Sechs Monate COVID-19: Rekordausschüttungen nach Pandemie-Gewinnen

 

Oxfam-Bericht: Konzerne päppeln Aktionäre, statt in die Zukunft zu investieren

Oxfam fordert einen grundsätzlichen Kurswechsel der Wirtschaftspolitik, um zu verhindern, dass die Corona-Pandemie die Gesellschaft noch ungleicher und ungerechter macht. Die EU sollte Unternehmen verpflichten, Gewinne in ausreichender Höhe in den sozial-ökologischen Umbau der eigenen Geschäftsmodelle zu investieren, bevor sie Geld an Eigentümer ausschütten. So haben etwa die Aktionär*innen von Bayer entschieden, rund drei Milliarden Euro an Dividenden auszuzahlen, wobei der Konzern gleichzeitig etwa 670 Millionen Euro aus einem Nothilfefonds der britischen Regierung erhalten hat – in den vergangenen Jahrzehnten bereits hat Bayer exzessiv Profite ausgeschüttet, statt das eigene Geschäftsmodell ökologisch umzustellen.



 

(Berlin, 10. September 2020) Aktionär*innen von Großunternehmen profitieren von der Corona-Pandemie. Das zeigt der aktuelle Bericht „Power, Profits and the Pandemic“ der Nothilfe- und Entwicklungsorganisation Oxfam am Beispiel ausgewählter Unternehmen. So schütten die profitabelsten Konzerne in Europa, der USA und anderen Teilen der Welt trotz der Krise und staatlicher Unterstützung weiterhin Geld an Aktionär*innen aus, statt in menschenwürdige Arbeitsplätze und den klimakompatiblen Umbau ihrer Geschäftstätigkeit zu investieren. Auch deutsche Unternehmen wie beispielsweise BMW, Bayer und BASF planen entsprechende Ausschüttungen oder haben diese bereits getätigt, während sie gleichzeitig von milliardenschweren staatlichen Hilfszahlungen profitierten. Oxfam fordert von der Bundesregierung, ihre EU-Präsidentschaft für einen wirtschaftlichen Systemwechsel zu nutzen: Die EU muss Unternehmen gesetzlich auf das Gemeinwohl verpflichten, um zu verhindern, dass diese weiterhin nur den Interessen der Kapitaleigner dienen.

Zwischen 2010 und 2019 haben Aktionär*innen der im S&P 500 Index gelisteten Unternehmen sich gut neun Billionen US-Dollar ausschütten lassen – das entspricht über 90 Prozent ihrer Gewinne in diesem Zeitraum. Bei einigen Unternehmen lag das Verhältnis von Ausschüttung zum Gewinn über 100 Prozent: Die Unternehmen mussten sich für die Auszahlung verschulden oder Rücklagen nutzten. Diese Praxis setzt sich in der Corona-Krise fort. Oxfams Bericht zeigt, dass die 25 profitabelsten globalen Unternehmen des S&P Global 100 Index den Aktionär*innen im Jahr 2020 voraussichtlich mehr als 378 Milliarden Dollar zahlen werden. Das entspricht 124 Prozent ihrer Gewinne des laufenden Jahres.

Zwischen 2016 und 2019 haben die profitabelsten Firmen in den USA, Europa, Südkorea, Australien, Indien, Brasilien, Nigeria und Südafrika zwei Billionen US-Dollar an Aktionär*innen gezahlt, durchschnittlich 83 Prozent ihrer Gewinne. Durch Dividenden und Aktienrückkäufe zahlten die drei größten Unternehmen im Gesundheitssektor in Südafrika 163 Prozent der Gewinne an Anteilseigner aus.

„Die Konzernmanager fühlen sich zuallererst ihren Aktionären verpflichtet, und diese fordern oft Ausschüttungen ein. Doch Unternehmen haben eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung und der müssen sie nachkommen. Sie müssen in den notwendigen sozial-ökologischen Wandel ihrer Geschäftsmodelle investieren und menschenwürdige Arbeitsbedingungen für ihre Angestellten und innerhalb ihrer Lieferketten schaffen, bevor Geld in die Taschen der Eigentümer fließt“, fordert Barbara Sennholz-Weinhardt, Referentin für Wirtschaft und Globalisierung bei Oxfam.

Deutsche Unternehmen: Ausschüttungen trotz Staatshilfen

US-Unternehmen wie Apple, Microsoft, Walmart und der Google-Mutterkonzern Alphabet liegen in absoluten Zahlen vorn, wenn es um Ausschüttungen und Rückkäufe geht. Dafür zeichnen sich deutsche Unternehmen durch Dreistigkeit und Maßlosigkeit aus:

  • Aktionär*innen von BMW, darunter einige der reichsten Menschen Deutschlands, haben sich in diesem Jahr über 1,6 Milliarden Euro an Dividenden auszahlen lassen. Gleichzeitig nimmt das Unternehmen von der Allgemeinheit finanzierte Hilfen für Kurzarbeit in Anspruch und forderte staatlich finanzierte Kaufprämien, von denen es nun profitiert. In den vergangenen Jahrzehnten hat BMW seine Profite lieber an Aktionäre ausgeschüttet, als ausreichend in menschengerechte Arbeitsbedingungen in seinen Rohstoff-Lieferketten oder in ein klimakompatibles Geschäftsmodell zu investieren.
  • Aktionär*innen von BASF haben sich innerhalb der vergangenen sechs Monate satte 400 Prozent der Unternehmensgewinne ausschütten lassen, insgesamt 3,4 Milliarden Euro. Gleichzeitig hat der Konzern etwa 1,1 Milliarden Euro aus einem Nothilfefonds der britischen Regierung erhalten. In den vergangenen Jahrzehnten hat BASF exzessiv Profite ausgeschüttet, statt das eigene Geschäftsmodell ökologisch umzustellen, wie beispielsweise der hohe Anteil toxischer Pestizide, die als hochgefährlich für Menschen, Tiere und Ökosysteme eingestuft werden, an ihrer Gesamtproduktion zeigt.
  • Die Aktionär*innen von Bayer haben entschieden, rund drei Milliarden Euro an Dividenden auszuzahlen. Gleichzeitig hat der Konzern etwa 670 Millionen Euro aus einem Nothilfefonds der britischen Regierung erhalten. In den vergangenen Jahrzehnten hat Bayer ebenso wie BASF exzessiv Profite ausgeschüttet, statt das eigene Geschäftsmodell ökologisch umzustellen.

Oxfam fordert wirtschaftlichen Systemwechsel

Oxfam fordert einen grundsätzlichen Kurswechsel der Wirtschaftspolitik, um zu verhindern, dass die Corona-Pandemie die Gesellschaft noch ungleicher und ungerechter macht. Die Bundesregierung muss im Rahmen ihrer EU-Präsidentschaft einen Beitrag dazu leisten, indem sie vorhandene Initiativen energisch vorantreibt. Dazu gehört:

  • Gewinne gerecht verteilen: Die EU sollte eine Obergrenze für die Ausschüttung von Unternehmensgewinnen an Aktionäre einführen. Das Verhältnis bei Vergütungen von Konzernmanagern und Beschäftigen sollte maximal 20:1 betragen.
  • Investitionen vor Gewinnausschüttung: Die EU sollte Unternehmen verpflichten, Gewinne in ausreichender Höhe in den sozial-ökologischen Umbau der eigenen Geschäftsmodelle zu investieren, bevor sie Geld an Eigentümer ausschütten.
  • Unternehmen auf das Gemeinwohl verpflichten: Die EU sollte die Vorstände und Aufsichtsräte von Unternehmen gesetzlich verpflichten bei strategischen Entscheidungen die Interessen aller Betroffenen – inklusive Arbeitnehmer*innen, Lieferanten und Kund*innen – zu berücksichtigen anstatt einseitig die Interessen der Kapitaleigner zu bedienen.

Blick über die Grenzen

Eine vor kurzem durchgeführte Oxfam-Analyse (https://www.oxfamfrance.org/rapports/cac-40-des-profits-sans-lendemain/, französisch) ergab, dass die 40 größten französischen Unternehmen (CAC 40) ihre Aktionärsauszahlungen um 70 Prozent und die Vergütung ihrer CEOs um 60 Prozent erhöhten, während die Durchschnittsbezüge der Angestellten zwischen 2009 und 2018 nur um 20 Prozent stiegen. Diese Unternehmen hätten 98 Prozent ihres klimabedingten Investitionsbedarfs finanzieren können, wenn sie ihre Aktionärsauszahlungen bei 30 Prozent gedeckelt hätten.

Barbara Sennholz-Weinhardt ist Referentin für Wirtschaft und Globalisierung bei oxfam.

Besonders dramatisch ist die Situation in der Textilindustrie: Die zehn größten Markenhersteller von Bekleidung schütteten im letztes Jahr 21 Milliarden US-Dollar beziehungsweise 74 Prozent ihrer Gewinne an Aktionäre in Form von Dividenden und Aktienrückkäufen aus. Nun haben Millionen von Beschäftigten in der Bekleidungsindustrie in Bangladesch, Mexiko und Indien ihren Arbeitsplatz verloren, weil Unternehmen Bestellungen stornierten und sich weigerten, ihre Lieferanten zu bezahlen. In Bangladesch waren bis zu 2,2 Millionen Beschäftigte von Auftragsstornierungen betroffen. Fabrikschließungen haben im Land zu geschätzten Umsatzeinbußen von drei Milliarden Dollar geführt. COVID-19 wurde auch von Bekleidungsfabriken als Vorwand für die Entlassung gewerkschaftlich aktiver Beschäftigter genutzt. Myan Mode, ein Lieferant von Primark und Mango aus Myanmar, entließ fast die Hälfte seiner 1.274 Beschäftigten, von denen die meisten Gewerkschaftsmitglieder waren. In Indien wurden bei dem H&M-Lieferant Gokaldas Export 1.200 Arbeiterinnen und Arbeiter entlassen, während Gewerkschaftsmitglieder eingeschüchtert wurden.

Der Bericht „Power, Profits and the Pandemic“ der Nothilfe- und Entwicklungsorganisation Oxfam steht über diesen Link zum Download als PDF bereit.