UN-Ausschuss rügt Deutschland: Menschenrechtsstandards für Unternehmen zu unverbindlich

 

Der Sozialausschuss der Vereinten Nationen hat seinen Abschlussbericht über die Einhaltung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte durch die Bundesrepublik Deutschland veröffentlicht. Resultat: Deutschland solle gesetzlich sicherstellen, dass Unternehmen die Menschenrechte in Auslandsgeschäften achten und für Verstöße haftbar gemacht werden können. Auch in der Agrar-, Handels-, Investitions-, Klima- und Finanzpolitik monierte der Ausschuss die mangelnde Berücksichtigung der Menschenrechte durch die Bundesregierung. Bereits im August 2018 haben mehrere Nichtregierungsorganisationen einen eigenen Schattenbericht zu dem Thema vorgelegt.

(Berlin, 18. Oktober 2018) Diese Woche hat der Sozialausschuss der Vereinten Nationen (UN) seinen Abschlussbericht über die Einhaltung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte durch die Bundesrepublik Deutschland veröffentlicht. Der Ausschuss kritisiert darin die „ausschließlich freiwillige Natur der menschenrechtlichen Sorgfalt“, wie sie im Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte beschrieben wird. Deutschland solle gesetzlich sicherstellen, dass Unternehmen die Menschenrechte in Auslandsgeschäften achten und für Verstöße haftbar gemacht werden können. Auch in der Agrar-, Handels-, Investitions-, Klima- und Finanzpolitik monierte der Ausschuss die mangelnde Berücksichtigung der Menschenrechte durch die Bundesregierung.

Die Nichtregierungsorganisationen Brot für die Welt, FIAN, Germanwatch, MISEREOR, Urgewald, Terre des Hommes, Forum Menschenrechte und das CorA-Netzwerk für Unternehmensverantwortung, die im August einen eigenen „Schattenbericht“ zum Thema vorgelegt hatten, begrüßen die UN-Empfehlungen und erwarten jetzt Konsequenzen: „Der Sozialausschuss hat klargestellt, das freiwillige Initiativen zum Schutz der Menschenrechte nicht ausreichen. Die Bundesregierung darf gesetzliche Vorgaben an die Unternehmen nicht länger verzögern“, fordert Maren Leifker, Referentin für Menschenrechte von Brot für die Welt. „Ein Unternehmen muss auch für Schäden haften, die durch ausländische Tochterunternehmen oder Geschäftspartner verursacht werden, wenn die Verstöße erkennbar und vermeidbar waren.“

Laut Koalitionsvertrag will die Bundesregierung nur dann gesetzlich tätig werden, wenn weniger als die Hälfte der deutschen Unternehmen bis 2020 Prozesse zur menschenrechtlichen Sorgfalt umsetzen. Der Sozialausschuss bemängelte, dass dies zu Regulierungslücken führt, wenn ein großer Anteil der Unternehmen die Menschenrechtsstandards nicht anwendet. „Maßgebend ist nicht, ob eine Mehrheit oder eine Minderheit der Unternehmen die Menschenrechte missachtet. Nach dieser Logik brauchten wir auch keine Gesetze gegen Diebstahl“, erklärt Armin Paasch, Referent für Wirtschaft und Menschenrechte von MISEREOR. „Selbst, wenn die Menschenrechtsverstöße deutscher Unternehmen nur wenige Menschen beträfen, müsste Deutschland ihr Recht auf Entschädigung und Wiedergutmachung gewährleisten.“

Die Nichtregierungsorganisationen kritisieren, dass die Bundesregierung und die EU sich auch auf internationaler Ebene gegen verbindliche Menschenrechtsvorgaben wehren. „Bei der laufenden Verhandlungsrunde zu einem Völkerrechtsabkommen zu Wirtschaft und Menschenrechten, dem sogenannten UN Treaty, rechtfertigte die EU am Montag ihre Vorbehalte auch damit, dass viele ihrer Mitgliedsstaaten bereits Nationale Aktionspläne zu Wirtschaft und Menschenrechten verabschiedet haben“, so Philipp Mimkes, Geschäftsführer von FIAN Deutschland. „Freiwillige Instrumente sind jedoch unzureichend. Die Prüfung des UN-Sozialausschusses zeigt einmal mehr, dass auch der angeblich so ambitionierte deutsche Aktionsplan hinter den menschenrechtlichen Anforderungen zurückbleibt.“

Aus dem Parallelbericht des FORUM MENSCHENRECHTE zu den territorialen Staatenpflichten Deutschlands

  • Verfügbarkeit von bezahlbarem Wohnraum (NMRZ): Der extreme Mietpreisanstieg in Ballungsgebieten sowie das unzureichende Angebot an preiswertem Wohnraum trägt dazu bei, dass eine wachsende Zahl an Menschen, vor allem in Metropolregionen, ihre Wohnkosten nicht decken kann, ohne andere Grundbedürfnisse zu vernachlässigen. Maßnahmen gegen den Mietpreisanstieg („Mietpreisbremse“) greifen nicht. Zugleich gibt es zu wenig öffentlich geförderten oder privat finanzierten Wohnraum für Haushalte mit niedrigem Einkommen. Der Ausbau von Sozialwohnungen ist gemessen am Bedarf viel zu niedrig. Gefordert wird, effektive Maßnahmen zu ergreifen, um Mieter gegen Mietwucher zu schützen, und Maßnahmen zu verstärken, um den Mangel an bezahlbarem Wohnraum für Haushalte mit geringen Einkommen zu überwinden.
  • Stromkosten und Stromabschaltungen (NMRZ): Die Verfügbarkeit von Haushaltstrom ist ein Bestandteil des Rechts auf angemessene Unterkunft. Eine aktuelle Studie der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen zeigt, dass „Hartz-IV“-Empfänger*innen oft nicht genug Geld zur Verfügung haben, um ihre Stromkosten zu decken. Der Effekt: Sie schränken andere Grundbedürfnisse (gesunde Ernährung, Gesundheitsausgaben etc.) ein oder verschulden sich bei den Energieversorgern. Der Bundesnetzwerkagentur zufolge wurden 2016 insgesamt 328.000 säumige Haushalte vom Stromnetz abgeschaltet (und bei 6 Mio. Haushalten dies angedroht). Dies beeinträchtigt nicht nur das Recht auf Wohnen, sondern auch andere Menschenrechte (Nahrung, Gesundheit, Bildung etc.). Gefordert wird, dass der Regelsatz für „Hartz-IV-Empfänger*innen“ an die tatsächlichen Energiekosten angepasst wird; Beratungsmaßnahmen für verschuldete Menschen verstärkt werden; Stromsperrungen vermieden bzw. ausgesetzt werden, insbesondere bei Haushalten mit Kindern, Alleinerziehenden und Älteren.

Aus dem Parallelbericht des FORUM MENSCHENRECHTE zu den extraterritorialen Staatenpflichten Deutschlands

  • Klimawandel: Der Klimawandel hat schwerwiegende Auswirkungen auf die Rechte auf Gesundheit, Leben, Trinkwasser und Nahrung, die vom UN-Sozialpakt geschützt werden. Der Pakt verlangt von den Staaten, Schritte zu unternehmen, um eine Verletzung dieser Rechte zu verhindern. Bislang tut Deutschland im Bereich Klima zu wenig, um diesem Anspruch gerecht zu werden. Deutschland ist einer der größten Emittenten von Treibhausgasen. Im Pariser Klimaabkommen hat sich Deutschland verpflichtet, seine Treibhausgasemissionen bis 2020 um 40 Prozent zu reduzieren. Aller Voraussicht nach wird dieses Ziel um mehr als 10 Prozent verfehlt. Deutschland gefährdet damit die Umsetzung des Abkommens. Verantwortlich dafür sind vor allem der Transport- und Energiesektor, der mit seinem konstant hohen Anteil von Kohlekraft fast 50 Prozent der Emissionen ausmacht. Ohne klare Ausstiegsstrategie für Kohlekraft wird es nicht gelingen, die mittel- und langfristigen Reduktionsziele zu erreichen. Es wird empfohlen, die Bundesregierung aufzufordern, eine Roadmap zu entwickeln, die festlegt, wie der Transport- und Energiesektor umstrukturiert werden müssen, um die Klimaziele zu erreichen. Darüber hinaus muss Deutschland einen höheren finanziellen Beitrag zu Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel leisten, von denen besonders vulnerable Gemeinden und Länder profitieren.
  • Handels- und Investitionspolitiken: Mit Unterstützung Deutschlands hat die EU ihren Druck auf afrikanische Staaten erhöht, Partnerschaftsabkommen (EPA) zu schließen, die diese Länder verpflichten, ihre Importzölle für EUProdukte um 75 bis 80 Prozent zu senken. Gleichzeitig ist es EU-Unternehmen, auch aufgrund von Agrarsubventionen, möglich, ihre Produkte, wie Milchpulver, Hühnchenteile und Tomatenmark zu Preisen unterhalb der Produktionskosten zu exportieren. Die „Überschwemmung“ afrikanischer Märkte durch solche Produkte verletzen die Rechte auf Nahrung und angemessenen Lebensstandard von kleinen Produzent/-innen vor Ort. Auch die Handels- und/ oder Investitionsschutzabkommen, welche die EU derzeit mit Südkorea, Myanmar, Mexiko und MERCOSUR verhandelt, bergen hohe menschenrechtliche Risiken. Zwar müssen die Trade Sustainability Impact Assessments (SIA) nach neuen EU-Standards auf Menschenrechte eingehen, die SIAs werden aber häufig so spät durchgeführt, dass sie die Verhandlungen nicht mehr beeinflussen. Die EU nimmt in Handelsabkommen auch keine Menschenrechtsklauseln, sondern nur noch Nachhaltigkeitskapitel auf, die abgesehen von den Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation keine Menschenrechte abdecken und keinerlei Bindungswirkung haben. Es wird empfohlen, Deutschland aufzufordern, seinen Einfluss auf EU-Ebene zu nutzen, um darauf hinzuwirken, SIAs und Nachhaltigkeitskapitel zu verbindlichen und effektiven Instrumenten zu machen, die verhindern, dass Handelsabkommen die Verwirklichung von Menschenrechten in anderen Ländern untergraben.
Maren Leifker ist Referentin für Menschenrechte bei Brot für die Welt.
Armin Paasch ist Referent für Wirtschaft und Menschenrechte bei MISEREOR.
Philipp Mimkes ist Geschäftsführer von FIAN Deutschland.