Deutsche Friedensorganisationen verurteilen den völkerrechtswidrigen russischen Militärangriff auf die Ukraine
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung e. V. IPPNW weist auf die Gefahren hin, die von den 15 Atomkraftwerken an vier Standorten in der Ukraine durch Militärangriffe ausgehen. Der Bund für soziale Verteidigung BSV ruft die ukrainische Bevölkerung auf, einer möglichen von Russland eingesetzten neuen Regierung jeden Gehorsam zu verweigern. Der deutsche Zweig des Internationalen Versöhnungsbundes fordert die Bundesregierung auf, verfolgten Friedensgruppenmitgliedern, Kriegsdienstverweigerern und Opfern von Vergewaltigungen als Kriegswaffe in Deutschland Asyl zu gewähren.
(Berlin, Minden, 24. Februar 2022) Deutsche Friedensorganisationen verurteilen den russischen Militärangriff auf die Ukraine und fordern die Politik auf, sich für die sofortige Einstellung aller militärischen Aktivitäten, den Rückzug aller Truppen und eine Rückkehr zu Verhandlungen einzusetzen. Die ärztliche Friedensorganisation IPPNW weist zudem auf die Gefahren hin, die von den 15 Atomkraftwerken an vier Standorten in der Ukraine durch Militärangriffe ausgehen. Der Bund für soziale Verteidigung BSV ruft die ukrainische Regierung auf, auf militärischen Widerstand zu verzichten, sondern stattdessen zivilen Widerstand zu proklamieren. Die ukrainische Bevölkerung ruft der BSV auf, einer möglichen von Russland eingesetzten neuen Regierung jeden Gehorsam zu verweigern.
Der deutsche Zweig des Internationalen Versöhnungsbundes erklärt seine Solidarität mit den pazifistischen Gruppen in der Ukraine und in Russland. Er unterstützt eine Erklärung der Ukrainischen Pazifistischen Bewegung zum Einmarsch der russischen Truppen. Diese fordert unter anderem den Abzug aller Truppen, Einstellung aller Lieferungen von Waffen und militärischer Ausrüstung, Einstellung der vollständigen Mobilisierung der Bevölkerung für den Krieg, Einstellung der Kriegspropaganda und der Feindseligkeit zwischen den Bevölkerungsgruppen, in den Medien und sozialen Netzwerken. Außerdem die Verankerung der Neutralität der Ukraine in der Verfassung des Landes.
Die ausführlichen Stellungnahmen der einzelnen Organisationen:
Nein zum Krieg! – Friedensnobelpreisträgerorganisation IPPNW fordert diplomatische Lösungen
Die ärztliche Friedensorganisation Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung e. V. IPPNW verurteilt den völkerrechtswidrigen russischen Militärangriff auf die Ukraine auf das Schärfste. Sie fordert die Bundesregierung auf, sich gegenüber der russischen Regierung für die sofortige Einstellung aller militärischen Aktivitäten, den Rückzug aller Truppen und eine Rückkehr zu Verhandlungen einzusetzen. Die Ärzt*innenorganisation sieht eine diplomatische Lösung als immer noch möglich und fordert alle Seiten auf, nicht weiter zu eskalieren. Es müsse über einen sofortigen Waffenstillstand verhandelt werden.
“Unsere Sorgen gelten jetzt den Menschen in der Ukraine, die durch die humanitären Folgen von Krieg und Flucht betroffen sind. Die Situation ist für die Menschen in der Ukraine extrem traumatisierend. Es wird unmittelbare Kriegsopfer geben. Die medizinische Versorgung im Land ist gefährdet. Die Sanktionen werden vor allem die russische Zivilbevölkerung stark treffen”, so IPPNW-Vorstandsvorsitzende Dr. med. Angelika Claußen.
Die IPPNW weist zudem auf die Gefahren hin, die von den 15 Atomkraftwerken an vier Standorten in der Ukraine durch Militärangriffe ausgehen. Selbst wenn die Reaktorstandorte, die 50 Prozent des ukrainischen Strombedarfs decken, nicht direkt in der Konfliktzone liegen, könnten Militärangriffe katastrophale Folgen haben – durch die Zerstörung von Infrastruktur oder Stromausfällen steigt auch die Gefahr eines Reaktorunglücks. Der Tschernobyl-Reaktor und die Sperrzone sind potenziell gefährdet.
„Wir sind zutiefst betroffen, dass alle diplomatischen Lösungsvorschläge von Friedensforscher*innen für den Konflikt zwischen der NATO und Russland ignoriert wurden“, so Claußen weiter. „Wir befürchten, dass Sanktionen, weitere NATO-Truppenverlegungen und Militärmanöver sowie Waffenlieferungen die Situation weiter eskalieren. Das könnte zu einer Destabilisierung und einem humanitären Desaster führen. Wir fordern alle Seiten auf, wieder auf Dialog zu setzen – so schwer das in einer eskalierten Situation auch ist. Die Gesprächskanäle auf allen Ebenen müssen offen gehalten werden. Wir brauchen einen sofortigen Waffenstillstand und eine politische Lösung des Konfliktes zwischen der NATO und Russland auf der Basis der Prinzipien der gemeinsamen Sicherheit“, so Claußen abschließend.
Der Krieg hat seit 2014 bereits 13.000 Menschen das Leben gekostet, darunter rund 3000 Zivilist*innen. Drei Millionen Menschen mussten aus dem Osten des Landes fliehen, zwei Millionen davon suchten als Binnenvertriebene im Westteil des Landes Schutz.
“Statt von westlicher Seite weiter an der wirtschaftspolitischen und militärischen Gewaltspirale zu drehen, muss es neue diplomatische Initiativen geben. Sonst droht eine weitere Eskalation, die sowohl Westeuropa direkt betreffen als auch zu einem Einsatz von Atomwaffen führen kann, wenn die Dynamik der Geschehnisse weiter außer Kontrolle gerät”, ergänzt Lars Pohlmeier, Co-Vorsitzende der IPPNW.
Am Sonntag, den 27. Februar, organisiert die IPPNW gemeinsam mit anderen zivilgesellschaftlichen Organsationen, darunter unter anderen Campact, Verdi, BUND, Seebrücke und die Naturfreunde, eine großangelegte Demonstration gegen den Ukraine-Krieg in Berlin.
BSV-Appell an alle Seiten
Der Bund für soziale Verteidigung BSV hat heute früh einen Appell an die Kriegsparteien und die internationale Staatengemeinschaft formuliert:
- Wir rufen Russland auf, sofort alle Angriffe einzustellen und seine Truppen von den Grenzen zur Ukraine zurückzuziehen.
- Wir rufen die Menschen in Lugansk und Donetz auf, der russischen Regierung deutlich zu machen, dass sie ihr Schicksal selbst bestimmen wollen, nicht um den Preis eines Krieges.
- Wir rufen die ukrainische Regierung auf, auf militärischen Widerstand zu verzichten, sondern stattdessen zivilen Widerstand zu proklamieren.
- Wir rufen die ukrainische Bevölkerung auf, einer möglichen von Russland eingesetzten neuen Regierung jeden Gehorsam zu verweigern. Das nennt man Soziale Verteidigung. Wenn sich alle den Anweisungen Russlands verweigern, falls Russland die Ukraine besetzt, dann kann es seine Ziele letztlich nicht erreichen.
- Wir rufen auch die russische Bevölkerung und die russischen Soldat*innen auf, jeden Gehorsam gegenüber den Kriegshandlungen ihrer Regierung zu verweigern, gewaltfreien Widerstand zu leisten und eine Absetzung des Putin-Regimes herbeizuführen. Auch das gehört zur Soziale Verteidigung.
- Wir rufen Russland, die UNO, die OSZE, die NATO und alle Regierungen auf, sofort Verhandlungen aufzunehmen.
- Wir rufen die NATO-Mitglieder auf, bei ihrer Reaktion auf die russische Aggression Maß walten zu lassen und nicht die russische Bevölkerung für die Verbrechen ihrer Führung büßen zu lassen.
Stellungnahme des Internationalen Versöhnungsbundes
Der deutsche Zweig des Internationalen Versöhnungsbundes hat folgende Erklärung verfasst:
Der deutsche Zweig des Internationalen Versöhnungsbundes ist entsetzt, dass der Konflikt in der Ukraine so eskaliert ist. Krieg in jederlei Form ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Er eignet sich in keinster Weise, um Konflikte nachhaltig zu lösen.
Deshalb erklärt der Versöhnungsbund seine Solidarität mit den pazifistischen Gruppen in der Ukraine und in Russland. Er unterstützt die nachfolgende Erklärung der Ukrainischen Pazifistischen Bewegung:
„Wir fordern die weltweite Deeskalation und Abrüstung, die Auflösung von Militärbündnissen, die Beseitigung von Armeen und Grenzen, die Menschen trennen.
Wir fordern eine sofortige friedliche Beilegung des bewaffneten Konflikts in der Ostukraine, um Donezk und Luhansk, auf dieser Grundlage:
- Absolute Einhaltung eines Waffenstillstands durch alle pro-ukrainischen und pro-russischen Kombattanten und strikte Einhaltung des Maßnahmenpakets zur Umsetzung der Minsker Vereinbarungen, genehmigt durch die Resolution 2202 (2015) des UN-Sicherheitsrats;
- Abzug aller Truppen, Einstellung aller Lieferungen von Waffen und militärischer Ausrüstung, Einstellung der vollständigen Mobilisierung der Bevölkerung für den Krieg, Einstellung der Kriegspropaganda und der Feindseligkeit zwischen den Bevölkerungsgruppen, in den Medien und sozialen Netzwerken;
- Führung offener, inklusiver und umfassender Friedens- und Abrüstungsverhandlungen in Form eines öffentlichen Dialogs zwischen allen staatlichen und nichtstaatlichen Konfliktparteien unter Beteiligung friedensfördernder und zivilgesellschaftlicher Akteure;
- die Verankerung der Neutralität unseres Landes in der Verfassung der Ukraine;
- Gewährleistung des Menschenrechts auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen (einschließlich der Verweigerung, zum Militärdienst ausgebildet zu werden) …
Krieg ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Deshalb sind wir entschlossen, keinerlei Krieg zu unterstützen und uns für die Beseitigung aller Kriegsursachen zu bemühen.“
(https://de.connection-ev.org/article-3444)
Aus dieser Solidarität heraus fordert der deutsche Zweig des internationalen Versöhnungsbundes die Bundesregierung auf, verfolgten Friedensgruppenmitgliedern, Kriegsdienstverweigerern und Opfern von Vergewaltigungen als Kriegswaffe in Deutschland Asyl zu gewähren.
Darüber hinaus fordert er die Bundesregierung auf, alle zur Verfügung stehenden Mittel zur Deeskalation des Konfliktes zu nutzen und sich einzusetzen für:
- Einen sofortigen Waffenstillstand und die Erarbeitung eines neuen Waffenstillstandsabkommens auf der Grundlage des Minsk II-Abkommens.
- Vertrauensbildende Maßnahmen: Anbieten eines Nato-Aufnahme-Moratoriums und Rückkehr zu Verträgen wie dem Open-Skies-Abkommen.
- Die Unterstützung humanitärer Hilfe vor Ort wie sie zum Beispiel Caritas International leistet.
Dr. Christine Schweitzer ist Geschäftsführerin des Bund für Soziale Verteidigung (BSV).
Annette Nauerth ist Vorsitzende des Internationalen Versöhnungsbundes.