigenen Geschäftsbereich darstellt, stellt es nicht sicher, dass die Klimaziele erreicht werden. Aus Germanwatch-Sicht ist dieses Bewertungssystem für die volkswirtschaftliche Steuerung nachhaltiger Investitionen völlig unzureichend.

Audrey Mathieu ist Kommissarische Teamleiterin Deutsche und Europäische Klimapolitik bei Germanwatch e.V.

Brot für die Welt und Diakonie Katastrophenhilfe: krisenfestere globale Wirtschaft fördern!

„Ein Corona-Wiederaufbaufonds darf nicht nur Europa in den Blick nehmen. Und es kann auch nicht darum gehen, eine Wirtschaft von gestern wiederaufbauen zu wollen“, erklärt Cornelia Füllkrug-Weitzel, Präsidentin von Brot für die Welt und Diakonie Katastrophenhilfe. „Jetzt bietet sich die große Gelegenheit, eine krisenfestere globale Wirtschaft zu fördern, eine Wirtschaft, die auf die Erreichung der Ziele für eine global nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen einzahlt. Wiederaufbauprogramme sollten sich an den Prinzipien der Nachhaltigkeit und der internationalen Solidarität orientieren. Sie sollten auf den Schutz globaler Gemeingüter zielen und niemanden zurücklassen.“

Ein Wiederaufbaufonds müsse dazu beitragen, eine Rohstoffwende einzuleiten und die europäische Energiewende zu beschleunigen. Konjunkturhilfen dürften nur an Unternehmen gehen, die sich verpflichten, entlang ihrer Lieferketten Menschenrechte sowie Umwelt- und Sozialstandards zu achten.

Cornelia Füllkrug-Weitzel ist Präsidentin des evangelischen Hilfswerks Brot für die Welt.

Die Präsidentin der beiden Hilfswerke betont, dass die EU sich auch ihrer Verantwortung gegenüber dem globalen Süden stellen sollte: „Um die schwerwiegenden Folgen der aufkommenden Wirtschaftskrise in Afrika abzumildern, braucht es ein nachhaltiges Konjunktur- und Beschäftigungsprogramm für unseren Nachbarkontinent. Die Afrikanische Union hat bereits Pläne zur Schaffung eines afrikanischen Binnenmarkts vorgelegt, die die EU nur aufgreifen muss. Es wäre ein großer Fortschritt, wenn die EU diese Initiative unterstützen würde, indem sie noch bestehende handelspolitische Barrieren für afrikanische Exporte abschafft. Dabei darf es nicht darum gehen, einseitig Exportchancen für europäische Unternehmen zu schaffen. Vielmehr müssen regionale Wirtschaftskreisläufe und Beschäftigung in Afrika gestärkt werden, indem besonders die Klein- und Mittelindustrie und Landwirtschaft in Afrika unterstützt werden. Die Wertschöpfung aus afrikanischen Mineralien und Agrarrohstoffen käme so den Menschen in Afrika zugute, denn sie könnten sowohl den neuen afrikanischen Markt als auch den EU-Markt bedienen.“

Wenn mit den Geldern des EU-Wiederaufbaufonds so umgegangen wird wie nach der Finanzkrise, droht eine klimapolitische Katastrophe

Die Deutsche Umwelthilfe begrüßt die klimafreundliche Ausrichtung des Kommissionsvorschlags für einen EU-Wiederaufbaufonds. Der Fonds müsse sich jedoch verbindlich am Ziel der Klimaneutralität orientieren und aufgestockt werden.

Die Deutsche Umwelthilfe lobt insbesondere den Fokus auf die energetische Gebäudesanierung. Auch die Förderung für Wind- und Solarenergieanlagen, Wasserstoffinfrastruktur sowie grüne Netzinfrastruktur sei dringend geboten, hätte jedoch großzügiger ausfallen müssen. Die Deutsche Umwelthilfe kritisiert, dass die Kommission „blauem“ Wasserstoff, der aus fossilem Erdgas gewonnen wird, die Tür offenlasse.

Deutsche-Umwelthilfe-Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner kommentiert: „In Europa wird jetzt über massive Investitionen entschieden. Wenn mit diesen Geldern so umgegangen wird wie nach der Finanzkrise, dann droht uns eine klimapolitische Katastrophe. Es darf kein Cent des Fonds in fossile Infrastruktur fließen. Das verfestigt Strukturen, die mit dem Ziel der Klimaneutralität bis zur Mitte des Jahrhunderts nicht vereinbar sind. Das Versagen der Bundesregierung, nationale Krisenhilfen an stärkere klimapolitische Auflagen zu knüpfen, darf sich nicht auf europäischer Ebene fortsetzen.“

Eine Finanzierung rückwärtsgewandter Investitionen wie neuer Straßen, Flughäfen oder Gasinfrastruktur ist im Kommissionsvorschlag nicht vorgesehen, die Kommission betrachtet die Umsetzung des Green Deals als zentrale Strategie für den Wiederaufbau. Dies kann sich allerdings in den kommenden Verhandlungen der Staats- und Regierungschefs noch ändern. Die Deutsche Umwelthilfe fordert die Bundesregierung und die europäische Kommission dazu auf, die Mittelvergabe verbindlich an den Kriterien der EU-Taxonomie für nachhaltige Investitionen auszurichten.

Sascha Müller-Kraenner ist Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe.

Dazu Constantin Zerger, Bereichsleiter Energie und Klimaschutz der Deutschen Umwelthilfe: „Um Klimaschutz und Konjunkturbelebung zusammenzubringen, müssen wir jetzt klotzen und nicht kleckern. Dass die Bundesregierung endlich von der Blockadehaltung in der gemeinsamen Schuldenaufnahme abgerückt ist, ist hierbei ein wichtiges Zeichen für europäische Solidarität. Gerade Deutschland, das die Herangehensweise der Geizigen Vier Österreich, Schweden, Dänemark und die Niederlande historisch unterstützt hat, muss diesen nun entschieden entgegentreten und sich für eine ambitionierte Umsetzung des Kommissionsvorschlags einsetzen.“

Landwirtschaft: Kommission will ausgerechnet Förderprogramme für Umweltschutz kürzen

Als größte Schwachstelle am Kommissionsvorschlag sieht Germanwatch, dass das vorgeschlagene Budget für die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU weiter die falschen Schwerpunkte setzt. Jedes Jahr würden über 30 Milliarden Euro an Großbetriebe fließen – bislang ohne wirksame Umwelt- und Tierschutzauflagen. Dagegen sollen ausgerechnet die Förderprogramme für Umweltschutz gekürzt werden. Dies steht im Widerspruch zur „Vom Hof auf den Teller“-Strategie des Europäischen Green Deal, mit der die EU-Kommission Pestizide und Antibiotika in der Landwirtschaft bis 2030 halbieren will. Germanwatch fordert, die Agrarsubventionen im EU-Haushalt konsequent an den Zielen der „Vom Hof auf den Teller“-Strategie auszurichten, und damit Landwirtinnen und Landwirten attraktive Einkommensmöglichkeiten durch umwelt- und klimafreundliche Erzeugung zu eröffnen.

Wie Konjunkturprogramme am besten mit sozialverträglichem Klimaschutz in der Landwirtschaft, der Industrie und im Verkehr kombiniert werden können, haben Germanwatch und 13 weitere Organisationen aus Frankreich und Deutschland in einer gemeinsamen Erklärung aufgezeigt.

Hintergrund:

Die Kommission wurde am 23. April vom Europäischen Rat beauftragt, den Vorschlag eines EU-Wiederaufbaufonds auszuarbeiten. Der Fonds wird als eine außerordentliche Aufstockung bestehender Programme umgesetzt und soll in den nächsten zwei Jahren ausgegeben werden. Die europäischen Staats- und Regierungschefs verhandeln den Wiederaufbaufonds erstmals auf dem kommenden EU-Ratsgipfel am 18. Juni.

Deutschland ist angesichts der am 1. Juli beginnenden EU-Ratspräsidentschaft in einer Schlüsselposition, um die EU-Haushaltspolitik konsequent am Ziel der Klimaneutralität auszurichten und dem Green Deal zu einem erfolgreichen Start zu verhelfen. Die DUH ruft die Bundesregierung dazu auf, dieser Verantwortung gerecht zu werden und mit Blick auf die kommenden Generationen die richtigen Weichen für Klimaschutz und Konjunkturbelebung zu stellen.