Jemen-Krieg: Wert von Waffenexporten der G20 um ein Vielfaches höher als ihre humanitäre Hilfe

 

Oxfam-Analyse zeigt das Missverhältnis zwischen Waffenexporten unter anderem an Saudi-Arabien und humanitärer Hilfe für den Jemen

Nach fünf Jahren Krieg leiden die Menschen im Jemen unter der weltweit größten humanitären Katastrophe: Knapp zehn Millionen Menschen sind akut von Hunger betroffen, das Land erlebt den größten Choleraausbruch seit langem, im Schnitt alle zehn Tage gibt es einen Luftangriff auf Krankenhäuser, Kliniken, Brunnen und Wassertanks. Die Corona-Pandemie hat die Notlage noch verschlimmert. Mitglieder der G20 haben seit Beginn des Krieges 2015 Waffen im Wert von mehr als 17 Milliarden US-Dollar an die Kriegspartei Saudi-Arabien geliefert, das Dreifache dessen, was die G20 aufbringen, um humanitäre Hilfe im Jemen zu leisten.


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(Berlin, 17. November 2020) Mitglieder der G20 haben Waffen im Wert von mehr als 17 Milliarden US-Dollar nach Saudi-Arabien exportiert, seit der Golfstaat 2015 Kriegspartei im Jemen wurde. Dies ist das Dreifache dessen, was die G20 aufbringen, um dort humanitäre Hilfe zu leisten. Das zeigen aktuelle Berechnungen, die die Nothilfe- und Entwicklungsorganisation Oxfam heute veröffentlicht. Ende dieser Woche findet ein von Saudi-Arabien ausgerichtetes virtuelles Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs statt. Oxfam fordert von den G20 einen größeren Beitrag zum Hilfsaufruf der Vereinten Nationen sowie mehr Engagement für einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen.

Waffenlieferungen an Saudi-Arabien und andere Golfstaaten könnten bei dem Gipfel erneut zum Thema werden, da der designierte US-Präsident Joe Biden offiziell erklärt hat, er werde Waffenexporte stoppen, die den Krieg im Jemen anheizen. Saudi-Arabien führt seit 2015 zur Unterstützung der international anerkannten Regierung im Jemen eine Militärkoalition aus acht Ländern an. Diese fliegt seit fünf Jahren Luftangriffe, denen immer wieder auch Zivilist*innen zum Opfer fallen.

Bezieht man die anderen Mitglieder der Militärkoalition ein, steigt der Wert der Waffen, die die G20 zwischen 2015 und 2019 (dem letzten Jahr, für das entsprechende Daten vorliegen) exportierten, von 17 Milliarden US-Dollar auf mindestens 31,4 Milliarden an. Das ist mehr als das Fünffache des Betrages, den die Mitgliedsstaaten der G20 zwischen 2015 und 2020 an humanitärer Hilfe für den Jemen geleistet haben.

Missverhältnis zwischen Waffen und Hilfsleistungen bei USA und UK besonders groß

Bei einigen G20-Staaten, etwa USA und dem Vereinigten Königreich, ist die Diskrepanz zwischen dem Wert ihrer Waffenexporte und dem Beitrag für humanitäre Hilfe sehr groß. Einige Länder, zum Beispiel Japan, haben in den vergangenen fünf Jahren humanitäre Hilfe im Jemen geleistet, aber keine Waffen nach Saudi-Arabien exportiert. Wieder andere Länder, wie Argentinien, haben weder das eine noch das andere getan. Saudi-Arabien selbst hat im Jemen humanitäre Hilfe im Wert von 3,8 Milliarden US-Dollar geleistet.

Deutschland nimmt mit knapp 842 Millionen US-Dollar einen der vordersten Plätze bei den Geberstaaten für humanitäre Hilfe im Jemen ein. Gleichzeitig beliefert es aber weiterhin Mitglieder der Militärkoalition wie Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate großzügig mit Waffen.

„Diese widersprüchliche Politik muss ein Ende haben“, fordert Robert Lindner, Jemen-Experte bei Oxfam Deutschland. „Die Bundesregierung muss das Ende 2020 auslaufende Exportmoratorium für deutsche Waffen nach Saudi-Arabien in ein umfassendes und zeitlich unbefristetes Rüstungsexportverbot für alle im Jemen Krieg führende Staaten überführen. Von den G20 erwarten wir, alle Konfliktparteien an einen Tisch zu bringen und sich für einen sofortigen landesweiten Waffenstillstand und anschließende Friedensverhandlungen einzusetzen.“

Hilfsaufruf der Vereinten Nationen nur zu 44 Prozent finanziert

Nach fünf Jahren Konflikt leiden die Menschen im Jemen unter der weltweit größten humanitären Katastrophe: Knapp zehn Millionen Menschen sind akut von Hunger betroffen, das Land erlebt den größten Choleraausbruch seit langem, und nur die Hälfte der Krankenhäuser ist voll einsatzfähig. Im Schnitt alle zehn Tage gibt es einen Luftangriff auf Krankenhäuser, Kliniken, Brunnen und Wassertanks. Die Corona-Pandemie hat die humanitäre Notlage noch verschlimmert. Trotzdem ist der Hilfsaufruf der Vereinten Nationen nur zu 44 Prozent finanziert.

Trotz eines von der saudischen Militärkoalition im April erklärten einseitigen Waffenstillstands gehen die Kämpfe im ganzen Land weiter. Die Gouvernements Marib und Al-Jawf im Norden des Landes sind am schlimmsten von Luftangriffen betroffen, während Taiz im Zentraljemen die stärksten Bodenkämpfe erlebt. In jüngster Zeit haben die Kämpfe in der wichtigen Hafenstadt Al-Hudaida wieder zugenommen. Über den Hafen gelangen wichtige Güter wie Lebensmitteln, Treibstoff und Medikamenten ins Land, die dringend benötigt werden, um eine Hungersnot und eine erneute Choleraepidemie zu verhindern. 

Zahlen und Daten

  • Daten über den Wert der Waffenexporte nach Saudi-Arabien und andere Länder der Militärkoalition wurden der SIPRI-Datenbank für Waffentransfers entnommen. Sie enthält Exporte von 2015 bis einschließlich 2019. Folgende Länder wurden untersucht: Ägypten, Bahrain, Jordanien, Kuwait, Saudi-Arabien, Senegal, Sudan und die Vereinigten Arabische Emirate
  • Aus Deutschland wurden von 2015-2019 an Staaten der Militärkoalition Rüstungsgüter im Wert von 1,047 Milliarden US-Dollar geliefert
  • Daten über die Höhe der im Jemen geleisteten humanitären Hilfe stammen vom UN OCHA Financial Tracking Service.

Oxfam ist eine internationale Nothilfe- und Entwicklungsorganisation, die weltweit Menschen mobilisiert, um Armut aus eigener Kraft zu überwinden. Dafür arbeiten im Oxfam-Verbund 20 Oxfam-Organisationen Seite an Seite mit rund 3.800 lokalen Partnern in mehr als 90 Ländern.

robert lindner von henning lueders KRobert Lindner ist Jemen-Experte bei Oxfam Deutschland.
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