Daten zu Menschenhandel in Deutschland

 

Zahlen zum Menschenhandel werden im jährlichen Bundeslagebild Menschenhandel des Bundeskriminalamtes erhoben, allerdings beziehen sie sich auf die polizeibekannten Fälle, in denen ein Ermittlungsverfahren eröffnet und auch abgeschlossen wurde. Die Datenerhebung des Bundesweiten Koordinierungskreises gegen Menschenhandel – KOK e.V. ergänzt diese Kriminalstatistiken durch zivilgesellschaftliche Analysen und bildet ein breiteres Spektrum ab. Die Zahlen machen deutlich: 96 Prozent der Betroffenen waren Frauen, 60 Prozent aus westafrikanischen Staaten, davon mit 44 Prozent die meisten aus Nigeria, 81 Prozent der Fälle wurden von den Fachberatungsstellen als Zwangsprostitution eingestuft.

(Berlin, 18. Oktober 2022) Zum Europäischen Tag gegen Menschenhandel am 18. Oktober präsentiert der Bundesweite Koordinierungskreis gegen Menschenhandel – KOK e.V. seinen dritten Datenbericht zu Menschenhandel und Ausbeutung in Deutschland. Die Daten werden durch spezialisierte Fachberatungsstellen für Betroffene von Menschenhandel mit Einwilligung der Klient*innen erhoben. Die Analyse des KOK trägt dazu bei, bessere Erkenntnisse zu Menschenhandel in Deutschland zu erlangen und daraus wirksame Politik zum Schutz der Betroffenen und der erfolgreichen Strafverfolgung zu ziehen.

Blick über das kriminalstatistische Hellfeld hinaus

Die Daten der Fachberatungsstellen zeigen, dass ihre Einschätzung zum Vorliegen der Straftatbestände Menschenhandel oder Zwangsprostitution nur in sehr wenigen Fällen auch zu entsprechenden Ermittlungen führt. In nur 29 Prozent der erfassten Fälle wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet. Noch geringer ist die Zahl der tatsächlich erhobenen Anklagen. „Das macht deutlich, dass das Ausmaß von Menschenhandel und Ausbeutung in den Kriminalstatistiken nur unzureichend erfasst wird“, schlussfolgert Sophia Wirsching, Geschäftsführerin des KOK. Darüber hinaus bietet der vorliegende Datenbericht Erkenntnisse zur sozial- und aufenthaltsrechtlichen Situation von Betroffenen von Menschenhandel in Deutschland.

Zahlen aus der Praxis ergänzen Kriminalstatistiken

Die einzig zuverlässigen Zahlen zu Menschenhandel werden im jährlichen Bundeslagebild Menschenhandel des Bundeskriminalamtes erhoben. Deren Aussagekraft ist allerdings begrenzt, da sie sich auf die polizeibekannten Fälle beziehen, in denen ein Ermittlungsverfahren eröffnet und auch abgeschlossen wurde. Die Datenerhebung des KOK ergänzt diese Kriminalstatistiken durch zivilgesellschaftliche Analysen und bildet ein breiteres Spektrum ab. „Nicht nur können diese Daten das bisher bekannte Hellfeld erweitern, sie bieten auch die Möglichkeit, die Bedarfe der Betroffenen von Menschenhandel und Ausbeutung abzubilden“, erklärt Margarete Mureșan, KOK Vorstand und Leiterin der Fachberatungsstelle IN VIA Berlin. Zum Beispiel zeigt die Erfahrung aus der Praxis, dass bei der Hälfte der Klient*innen die Aufenthaltsperspektiven unsicher sind. Dies ist aber häufig Voraussetzung für Leistungen, Arbeitszugang oder Entschädigungsansprüche. Das bekräftigt die Notwendigkeit eines Aufenthalts aus humanitären Gründen und unabhängig von einer Kooperation im Strafverfahren, wie es der Koalitionsvertrag der Bundesregierung auch vorsieht.

Die Datenerhebung des KOK zu Menschenhandel und Ausbeutung in Deutschland 2021 auf einen Blick:

  • 19 teilnehmende Fachberatungsstellen
  • 725 Fälle sind insgesamt in der Datenbank enthalten
  • 612 Fälle sind zur Auswertung freigegeben
  • 437 Fälle haben die Fachberatungsstellen im Jahr 2021 weiter bearbeitet
  • 96 Prozent der beratenen Betroffenen waren Frauen
  • 60 Prozent der Klient*innen kommen aus westafrikanischen Staaten, davon mit 44 Prozent die meisten aus Nigeria
  • 73 Prozent der Klient*innen sind zwischen 22 und 29 Jahren alt
  • 81 Prozent der Fälle wurden von den Fachberatungsstellen als Zwangsprostitution eingestuft

Der Bundesweite Koordinierungskreis gegen Menschenhandel – KOK e.V. ist ein Zusammenschluss von 42 Organisationen, die sich für Betroffene von Menschenhandel und für von Gewalt betroffene Migrantinnen* einsetzen. Der KOK vernetzt die Mehrzahl aller spezialisierten Fachberatungsstellen für Betroffene von Menschenhandel in Deutschland sowie weitere in diesem Bereich tätige NGOs.

Das Grundverständnis des Bundesweiten Koordinierungskreises gegen Menschenhandel – KOK e.V. von Menschenhandel und Ausbeutung

Menschenhandel und Ausbeutung in Deutschland kommen in den verschiedensten Formen und Bereichen vor. Seit 2016 erfasst das deutsche Strafgesetzbuch (StGB) in den §§ 232 ff. die Delikte Menschenhandel, Zwangsprostitution, Zwangsarbeit, Ausbeutung der Arbeitskraft, Ausbeutung unter Ausnutzung einer Freiheitsberaubung und den Organhandel. Der Begriff Menschenhandel bezeichnet im StGB dabei lediglich das Anwerben, Befördern und Beherbergen einer Person mit dem Ziel der Ausbeutung (§ 232 StGB). Die Ausbeutung selbst bzw. ihre verschiedenen Formen werden in den nachfolgenden Paragrafen definiert.

Unter die Zwangsarbeit beziehnungsweise Ausbeutung der Arbeitskraft fallen auch die Ausbeutung von strafbaren Handlungen und die Ausbeutung der Bettelei. Bei letzterem werden Menschen dazu gebracht oder gezwungen, betteln zu gehen und die Einnahmen zu großen Teilen oder vollständig abzugeben. Bei der Ausbeutung strafbarer Handlungen werden Personen dazu gebracht, strafbare Handlungen zu begehen, beispielsweise Diebstähle, EC-Karten-Betrug oder Drogenhandel. Die finanziellen Gewinne der Straftaten behalten die Täter*innen ein. Die in der Öffentlichkeit bekannteste Form des Menschenhandels und der Ausbeutung ist die sexuelle Ausbeutung. Sie ist bereits seit 1973 strafrechtlich erfasst und wird nach wie vor in den Beratungsstellen und von der Polizei am häufigsten identifiziert. Seit dem Jahr 2005 ist Arbeitsausbeutung strafrechtlich erfasst. Zu diesen beiden Ausbeutungsformen ist bislang das meiste Wissen vorhanden.

Die Fachberatungsstellen beraten Betroffene verschiedener Formen des Menschenhandels und der Ausbeutung. Sie haben aufgrund ihrer Entstehungsgeschichte – meist in den 1980er Jahren aus einem frauenrechtlichen und feministischen Hintergrund heraus – einen Fokus auf betroffene Frauen. Einige sind aufgrund ihrer Finanzierung und ihres Mandats auf die Beratung Betroffener von sexueller Ausbeutung beschränkt, viele beraten jedoch auch Frauen, die von Arbeitsausbeutung betroffen sind. Daneben beraten die Fachberatungsstellen, die im KOK e.V. zusammengeschlossen sind, auch Betroffene weiterer Ausbeutungsformen und in einigen Fällen auch männliche Betroffene oder betroffene Trans*personen.

Sophia Wirsching ist Geschäftsführerin des Bundesweiten Koordinierungskreises gegen Menschenhandel – KOK e.V.

Die Datenerhebung des Bundesweiten Koordinierungskreises gegen Menschenhandel – KOK e.V. zu Menschenhandel und Ausbeutung in Deutschland steht über diesen Link zum Download als PDF bereit.