Warum die Abgabenquote des deutschen Muster-Millionärs nur halb so hoch ist wie die des Durchschnitts-Verdieners

 

Das Jahrbuch Steuergerechtigkeit illustriert anhand von acht Indikatoren die größten Ungerechtigkeiten im deutschen Steuersystem und zeigt, wie Deutschland als Niedrigsteuerland für Millionäre dazu beiträgt, dass die Reichen trotz aller Krisen immer reicher werden. Während die Durchschnitts-Verdiener-Familie 43 Prozent ihres Gehalts für Steuern und Sozialabgaben aufwendet, sind es bei der Familie eines Muster-Millionärs mit Sozialabgaben nur 24 Prozent – und das sogar dann, wenn die von seinem Unternehmen gezahlten Unternehmenssteuern einberechnet werden. Welche Steuerprivilegien dafür verantwortlich sind, rechnet das Jahrbuch Steuergerechtigkeit an einem detaillierten und typischen Beispiel vor.

(Berlin, 17. Januar 2023) Einmal im Jahr erscheint eine Statistik der OECD, die gern genutzt wird, um Deutschland zum Hochsteuerland zu erklären. Ebenfalls einmal im Jahr treffen sich in Davos die Reichen und Mächtigen und Oxfam stellt fest, dass sie noch reicher geworden sind. Passend dazu erscheint heute, herausgegeben vom Netzwerk Steuergerechtigkeit, zum zweiten Mal das Jahrbuch Steuergerechtigkeit. Anhand von acht Indikatoren illustriert es die größten Ungerechtigkeiten im deutschen Steuersystem. Es zeigt, wie Deutschland als Niedrigsteuerland für Millionäre dazu beiträgt, dass die Reichen trotz aller Krisen immer reicher werden:

  • 21 Prozent Steuern: So hoch ist der Steuersatz eines deutschen Muster-Millionärs auf ein Jahreseinkommen von 1,6 Millionen Euro. Während die Durchschnitts-Verdiener-Familie 43 Prozent ihres Gehalts für Steuern und Sozialabgaben aufwendet, sind es bei der Familie des Muster-Millionärs mit Sozialabgaben nur 24 Prozent – und das sogar dann, wenn die von seinem Unternehmen gezahlten Unternehmenssteuern einberechnet werden. Welche Steuerprivilegien dafür verantwortlich sind, rechnet das Jahrbuch Steuergerechtigkeit an einem detaillierten und typischen Beispiel vor.
  • 2,5 Prozent trotz globaler Mindeststeuer: Nach langem Ringen haben sich die EU-Staaten Ende 2022 auf eine Mindeststeuer-Richtlinie geeinigt. An den Steuerzahlungen der großen Digitalkonzerne in Deutschland wird das kaum etwas ändern. Wie viele Steuern sie global und in Deutschland zahlen, berechnet das Jahrbuch Steuergerechtigkeit ab jetzt jedes Jahr und verfolgt damit, ob das zentrale Versprechen der OECD-Reformen irgendwann Realität wird.
  • 57 Prozent nach sechs Monaten: „Deutschland darf nicht länger den Ruf eines Geldwäsche-Paradieses haben. Wir haben den Mut zum großen Wurf: Mit leistungsfähigen und wirksamen Strukturen werden wir dafür sorgen, dass die ehrlichen Kaufleute vor denen geschützt werden, die sich nicht an Regeln halten.“ Ob diesen Worten von Finanzminister Lindner auch Taten folgen, sollte sich zuerst im Transparenzregister zeigen. Aber: Nur 57 Prozent der deutschen GmbHs halten sich bisher an die Eintragungspflicht. Seit der Rede von Lindner im Sommer 2022 sind es lediglich 7 Prozent mehr geworden.
  • 75 bis 100 Milliarden Euro. So groß ist nach Schätzung aus dem ersten Jahrbuch Steuergerechtigkeit von 2021 die Gerechtigkeitslücke im deutschen Steuersystem. 2022 wurde keine der Lücken adressiert und das Gerechtigkeitsdefizit ist eher noch größer geworden.

Das zweite Jahrbuch Steuergerechtigkeit 2023 enthält viele weitere Updates aus dem ersten Jahr Steuer- und Finanzpolitik der Ampelregierung, unter anderem:

  • Einen Gastbeitrag zu Schulden, Steuern, Inflation von Philippa Sigl-Glöckner vom Dezernat Zukunft;
  • die Entstehungsgeschichte rund um die unzureichende Übergewinnsteuer für Mineralölkonzerne;
  • die ersten Zahlen zur nach Erachten der Herausgeber des Jahrbuchs verfassungswidrigen Verschonungsbedarfsprüfung bei der Erbschaftsteuer;
  • die 2021 noch einmal deutlich lukrativer gewordene Tonnagesteuer und die Reaktion von Hapag-Lloyd Aktionär Klaus Kühne;
  • einen Abgleich von Wahlprogramm, Koalitionsvertrag und Regierungshandeln.

Karl-Martin Hentschel, Vertreter von Attac im Koordinierungskreis des Netzwerk Steuergererchtigkeit, sagt: „Es wird dringend notwendig, dass unser Steuersystem fair gestaltet wird und breite Schultern die größte Last tragen. Insbesondere brauchen wir wieder eine angemessene Vermögensbesteuerung, damit die Schere zwischen arm und reich nicht immer weiter aufgeht.“

Christoph Trautvetter, Koordinator Netzwerk Steuergerechtigkeit und Co-Autor des Jahrbuchs: „Deutschland besteuert Arbeit zu hoch und Kapital zu niedrig. Das macht wirtschaftlich keinen Sinn, weil sich Leistung dann nicht ausreichend lohnt. Und es macht die Vermögensverteilung in Deutschland so ungleich wie in fast keinem anderen Land der Welt und gefährdet damit den gerade in Krisenzeiten so wichtigen gesellschaftlichen Zusammenhalt.“

Julia Jirmann, Referentin für Steuerrecht beim Netzwerk Steuergerechtigkeit und Co-Autorin des Jahrbuchs: „In Deutschland gibt es weder eine Vermögensteuer noch eine Erbschaftsteuer, die sehr große Vermögen tatsächlich trifft. Stattdessen landet bei den reichsten Menschen des Landes jedes Jahr die mit Abstand größte Steuersubvention. Das dreht den Turbo der Vermögensungleichheit weiter auf und steht dem Leistungsversprechen entgegen.“

Karl-Martin Hentschel ist der Vertreter von Attac im Koordinierungskreis des Netzwerk Steuergerechtigkeit, dem attac angehört.

Das Jahrbuch Steuergerechtigkeit 2023 steht über diesen Link zum Download als PDF bereit.

Ein Arbeitspapier zum Steuersatz des Muster-Millionärs steht über diesen Link zum Download als PDF bereit.