Oxfam-Bericht 2023 zur sozialen Ungleichheit: Konzerne und Superreiche profitieren weltweit von den Krisen, während Armut und Hunger rasant steigen

 

Seit 2020 gingen 63 Prozent des gesamten neu erwirtschafteten Vermögens an das reichste Prozent der Weltbevölkerung, 37 Prozent davon an die restlichen 99 Prozent. Jahrzehntelange Steuersenkungen für die Reichsten und Unternehmen auf Kosten der Allgemeinheit haben die Ungleichheit verschärft und dazu geführt, dass die Ärmsten in vielen Ländern höhere Steuersätze zahlen als Milliardär*innen. Oxfam legt den Bericht 2023 zur sozialen Ungleichheit mit dem Titel „Survival of the Richest“ vor und fordert von der Bundesregierung eine systematische und weitreichende Besteuerung von Krisengewinnen sowie eine höhere Besteuerung reicher Menschen, um mit den Einnahmen Armut und Ungleichheit weltweit zu bekämpfen.

(Davos/Berlin, 16. Januar 2023) Seit Beginn der Corona-Pandemie hat das reichste Prozent der Weltbevölkerung rund zwei Drittel des weltweiten Vermögenszuwachses kassiert. Gleichzeitig leben 1,7 Milliarden Arbeitnehmer*innen in Ländern, in denen die Lohnentwicklung die Inflation nicht ausgleicht. 828 Millionen Menschen – etwa jede*r zehnte auf der Erde – hungern. Erstmals seit 25 Jahren haben extremer Reichtum und extreme Armut gleichzeitig zugenommen. Das geht aus dem Bericht “Survival of the Richest” hervor, den die Nothilfe- und Entwicklungsorganisation Oxfam anlässlich des Weltwirtschaftsforums vom 16. bis 18. Januar 2023 in Davos vorlegt. Oxfam fordert die Regierungen auf, diesem Trend mit Steuern auf exzessive Übergewinne und hohe Vermögen entgegenzutreten und mit den Einnahmen in den Ausbau von sozialer Sicherung, Bildung und Gesundheit zu investieren, um Ungleichheit und Armut zu bekämpfen.

Der Bericht zeigt:

  • Seit 2020 gingen 26 Billionen US-Dollar (63 Prozent) des gesamten neuen Vermögens an das reichste Prozent, während 16 Billionen US-Dollar (37 Prozent) an die restlichen 99 Prozent der Weltbevölkerung gingen.
  • In Deutschland sahnen die Reichsten besonders ab: Oxfam hat berechnet, dass von dem gesamten Vermögenszuwachs, der zwischen 2020 und 2021 in Deutschland erwirtschaftet wurde, 81 Prozent an das reichste Prozent gingen, während die restlichen 99 Prozent der Bevölkerung nur 19 Prozent des Vermögenszuwachses erhielten.
  • Die Milliardär*innen dieser Welt haben ihren Reichtum in den Jahren der Pandemie- und Lebenshaltungskostenkrise deutlich gesteigert. Der Reichtum der Milliardär*innen ist im Durchschnitt täglich um 2,7 Milliarden US-Dollar gestiegen.
  • Der Reichtum der Milliardär*innen ist im Jahr 2022 auch durch den rasanten Anstieg der Gewinne im Lebensmittel- und Energiebereich sprunghaft angestiegen. Der Bericht zeigt, dass 95 Lebensmittel- und Energiekonzerne ihre Gewinne im Jahr 2022 mehr als verdoppelt haben. Sie erzielten 306 Milliarden US-Dollar an Übergewinnen und schütteten 257 Milliarden US-Dollar (84 Prozent) davon an Aktionär*innen aus.
  • Gleichzeitig leben heute mindestens 1,7 Milliarden Arbeitnehmer*innen in Ländern, in denen die Inflation die Lohnentwicklung übersteigt, und rund 828 Millionen Menschen – also etwa jeder zehnte Mensch auf der Erde – hungern. Frauen und Mädchen machen fast 60 Prozent der hungernden Weltbevölkerung aus. Nach Angaben der Weltbank erleben wir die wohl größte Zunahme der weltweiten Ungleichheit und Armut seit dem Zweiten Weltkrieg.
  • Die einkommensschwächsten Länder geben inzwischen viermal mehr für die Rückzahlung von Schulden aus als für die Gesundheitsversorgung. Drei Viertel der Regierungen der Welt planen, ihre Ausgaben im öffentlichen Sektor, etwa im Bildungs- und Gesundheitswesen, zu kürzen – um insgesamt 7,8 Billionen US-Dollar in den nächsten fünf Jahren.
  • Weltweit stammen nur noch vier Prozent der Steuereinnahmen aus Steuern auf Vermögen.

Manuel Schmitt, Referent für soziale Ungleichheit bei Oxfam Deutschland, kommentiert: „Während Millionen Menschen nicht wissen, wie sie Lebensmittel und Energie bezahlen sollen, bringen die Krisen unserer Zeit gigantische Vermögenszuwächse für Milliardär*innen. Jahrzehntelange Steuersenkungen für die Reichsten und Unternehmen auf Kosten der Allgemeinheit haben die Ungleichheit verschärft und dazu geführt, dass die Ärmsten in vielen Ländern höhere Steuersätze zahlen als Milliardär*innen. Unser Bericht zeigt erneut: Dass von Steuersenkung für die Reichsten alle profitieren, ist ein Mythos. Konzerne und ihre superreichen Haupteigentümer*innen müssen endlich ihren fairen Beitrag zum Gemeinwohl leisten.“

Wege aus der Ungleichheit

Oxfam fordert von der Bundesregierung eine systematische und weitreichende Besteuerung von Krisengewinnen und eine höhere Besteuerung reicher Menschen, um mit den Einnahmen Armut und Ungleichheit weltweit zu bekämpfen:

  • Durch eine Übergewinnsteuer exzessive Krisengewinne von Konzernen abschöpfen:
    Die sich aus der derzeitigen Krisenlage ergebenden Übergewinne vieler Konzerne müssen mit hohen Steuersätzen von mindestens 50 Prozent besteuert werden. Die bisherigen Planungen für eine Abgabe auf Zufallsgewinne greifen zu kurz.
  • Mit einer Vermögenssteuer reiche Bevölkerung in die Verantwortung nehmen:
    Die Vermögenssteuer muss wieder eingeführt werden und es braucht angesichts der aktuellen Krisensituation eine einmalige Abgabe auf sehr hohe Vermögen. In Deutschland wird Vermögen im internationalen Vergleich bislang unterdurchschnittlich besteuert.
  • In Bildung, Gesundheit, soziale Sicherung und Geschlechtergerechtigkeit investieren:
    Es gilt mehr Mittel in den Ausbau von Bildungs-, Gesundheits- und sozialen Sicherungssystemen und die Stärkung von Frauenrechten zu investieren. In der Entwicklungszusammenarbeit müssen die entsprechenden Mittel erhöht werden.

„Die multiplen Krisen unserer Zeit haben verheerende Konsequenzen für die Mehrheit der Menschheit“, stellt der Bericht fest und erläutert weiter: „Hunderte Millionen Menschen sehen sich mit einem dramatischen Anstieg der Kosten für Güter des täglichen Bedarfs konfrontiert und sind von Armut und Hunger bedroht. Und während die Corona-Pandemie und ihre Auswirkungen noch immer viel Leid verursachen, zerstört die Klimakrise die Lebensgrundlagen von immer mehr Menschen.

[…] Soziale Ungleichheit ist eine existenzielle Bedrohung für unsere Gesellschaften. Sie verstärkt die Armut, untergräbt die Demokratie, vertieft geschlechtsspezifische und rassistische Benachteiligungen und trägt maßgeblich dazu bei, dass die Klimakrise sich zurKlimakatastrophe ausweitet.

Die tieferen Ursachen dieser sich verschärfenden Ungleichheit liegen in unserem Wirtschaftssystem, dessen handlungsleitendes Prinzip es ist, Profite für Konzerne und ihre Eigentümer*innen vor die konsequente Einhaltung der Menschenrechte und den Schutz der Erde zu stellen. Die multiplen Krisen verstärken dieses Prinzip tendenziell und die meisten Regierungen ergreifen seit Langem und auch jetzt keine wirkungsvollen Maßnahmen, um mit ihm zu brechen. Viele Regierungsentscheidungen haben eine Verschärfung der Ungleichheit sogar begünstigt. So wurden beispielsweise Steuern für reiche Privatpersonen und Unternehmen immer weiter gesenkt oder zugelassen, dass die Billionensummen, die zur Krisenbewältigung in die Volkswirtschaften gepumpt wurden, zu einem großen Teil den Reichsten zugutekamen.

Die Regierungen sind in der Verantwortung, die extreme Ungleichheit zu beseitigen und die Weichen hin zu einem Wirtschaftssystem zu stellen, in dem das Gemeinwohl aller über dem Profit einiger Weniger steht. Wie Oxfam in früheren Veröffentlichungen dargelegt hat, ist hierfür ein breites Spektrum an politischen Maßnahmen erforderlich. Ein zentraler Baustein ist die Besteuerung der reichsten Bevölkerungsteile, insbesondere des reichsten Prozents, das 45,6 Prozent des weltweiten Vermögens besitzt. Sie ist ein entscheidender Schritt, um extreme Ungleichheit in den Griff zu bekommen und Regierungen den finanziellen Spielraum zu geben, um für alle Menschen zugängliche Gesundheits-, Bildungs- und soziale Sicherungssysteme zu schaffen und in Geschlechtergerechtigkeit und antirassistisches Handeln zu investieren.“

Manuel Schmitt ist Referent für soziale Ungleichheit bei Oxfam Deutschland.

Der Bericht 2023 zur sozialen Ungleichheit mit dem Titel „Survival of the Richest“ steht über diesen Link zum Download als PDF bereit.

Eine Zusammenfassung des Berichts in deutscher Sprache mit dem Titel „Umsteuern für soziele Gerechtigkeit“ steht über diesen Link zum Download als PDF bereit.

Methodische Erläuterungen zum Bericht stehen in englischer Sprache über diesen Link zum Download als PDF bereit.