Übergewinnsteuer: Bis zu 100 Milliarden Euro an Einnahmen möglich

 

Wir erleben enorme Extraprofite von Mineralöl- und Stromkonzernen bei zugleich wachsender sozialer Not vieler Menschen; gleichzeitig steigt der Finanzbedarf der öffentlichen Hand, um in der Energie- und Klimakrise gegenzusteuern. Italien, Griechenland, Großbritannien, Rumänien, Spanien und Ungarn haben aufgrund der aktuellen Kriegs- und Krisensituation Übergewinnsteuern eingeführt. Die Autoren der Studie „Kriegsgewinne besteuern. Ein Beitrag zur Debatte um Übergewinnsteuern“ vergleichen die in verschiedenen Ländern bereits eingeführten Übergewinnsteuern unter anderem hinsichtlich ihrer Wirksamkeit und stellen fest, dass eine Übergewinnsteuer in Deutschland verfassungsrechtlich möglich und technisch umsetzbar ist.



(Berlin, 16. August 2022) Eine Übergewinnsteuer könnte ‑ je nach konkreter Ausgestaltung und Steuersatz ‑ dem deutschen Fiskus zwischen 30 und 100 Milliarden Euro jährlich einbringen, zeigt eine neue Studie des Netzwerk Steuergerechtigkeit im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Grundlage der Berechnung sind die erwarteten Übergewinne der Konzerne aus der Gas-, Öl- und Strombranche, die sich in Deutschland nach ersten Schätzungen der Autoren Christoph Trautvetter und David Kern-Fehrenbach auf ein Jahr berechnet auf rund 110 Milliarden Euro belaufen. Aktuell hatte zu Wochenbeginn der größte Mineralölkonzern der Welt ‑ der saudi-arabische Staatskonzern Saudi Aramco ‑ vermeldet, seinen Gewinn im ersten Halbjahr 2022 um exorbitante 40,7 Milliarden US-Dollar im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gesteigert zu haben.

„Die gestiegenen Preise für Öl, Gas und Strom bescheren einigen Energieunternehmen Rekordgewinne, die wenig mit der eigenen Leistungsfähigkeit und Innovationskraft zu tun haben. Eine Übergewinnsteuer hat das Potential, die Profiteure vom Krieg in der Ukraine an den Krisenkosten, die wir alle tragen müssen, zu beteiligen“, sagt Christoph Trautvetter vom Netzwerk Steuergerechtigkeit.

Karl-Martin Hentschel, Vertreter von Attac im Koordinierungskreis des Netzwerk Steuergerechtigkeit ergänzt: „Die Kritiker einer Übergewinnsteuer begreifen nicht, dass Milliarden ungerechtfertigter zusätzlicher Gewinne von Konzernen, die vom Krieg in der Ukraine profitieren, das Vertrauen in die Politik der Regierung und in die Gerechtigkeit unseres demokratischen Staates untergraben. Zugleich führt das dazu, dass die soziale Spaltung weiter vorangetrieben wird. Das können wir uns gerade in Krisenzeiten nicht leisten.“

„Eine Übergewinnsteuer ist überfällig. Die Studie gibt Zahlen und Argumente für ihre Einführung an die Hand. Wir erleben enorme Extraprofite von Mineralöl- und Stromkonzernen bei zugleich wachsender sozialer Not vieler Menschen. Gleichzeitig steigt der Finanzbedarf der öffentlichen Hand, um in der Energie- und Klimakrise gegenzusteuern. Jetzt gilt es, den politischen Druck für eine Übergewinnsteuer zu erhöhen“, so Daniela Trochowski, Geschäftsführerin der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

„Von London bis Athen, von Madrid bis Bukarest ‑ überall in Europa machen es unsere Nachbarn vor. Auch die Bundesregierung in Berlin muss endlich eine Übergewinnsteuer umsetzten. Das Gebot der Stunde ist es, Kriegsgewinne umzuverteilen“, kommentierte Martin Schirdewan die neue Studie. Schirdewan setzt sich als Abgeordneter der LINKEN im Europaparlament zugleich für eine gemeinsame EU-Übergewinnsteuer für multinationale Energiekonzerne ein.

„Eine Übergewinnsteuer ist verfassungsrechtlich möglich und technisch umsetzbar. Es existieren unterschiedliche wissenschaftliche und praktische Ansätze zur Ermittlung und Besteuerung von Übergewinnen. Deutschland sollte sich ein Beispiel an anderen Staaten nehmen und durch die kurzfristige Einführung einer nationalen Steuer dringend benötige Einnahmen generieren. Das würde zu mehr Steuergerechtigkeit führen und den Druck für eine internationale Lösung erhöhen““, betonte Christoph Trautvetter.

Die Autoren der Studie „Kriegsgewinne besteuern. Ein Beitrag zur Debatte um Übergewinnsteuern““ vergleichen die in verschiedenen Ländern bereits eingeführten Übergewinnsteuern unter anderem hinsichtlich ihrer Wirksamkeit. Sie schlagen vor, dass Deutschland kurzfristig eine Übergewinnsteuer für Mineralölkonzerne und Stromproduzenten einführt. Die Steuer könnte nach Vorbild nationaler Digitalsteuern anderer Länder gestaltet werden. Dabei würden die hier zu versteuernden Gewinne anhand des Umsatzes, der in Deutschland anfällt, ermittelt. Bisher versteuern die internationalen Mineralölkonzerne einen großen Teil ihrer Gewinne, die sie hierzulande erwirtschaften, nicht in Deutschland, sondern verbuchen sie in Steueroasen.

Mittelfristig sollte die Bundesregierung auf eine allgemeingültige, international abgestimmte Übergewinnsteuer hinwirken. Dafür könnten die Reformvorschläge der OECD für die globale Unternehmensbesteuerung erweitert werden.

Zahlen und Fakten aus der Studie:

  • Die sechs analysierten Mineralölkonzerne (SaudiAramco, BP, Total, Shell, ExxonMobile und Wintershall Dea) haben ihre Gewinne im ersten Halbjahr 2022 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um rund 60 Milliarden US-Dollar erhöht. Auf den gesamten Mineralölmarkt hochgerechnet ergibt sich ein Übergewinn von rund 430 Milliarden US-Dollar; für das ganze Jahr wären es sogar 1.160 Milliarden US-Dollar (Kapitel 2).
  • Öl: Vergleicht man den Preis für Rohöl seit der Ukraine-Invasion (110 US-Dollar pro Fass) mit dem über lange Zeiträume betrachteten „normalen“ Preis (60 US-Dollar) und setzt diese Preissteigerung in Bezug zum deutschen Verbrauch aus dem Jahr 2019 (107 Millionen Tonnen), ergäbe sich bei gleichbleibend hohen Preisen für das in Deutschland verkaufte Öl auf ein Jahr gerechnet ein Übergewinn von 38 Milliarden Euro. Gas: Die Verdoppelung des Gaspreises auf aktuell etwa 16 Euro/mmBTU im Vergleich zu 2021 entspräche bei einem aktuellen Jahresverbrauch von 90 Milliarden Kubikmetern einem Übergewinn im Gasgeschäft von weiteren 25 Milliarden Euro. Strom: Bei den Produzenten von Strom aus Kernkraft und erneuerbaren Energien entstehen aus dem aktuellen Preisanstieg um 140 Euro (= Differenz zwischen dem aktuellen Strompreis von etwa 180 Euro/MWh und dem mittleren Preis der letzten 15 Jahre, etwa 40 Euro/MWh) bei einem jährlichen Stromverbrauch von etwa 600 TWh zusätzliche Übergewinne von etwa 50 Milliarden Euro – ein großer Teil davon bei den vier großen Stromkonzernen (Kapitel 2).
  • Für ihre Berechnung potentieller Erträge aus einer Übergewinnsteuer gehen die Autoren beispielhaft von einem Steuersatz von 25, 50 oder 90 Prozent auf 113 Milliarden Euro Übergewinn aus. Das ergibt Steuermehreinnahmen von 28,3 beziehungsweise 56,5 beziehungsweise 101,7 Milliarden Euro (Kapitel 4).
  • Italien, Griechenland, Großbritannien, Rumänien, Spanien und Ungarn haben aufgrund der aktuellen Kriegs- und Krisensituation Übergewinnsteuern eingeführt. Sie unterscheiden sich teilweise im Anwendungsbereich, der Berechnungsmethode und der Bemessungsgrundlage. Die erwarteten Mehreinnahmen belaufen sich von 300 bis 400 Millionen Euro und 0,2 Prozent des BIP (Griechenland) auf bis zu elf Milliarden Euro und 0,6 Prozent des BIP (Italien). Auf das deutsche BIP übertragen und auf ein Jahr gerechnet wären dies Mehreinnahmen von elf (Griechenland) bis 40 Milliarden Euro (Italien).
  • Bisher werden in keinem Land die internationalen Mineralölkonzerne angemessen besteuert. Denn die Konzerne verschieben die Gewinne von umsatzstarken Ländern mit höheren Steuersätzen in Länder mit niedrigeren Steuersätzen oder in Steueroasen wie etwa die Schweiz und Singapur (Kapitel 2).
  • Dafür gibt es Lösungsansätze: Eine kurzfristig umsetzbare Übergewinnsteuer für Deutschland könnte nach Vorbild nationaler Digitalsteuern anderer Länder gestaltet werden. Eine nationale Steuer würde den Druck für eine internationale Lösung im Rahmen der OECD erhöhen.
  • Auf dem Strommarkt verteilen sich die Extraprofite ‑ je nach Geschäftsmodell und Strommix ‑ sehr unterschiedlich. Der größte Teil des Ökostroms in Deutschland wird mit Abstand von den Branchenriesen des Energiemarktes produziert, die auch auf fossile Energieträger setzen. Will man eine Übergewinnsteuer für Stromproduzenten gerecht und klimapolitisch sinnvoll ausgestalten, könnte man etwa reine Ökostromproduzenten von der Steuer ausnehmen.

Christoph Trautvetter ist Wissenschaftlicher Referent beim Netzwerk Steuergerechtigkeit.

Daniela Trochowski ist Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Die Studie „Kriegsgewinne besteuern. Ein Beitrag zur Debatte um Übergewinnsteuern“ steht über diesen Link zum Download als PDF bereit.