Soziale Ungleichheit ist Folge politischer Entscheidungen

 

Oxfam hat gemeinsam mit dem Netzwerk „Development Finance International“ im Vorfeld der Herbsttagung von IWF und Weltbank den „Commitment to Reducing Inequality Index“ (CRI-Index) veröffentlicht. Zwar belegt Deutschland einen zweiten Platz. Doch weist der Index auf tiefgreifende Mängel bei der Bildungsfinanzierung, der Steuerprogression, wirklicher Gleichstellung von Frauen und Männern sowie bei den Mindestlöhnen hin.



 
(Berlin, 9. Oktober 2018) Viel zu wenig Einsatz gegen soziale Ungleichheit in ihrem Land zeigen derzeit die Regierungen von Nigeria, Singapur und Indien. Sie gehören zu den Schlusslichtern des „Commitment to Reducing Inequality Index“ (CRI-Index), den die Nothilfe- und Entwicklungsorganisation Oxfam gemeinsam mit dem Netzwerk „Development Finance International“ im Vorfeld der Herbsttagung von IWF und Weltbank veröffentlicht. Deutschland belegt im CRI-Index einen erfreulichen zweiten Platz. Trotz des guten Abschneidens bleiben wichtige Hindernisse beim Abbau von Ungleichheit bestehen ‑ dies zeigen die Indikatoren:

  • Bereich Sozialausgaben: Die Situation der deutschen Bildungsfinanzierung ist desaströs. Hier belegt Deutschland im Index Platz 142 von 157 und bleibt sowohl unter dem OECD-Durchschnitt, als auch hinter eigenen Zielen des Bildungsgipfels im Jahr 2008 weit zurück.
  • Bereich Steuern: Deutschland belegt mit Blick auf Steuerprogression nur Platz 88 und liegt damit im hinteren Mittelfeld. Um Ungleichheit stärker zu reduzieren, müssten im Zusammenspiel aus Einkommens-, Verbraucher- und Unternehmenssteuern niedrige Einkommen stärker entlastet und größere Einkommen stärker belastet werden.
  • Bereich Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern: Das Entgelttransparenzgesetz bringt im weltweiten Vergleich Punkte, ob es jedoch eine der größten Lohnlücken Europas ‑ von über 21 Prozent zwischen Männern und Frauen – zu schließen vermag, ist angesichts der vielen rechtlichen Hürden fraglich. Zudem ist der Mindestlohn im internationalen Vergleich niedrig – was sich auch darin zeigt, dass er nach einer Studie der Böckler-Stiftung in 19 von 20 deutschen Ballungsgebieten nicht existenzsichernd ist.

„Für Deutschland weist unser Index auf tiefgreifende Mängel bei der Bildungsfinanzierung, der Steuerprogression, wirklicher Gleichstellung von Frauen und Männern sowie bei den Mindestlöhnen hin. Vom zweiten Platz sollte man sich deshalb nicht blenden lassen, sondern genau hinschauen, wo es auch hierzulande hapert. Unser Index zeigt konkrete Handlungsfelder gegen soziale Ungleichheit auf“, so Ellen Ehmke, Analystin für soziale Ungleichheit bei Oxfam Deutschland.

Der Index macht deutlich: Es sind politische Entscheidungen, die bestimmen, wie ungleich der Reichtum einer Gesellschaft verteilt ist. Oxfam fordert Regierungen aller Staaten auf, ihr Engagement gegen Ungleichheit zu verstärken. Obwohl Deutschland im globalen Vergleich gut abschneidet, sieht die Organisation auch hierzulande Handlungsbedarf.

Im Commitment to Reducing Inequality Index (CRII) werden 157 Länder auf die ungleichheitsreduzierende Wirkung ihrer Sozialabgaben, ihrer Steuersysteme und ihrer Arbeitnehmer*innenrechte hin untersucht und bewertet. Diese drei Bereiche sind Schlüsselsektoren in der Bekämpfung sozialer Ungleichheit. Der Index zeigt, dass Staaten unabhängig von der Höhe ihres Pro-Kopf Einkommens und des gegenwärtigen Stands der Ungleichheit die Möglichkeit haben, sich gegen Ungleichheit einzusetzen. So haben in Südkorea, Indonesien, Georgien und Namibia Regierungen in den vergangenen Jahren viel getan, um die Schere zwischen arm und reich zu schließen. In Ländern wie Brasilien und Argentinien dagegen gab es zuletzt eine Trendwende, welche die Erfolge des vergangenen Jahrzehnts bedroht.

Ellen Ehmke erklärt: „Der Index zeigt, dass die Bekämpfung von Ungleichheit eine Frage des politischen Willens ist. Und in welchen Ländern dieser Wille besonders groß oder klein ist. Es geht nicht darum, das wohlhabendste Land oder die größte Volkswirtschaft zu sein, sondern darum eine Politik zu machen, die die Kluft zwischen den Reichsten und den Armen verringert.“

  • Singapur, ein Land das eines der höchsten Pro-Kopf-Einkommen der Welt aufweist, schneidet mit Blick auf Maßnahmen gegen soziale Ungleichheit mit Platz 149 denkbar schlecht ab. Ein Ursache ist der Status des Landes als Steueroase, welcher maßgeblich zur Umverteilung von unten nach oben beiträgt.
  • Nigeria belegt den letzten Platz (157). Dafür sind unter anderem niedrige Sozialausgaben, Verletzungen von Arbeitnehmer*innenrechten und unzureichende Steuereinnahmen verantwortlich. Die Platzierung spiegelt die Lebensumstände der Bevölkerung: In Nigeria stirbt jedes zehnte Kind, bevor es fünf Jahre alt ist.
  • Südkorea dagegen hat ernstzunehmende Maßnahmen gegen soziale Ungleichheit ergriffen: Die Mindestlöhne wurden um über 16 Prozent angehoben, die Steuern für Wohlhabende erhöht und die Sozialausgaben ausgeweitet. Damit erreicht das Land Platz 56.
Ellen Ehmke ist Analystin zum Thema Soziale Ungleichheit bei OXFAM Deutschland.