Vereinigung Deutscher Wissenschaftler zur Eskalation im Mittleren Osten: Kluge europäische Diplomatie ist nun nötig!

 

(Berlin, 27. November 2020) Die Lage im Mittleren Osten eskaliert zusehends. Präsident Trump hatte bereits einen Militärschlag gegen den Iran favorisiert, wurde aber zunächst von seinen Beratern davon abgebracht. Angesichts von zunehmenden militärischen Vorbereitungen und der Ermordung eines iranischen Nuklearwissenschaftlers steigt die Gefahr einer militärischen Auseinandersetzung in der Region weiter. Die Außenminister Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens müssen sich bei ihrem Treffen am Montag für deeskalierende Schritte einsetzen und einen militärischen Konflikt verhindern, wie die Studiengruppe der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler in einem Brief an den Außenminister und Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses betonten. Die Übergangszeit in Washington D.C. bis zur Amtseinführung am 20. Januar 2021 ist für den Konflikt mit dem Iran brandgefährlich. Das Attentat auf Mosen Fakhrizadeh erschwert die Rückkehr der USA unter Präsident Biden und des Iran in die Mechanismen des Iran-Abkommens von 2015.

Die gezielte Tötung eines Wissenschaftlers ist der Höhepunkt von ähnlichen Geheimaktionen, bei denen vier Wissenschaftler und Ingenieure, die mit dem Nuklearprogramm des Iran in Verbindung gebracht werden, zwischen 2007 und 2012 ermordet wurden. Kein Staat hat sich bisher offen dazu bekannt. Sie sind auch nicht geeignet, den Bau von Atomwaffen zu verhindern. Die Fachgemeinschaft ist sich einig, dass ein militärisches Atomprogramm dadurch höchstens verzögert, nicht gestoppt werden kann. Die jetzt erfolgte Tötung könnte einen anderen Zweck verfolgen, nämlich Präsident Biden die Rückkehr zur Diplomatie so schwer wie möglich zu machen. Die VDW, die sich der Verantwortung von Wissenschaft verschrieben hat, ruft dazu auf, dass Wissenschaftler ihr Wissen nicht für zerstörerische Zwecke verwenden. Sie verurteilt aber auch die Tötung von Wissenschaftlern durch völkerrechtswidrige Aktionen.

In einem Brief vom 27. November 2020 an Außenminister H. Maas und den Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses N. Röttgen, der von der deutschen Pugwash-Gruppe und der Studiengruppe „Europäische Sicherheit und Frieden“ der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) verfasst wurde, warnten die Mitglieder der Studiengruppe vor den unabsehbaren Konsequenzen eines Militärschlages gegen die Nuklearanlagen, da sie den Konflikt nicht lösen, allenfalls eskalieren würden. Das Nuklearabkommen mit dem Iran wäre irreversibel beschädigt und die Sicherheit und Stabilität des Nahen und Mittleren Ostens wären insgesamt in Frage gestellt. Ein Ausstieg des Iran aus dem Nichtverbreitungsvertrag, ein aggressiver Regimewechsel in Teheran vor dem Hintergrund der Präsidentschaftswahlen im Juni und unabsehbare Konsequenzen in der Region wären weitere Folgen, ganz zu schweigen von einer innenpolitischen Polarisierung. Ein solcher Militärschlag wäre, nicht zuletzt, völkerrechtswidrig.

Die E3 stehen in der Verantwortung, eine durch einen möglichen amerikanischen Militärschlag ausgelöste Eskalation im Nahen Osten zu verhindern. Sie müssen die Zeit bis zum 20. Januar klug nutzen, um eine weitere Eskalation zu verhindern. Hierzu bedarf es nicht nur der dringlichen wie auch nachhaltigen und sichtbaren diplomatischen Einwirkung auf die relevanten Kräfte und Akteure in Washington und Teheran. Es gilt dazu flankierend auch entschiedene Überzeugungsarbeit bei den das Nuklearabkommen ablehnenden Staaten der Region, insbesondere Israel und Saudi-Arabien, zu leisten.

gremien neuneck KProf. Dr. Götz Neuneck ist Mitglied im Council der „Pugwash Conferences on Science and World Affairs“ und Pugwash-Beauftragter der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) e.V.
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Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) e.V.
Seit ihrer Gründung 1959 durch Carl Friedrich von Weizsäcker und weitere prominente Atomwissenschaftler („Göttinger 18“) fühlt sich die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) der Tradition verantwortlicher Wissenschaft verpflichtet. Sie nimmt Stellung zu Fragen von Wissenschaftsorientierung und Technologieentwicklung einerseits und aktuellen gesellschaftlichen Fragen zu Themen wie Frieden & Abrüstung, Klima & Biodiversität, sozio-ökologische Transformation & soziale Gerechtigkeit, Digitalisierung & Gesellschaft sowie Whistleblowing andererseits. Mit den Ergebnissen ihrer Arbeit wendet sich die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler an die interessierte Öffentlichkeit und an Entscheidungsträger auf allen Ebenen von Politik und Gesellschaft.
Die VDW-Studiengruppe „Europäische Sicherheit und Frieden“
Der VDW-Studiengruppe „Europäische Sicherheit und Frieden“ gehören Politikwissenschaftler, Naturwissenschaftler und Experten aus Diplomatie und der Militärpolitik an. 12 Mitglieder haben die Stellungnahme erarbeitet und unterzeichnet. Die VDW hat sich stets zu zentralen Fragen der Europäischen Sicherheit geäußert, so 1957 in der Göttinger Erklärung. Schon bei der Gründung der VDW 1959 standen Fragen der nuklearen Abrüstung und Rüstungskontrolle im Vordergrund. VDWGründungsmitglieder wie Carl Friedrich von Weizsäcker oder Werner Heisenberg hatten sich intensiv mit diesen Fragen auseinandergesetzt. Im Jahr 1983 haben sich 12 namhafte Mitglieder in einem Memorandum zur Frage der Neustationierung landgestützter Mittelstreckenraketen in der Bundesrepublik positioniert und den Mitgliedern des Bundestages ein Votum mit Nein empfohlen.
Unterzeichner des Briefs an Außenminister Maas und den Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses
Prof. Dr. Lothar Brock, Frankfurt; Prof. Dr. Michael Brzoska, Hamburg; Dr. Hans-Georg Ehrhart, Wedel; Ute Finck-Krämer, MdB a.D.; Prof. Dr. Hartmut Graßl, Hamburg; Dr. rer. nat. Dirk-Michael Harmsen, Karlsruhe; Dr. Sabine Jaberg, Hamburg; Botschafter a.D. Rüdiger Lüdeking; Dr. rer. pol. Hans-Jochen Luhmann, Wuppertal; Parl. Staatssekretär a.D. Dr. Hans Misselwitz, Berlin; Prof. Dr. rer. nat. Götz Neuneck, Hamburg; Prof. Dr. Konrad Raiser, Berlin; Prof. Dr. Michael Staack, Hamburg; Prof. Dr. Jürgen Scheffran, Hamburg.