Jetzt erst recht! Plädoyer für die Einführung einer Gesundheits-Haftpflicht

 

Nach Berechnungen von Charité-ForscherInnen sind in Deutschland acht bis neun von zehn Corona-Neuansteckungen auf Ungeimpfte zurückzuführen; sich nicht impfen zu lassen, führt damit zu einer Schädigung Dritter, die bei häufigem Vorkommen normalerweise durch eine gesetzliche Haftpflicht abgedeckt wird. Eine Gesundheits-Haftpflicht-Versicherung zusätzlich zur Krankenversicherung kann zukünftig dazu beitragen, die gesellschaftlichen Kosten einer Pandemie zu tragen. Für diejenigen mit ausreichendem Impfschutz soll die Prämie null Euro betragen, denn diese haben bereits ihren Beitrag für eine Reduzierung des Ansteckungsgeschehens auf eine solche Weise geleistet; für die anderen könnte man eine einheitliche Prämie pro Person ansetzen, verwaltet werden könnte das sehr einfach von den Krankenkassen.



Da ist sie also krachend gescheitert, die Einführung einer allgemeinen Corona-Impfpflicht in Deutschland. Verschieden am 7.4.2022 im Deutschen Bundestag. Auch die flehende Mahnung des Bundesgesundheitsministers, dass bei immer noch 200-300 Toten täglich durch Covid19 eigentlich kein Zurücklehnen und Aussitzen denkbar sei, hat nicht gefruchtet. Der grenzenlose Freiheitsbegriff der FDP und der Wunsch der CDU/CSU, die Zerstrittenheit der Ampel öffentlich vorführen zu können, waren in der Kombination stärker. Ist da noch Hoffnung oder müssen wir ergebenst auf die nächste Welle spätestens im Herbst warten?

Es könnte einen Ausweg geben, der einen erneuten Anlauf verdiente, weil er eben nicht direkt körperlich eingreifend wirkt. Die einfache organisatorische Alternative zu einer Impfpflicht mit durchaus vergleichbarer Verhaltenswirkung wäre eine Differenzierung der Krankenkassenbeiträge nach Impfstatus. Ich habe im Sommer und Herbst 2021 dafür argumentiert, wegen der vielen Vorteile. Dazu gehört vor allem, dass es immer noch ein starkes Moment der Freiwilligkeit beibehält. Und man benötigt dafür auch kein zentrales Impfregister, da die Kassen bereits über ihre Abrechnungen ein Großteil der Impfaktivitäten in den Unterlagen haben und die von Impfzentren, Apotheken, Krankenhäusern und so weiter bei den bei ihnen Versicherten durchgeführten Impfungen diesen dezentral verwalteten Datensätzen sehr einfach zuzuspielen sind. Die Kassen können auch leicht erkennen, ob medizinische Gründe gegen eine Impfung sprechen.

Und ein nicht zu unterschätzender Pluspunkt ist weiter, dass die KV-Beiträge weitgehend automatisch und aufwandsarm abgebucht werden. Während eine Impfpflicht mit Bußgeldern von überlasteten Ordnungsbehörden und wegen der zu erwartenden Einsprüche schnell ebenso überfluteten Gerichten nur sehr aufwändig durchzusetzen wäre. Einen kleinen Vorgeschmack, was da zu erwarten ist, zeigt das französische Beispiel. Dort verfolgt die Polizei 200.000 aufgeflogene Fälschungen des dortigen Impfnachweises (‚Pass sanitaire‘). Immerhin hat der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek von der CSU gewisse Sympathien für eine solche Lösung der Differenzierung bei den Krankenkassenbeiträgen erkennen lassen, zumindest als Ergänzung zu einer Impfpflicht.

Womit ich aber in diesem Ausmaß nicht gerechnet habe, war der Einwand von vielen Seiten, damit seien ja auch in Zukunft andere Malus-Regelungen bei den gesetzlichen Krankenkassen möglich und das sei auf keinen Fall wünschenswert. So, als ob eine Gesellschaft intellektuell nicht in der Lage wäre, die Gesundheitsgefährdungen wegen einer Pandemie und durch normales Alltagsverhalten zu unterscheiden. Typisch hier die Aussage eines der Staatssekretäre im Bundeswirtschaftsministerium, Michael Keller von den Grünen: „Unser Gesundheitswesen basiert auf dem Gedanken der Solidarität… Es ist also egal, ob man jeden Morgen joggen geht oder 20 Zigaretten am Tag raucht. Die Beitragssätze sind für alle Menschen gleich.“ Es wäre für jemand in einer solchen Position doch hilfreich gewesen, sich vorher bei seinen BeamtInnen kundig zu machen. Dabei hätte man ihn sicher auf den § 52 des Fünften Buchs des Sozialgesetzbuchs, ‑ Gesetzliche Krankenversicherung ‑, aufmerksam gemacht, die die angeblich so universale Solidarität bei welchen Aktivitäten auch immer durchaus einschränken. Zwar mögen die Beitragssätze vorher gleich sein, aber bei ‚Selbstverschulden‘ kann doch jetzt schon nachträglich zur Kasse gebeten werden.

Und noch etwas ist an der Aussage von Michael Keller grundfalsch: die Annahme, wir wüssten durch einfache Anschauung, ob ein bestimmtes Verhalten kostensteigernd oder kostensenkend ist. Nehmen wir das von ihm angeführte Beispiel der 20 Zigaretten täglich versus des regelmäßigen Joggens. GesundheitsökonomInnen haben sich des Themas durchaus angenommen und sind zu überraschenden Ergebnissen gekommen. So wird in Deutschland die Gesellschaft einschließlich ihrer Sozialkassen durch das Rauchen finanziell erheblich entlastet. Denn Nichtraucher benötigen vor allem längere Rentenzahlen und zahlen keine Tabaksteuer, wobei diese einen erheblichen Posten bei den staatlichen Einnahmen bildet. Auch der unterstellte ökonomische Vorteil des Joggens ist mehr als zweifelhaft. Niederländische ForscherInnen fanden heraus, dass dort die Gesundheitsbewussten über die Lebenszeit insgesamt gerechnet vergleichsweise hohe Krankheitskosten aufwiesen, mehr als etwa die Gruppe der Übergewichtigen mit vermutlich wenig sportlichen Aktivitäten.

Nun mag es unwahrscheinlich sein, aber nach heutigem Wissenstand auch nicht völlig auszuschließen, dass eine solche Argumentation ebenso für an Corona Erkrankte mit vorheriger bewusster Nicht-Impfung gelten könnte. Niemand kann im Moment abschätzen, wie die Kosten für Covid19, und dem oft folgenden Long-Covid, netto ausfallen, wenn etwa im Fall des Versterbens daran weniger Rentenzahlungen dagegen gerechnet werden. Das sind keine vernachlässigbaren Überlegungen. So ist etwa in den von der Pandemie stark betroffenen USA die durchschnittliche Lebenserwartung schon um immerhin 1,8 Jahre gesunken.

Ich will deshalb hier die Argumentation neu adjustieren und einen etwas anders gelagerten Vorschlag machen. Vielleicht ist die ‑ trotz des § 52 SGB mit Strafzahlungsmöglichkeiten ‑ von vielen mit so viel Verve verteidigte Einheitlichkeit eines Krankenkassenbeitrags unabhängig von persönlichem Verhalten ein hohes Gut und sollte deshalb selbst bei einer Pandemie nicht in Frage gestellt werden. Dann fehlt uns aber etwas anderes: eine Haftpflicht für die Gefährdung Dritter durch Nicht-Impfung.

Denn was man mit großer Sicherheit sagen kann, ist, dass Ungeimpfte das Ansteckungsrisiko bei ihren Mitmenschen erheblich steigern und es dadurch zu dort anfallendem ‚Gesundheitsleid‘ sowie notwendig werdenden staatlichen Gegenmaßnahmen wie Geschäfts- und Kontakteinschränkungen, Schulschließungen und so weiter kommt. Diese führen dann sowohl zu privaten Einkommens- und Vermögensverlusten sowie zu öffentlichen Mehrausgaben für Kompensationsprogramme. Und natürlich auch zu ‚entgangener Lebensfreude‘ durch die restriktiven Verhaltensregeln im privaten wie öffentlichen Bereich.

Der Beitrag der Ungeimpften zum Pandemiegeschehen ist sehr hoch. Nach Berechnungen von Charité-ForscherInnen sind in Deutschland von zehn Neuansteckungen acht bis neun auf Ungeimpfte zurückzuführen. Sich nicht impfen zu lassen, führt damit zu einer Schädigung Dritter, die bei häufigem Vorkommen normalerweise durch eine gesetzliche Haftpflicht abgedeckt wird. Allen bekannt und breit akzeptiert ist hier das Beispiel der AutohalterInnen, wo man eine solche Versicherung nachweisen muss (Gesetz über die Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter).

Der Vorschlag ist also, dass künftig zusätzlich zur Krankenversicherung eine Gesundheits-Haftpflicht-Versicherung abgeschlossen werden muss, die beiträgt, die gesellschaftlichen Kosten einer Pandemie zu tragen. Für diejenigen mit ausreichendem Impfschutz soll die Prämie 0 € betragen, denn diese haben bereits ihren Beitrag für eine Reduzierung des Ansteckungsgeschehens auf eine solche Weise geleistet. Für die anderen könnte man eine einheitliche Prämie pro Person ansetzen (zum Beispiel 50 € im Monat). Verwaltet werden könnte das sehr einfach von den Krankenkassen, die ja Erfahrung mit solchen Zusatzaufgaben besitzen und via der mit ihnen verbundenen Pflegekassen bereits die Pflegversicherungs-Beiträge mit einziehen.

Man mag einwenden, dass im Unterschied zur KfZ-Haftpflicht die einzelnen VerursacherInnen einer Ansteckung fast nie festzustellen sind. Das ist richtig. Aber auch die Auto-Haftpflicht kennt eine Kompensation aus Kollektivmitteln, wenn ein/e VerursacherIn nicht ermittelt werden kann. Dazu wurde dort ein ‚Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen‘ gebildet, in den die Versicherungsfirmen einzahlen (§ 8). Diese gemeinsame Verantwortlichkeit der ohne Grund Nicht-Geimpften wäre bei einer Gesundheits-Haftpflicht dann nicht die Ausnahme, sondern die Regel.

Ebenso besonders wäre die Verwendung der eingenommenen Mittel. In einer Pandemie lassen sich die dadurch entstanden Schäden gar nicht sicher genug individualisieren. Am Ende trägt die Gesamtheit der BürgerInnen, sowohl als Betroffene, aber auch vertreten durch verschiedene Einrichtungen, direkt oder indirekt die Kosten. Deshalb wäre es nur zu angebracht, dass die Einnahmen der Gesundheits-Haftpflicht Bund und Ländern nach einem der üblichen (zum Beispiel dem vielgenutzten ‚Königsteiner Schlüssel‘) oder neu zu bildendem Aufteilungsverfahren zur Verfügung gestellt werden.

Prof. Dr. Gerd Grözinger (i.R.), Sozial- und Bildungsökonomik, Europa-Universität Flensburg.