400 Milliarden US-Dollar weg: Der Zugriff des Westens auf Russlands Währungsreserven

 

Die Kolumne von Hans-Jochen Luhmann

Die Staaten des Westens hatten für den Fall der Invasion Russlands in die Ukraine Wirtschaftssanktionen in nie dagewesenem Ausmaß angekündigt. Bereits am 24. Februar 2022, dem Tag der Invasion, wurden – im Stillen offenkundig schon zuvor abgestimmt – Russlands Zentralbank-Guthaben in Staaten des Westens eingefroren. Es ging um rund 400 Milliarden US-Dollar. Der Vorgang wurde öffentlich nur höchst technisch, also kaum, kommuniziert. Die Rechtsgrundlage dieses Handelns der G7-Staaten, also neben den USA die EU, UK und Japan, die darauf setzen, dass die „Stärke des Rechts“ sich gegen das „Recht des Stärkeren“ durchsetzen mögen, liegt zwar nicht im Dunkeln, aber sie bietet alle Optionen für Willkür, für das Recht des Stärkeren: Somit berührt das Thema die Identität des demokratischen Westens in seinem Kampf gegen die autoritären und das Recht mit Füßen tretende Regime.

Vorlauf: Zentralbankguthaben Afghanistans

Jüngst auf den Geschmack gekommen zu sein scheinen die USA im August 2021, nach der Übernahme der von den bisherigen Amtsträgern verlassenen staatlichen Hülle Afghanistans durch die Taliban. Die Regierung zuvor, unter Präsident Ghani, hatte aus den immensen Zahlungen der westlichen Unterstützer nicht nur private Vermögen angesammelt sondern auch Devisenreserven angehäuft in Höhe von knapp zehn Milliarden US-Dollar (Stand Ende 2020), von denen waren sieben Milliarden US-Dollar bei der US-Zentralbank-Filiale in New York geparkt worden. Nach dem Abzug der westlichen Truppen und der Machtübernahme durch die Taliban sperrten die USA dieses Guthaben. Auch dass in Afghanistan eine Hungersnot ausbrach, die durch die Verfügung über diese Mittel zu lindern gewesen wäre, rührte die USA nicht. Innerhalb der USA wuchs zudem die Begehrlichkeit angesichts dieses nun mutmaßlich auf lange Zeit herrenlosen Schatzes.

Opfer des 11. Septembers machten vor US-Gerichten Ansprüche auf Schadensersatz geltend. In den laufenden Rechtsverfahren hat die US-Regierung sich verpflichtet, die Hälfte, also 3,5 Milliarden US-Dollar, bis zu einer gerichtlichen Klärung zurückzuhalten. Sie erklärte zwar, das Zentralbankguthaben sei beschlagnahmt worden für einen allfälligen Gebrauch zu humanitären Zwecken, es sei nicht blockiert unter dem Terrorism Risk Insurance Act (TRIA, 28 U.S.C. § 1610 note), für Schadensersatzzwecke sei es deshalb nicht verfügbar. Doch blockiert und damit unverfügbar bleiben die Mittel dessen ungeachtet.

Gemäß dem Foreign Sovereign Immunities Act (FSIA, 28 U.S.C. §§1602-1611) sind Zentralbank-Guthaben fremder Staaten in den USA geschützt vor einer Beschlagnahme durch Gerichte zu dem Zweck, Forderungen gegen Drittstaaten durchzusetzen. Nun ist es aber so, dass die US-Regierung die Taliban nicht als legitimen Vertreter des Drittstaates „Afghanistan“ anerkennt. Sie argumentiert deshalb, das Gericht habe zu entscheiden, ob die afghanischen staatlichen Guthaben unter US-Recht einem illegitimen Vertreter dieses Staates, den Taliban, zur Verfügung stehen oder ob sie, weitergehend, dann sogar genutzt werden dürfen zur Befriedigung von Ansprüchen unter dem TRIA, dass also die FSIA-Schutzvorkehrungen dahinter zurückzustehen haben. Das ist eine haarspalterische Argumentation rechtlicher Ungeklärtheit, um mittels dem Verstreichen von Zeit die typische asymmetrische Macht des Besitzenden auszuüben. Der „Besitzende“ ist hier kein Privater, sondern der Staat; und nicht irgendein Staat, es sind vielmehr die USA, deren Dollar das Weltwährungs- und -finanzsystem dominiert. Deswegen sind beinahe alle Zentralbanken der Erde gezwungen, einen Gutteil ihrer Währungsreserven in Dollar und somit unter US-Jurisdiktion zu halten.

Entscheidend an dem Vorgang ist deshalb das währungspolitische Signal, welches damit in Drittstaaten gesandt wird: Eure Zentralbankmittel sind bei uns, in den USA, auch unter der Schutzzusage des FSIA nicht länger verlässlich geschützt. Die sieben Milliarden US-Dollar Afghanistans sind da nur peanuts. Zudem sind die USA im Falle des Iran bereits den Schritt vom „Einfrieren“ zum „Konfiszieren“ gegangen.

“Einfrieren” der Zentralbankguthaben Russlands im Westen

Russland hatte im Vorfeld der Invasion in die Ukraine 2022 versucht, sich währungspolitisch abzusichern – ihm war schließlich, nicht erst nach dem Afghanistan-Fall, klar, dass die USA ein heißes Pflaster für Devisenreserven geworden sind, nachdem sie die einzigartigen Optionen der Wirtschaftskriegsführung für sich entdeckt haben. Also hatte Russland seine Devisenanlagen diversifiziert, hatte in den USA (am 1. Januar 2022) nur noch 6,4 Prozent seiner Reserven in Höhe von insgesamt 640 Milliarden US-Dollar deponiert – also lediglich rund 40 Milliarden US-Dollar. Ausgewichen war es mit mehr als 50 Prozent seiner Reserven allerdings in andere Staaten des Westens (Deutschland 15 Prozent, Frankreich und Japan je 10 Prozent). Mit dem Beginn des Einmarsches in die Ukraine wurde das vom Westen im Stillen Vorbereitete vollzogen, Russland verlor die Verfügung über knapp 400 Milliarden US-Dollar an Devisenreserven im Westen, auch an allen Devisen, die durch Warenaustausch mit dem Westen noch hinzu kommen würden – dass Russland in der Folge darauf bestand, Exporte nicht länger in US-Dollar sich bezahlen zu lassen, liegt auf der Hand. Wo hätte Russland die Dollar beschlagnahmungs-resilient deponieren sollen?

Die drakonische Maßnahme traf die russischen Eliten aus heiterem Himmel, sie war für sie völlig unvorstellbar. Sergej Lawrow, Russlands Außenminister, hat das später offen eingestanden:

When they [froze] the central-bank reserves, nobody who was predicting what sanctions the West would pass could have pictured that. It’s just thievery.

Ein Diebstahl in Höhe von 400 Milliarden US-Dollar? Davon 100 Milliarden US-Dollar durch Deutschland? Für einen Krimi dieses Ausmaßes ist die Thematisierung in Deutschland, in Medien und in Juristenkreisen, etwas gering.

Die Rechtsgrundlagen in EU und USA

In die EU Verordnung 833/2014 wurde am 28. Februar 2022, also im 3. Sanktionspaket, mit Verordnung EU 334/2022 in § 5a folgender Absatz 4 eingefügt:

„(4) Transaktionen im Zusammenhang mit der Verwaltung von Reserven sowie von Vermögenswerten der russischen Zentralbank einschließlich Transaktionen mit juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen, die im Namen oder auf Anweisung der russischen Zentralbank handeln, sind verboten.

Sämtliche Transaktionen mit Vermögenswerten der russischen Zentralbank, die auf Konten in der EU liegen, sind verboten – das kann man problemlos als „Einfrieren“ bezeichnen, auch wenn der Begriff expressis verbis in der Brüsseler Verordnung nicht vorkommt. In den USA ist das anders.

Rechtssystematisch hat man festzuhalten: Der Westen wirft Russland hinsichtlich seines militärischen Handelns einen Völkerrechtsbruch vor – und legitimiert damit seine sanktionierenden Retorsions-Handlungen im Wirtschaftskrieg. Das findet statt in einem völkerrechtlichen Niemandsland – so zumindest die Interpretation des Westens. Insofern gibt es keine begrenzende Bindung für sein sanktionsrechtliches Handeln auf diesem Feld, mit diesen Waffen. Zu dem Vorwurf, es handle sich um einen Rechtsbruch („Diebstahl“), verweist die EU auf seine nicht durch irgendwelche internationalen Rechtsgrundsätze beschränkte Kompetenz, Dritten, auch Staaten, Vermögen zu entziehen. Das Klärungsangebot, welches die EU bietet, ist allein das des Verfahrens auf dem Klageweg durch die EU-Gerichtsinstanzen. Das aber ist nicht ernst zu nehmen, erstens des Zeitbedarfs wegen und zweitens wegen der Möglichkeit der EU, ähnliche Maßnahmen mit leicht verändertem Wortlaut erneut in Kraft zu setzen – eine Option, von der die EU in der bisherigen Praxis des Listungsrechtes schon Gebrauch gemacht hat. Zeit ist Geld, davon aber abstrahiert das Rechtswesen. Damit macht es sich blind gegenüber seiner Funktionalisierung als Machtmittel.

Verwendung von Russlands Devisenguthaben für gute Zwecke

Rund zwei Monate nach dem präzedenzlosen „Einfrieren“ des in Devisen gehaltenen russischen Staatsguthabens begann in den USA dieselbe Debatte wie zu den afghanischen Guthaben: Ob man das viele Geld nicht vereinnahmen könne, um es für gute Zwecke, für den Wiederaufbau in der Ukraine etwa, zu nutzen. US-Top-Juristen kreuzten darüber in akademischen Journalen die Klingen, auf welcher Rechtsgrundlage das wohl zu welchen Zwecken legitimierbar sei.

In dem ebenfalls der Herrschaft des Rechts verschriebenen Europa sehe ich eine solche gelehrte Diskussion bislang nicht – dort wird die Verwendung für einen guten Zweck nur gefordert, von der Spitze aus, der EU-Kommission. Und von einigen EU-Mitgliedstaaten. Auch Deutschlands Finanzminister hat sich dazu erklärt, er sei „politisch offen“ dafür. Die Betonung auf „politisch“ soll vermutlich besagen: „rechtlich“ äußere ich mich nicht.

Deutschland hat wegen Entschädigungsklagen auf Grund deutscher Kriegsverbrechen in Griechenland und Italien das Prinzip der Staatenimmunität bislang immer hochgehalten. Es fürchtet Präzedenzfälle. Angesichts dessen ist nicht zu erwarten, dass Deutschland oder die EU explizit „konfiszieren“ (enteignen), um dann aus eigener Macht über die Verwendung dieser Gelder zu entscheiden. Das widerspräche der bisherigen Haltung zur Staatenimmunität.

Wahrscheinlich ist daher, dass auch die der Herrschaft des Rechts verpflichtete EU rechtlich in die Trickkiste greift. Es gibt seitens der Ukraine Vorbereitungen, die durch den Krieg in der Ukraine verursachten Schäden aufzulisten, und es steht der Vorschlag im Raume, einen Fonds aufzulegen und daraus eine Art „Marshall-Plan“ für die Ukraine zu finanzieren. Die Idee scheint zu sein, Forderungen für Schadensersatzleistungen an Russland zu stellen und deren Begleichung als neues Sanktionsziel zu definieren. Ziel ist, Russland zur Anerkennung dieser Schulden und Aufrechnung gegenüber blockierten russischen Vermögen zu zwingen. So ist der Westen Gaddafi gegenüber verfahren. Damit erspart man sich eine formelle „Enteignung“ und umgeht Probleme mit der Haltung zur Staatenimmunität, erreicht aber am Ende dasselbe.

Satyrspiel

In den begehrlichen Blick geraten sind natürlich nicht nur die Devisenreserven, also staatliches Vermögen. Es gibt da auch noch die eingefrorenen Vermögen gelisteter privater Personen, die, wenn sie sehr reich sind, unter dem Titel „Oligarchen“ rubriziert werden. Oligarchen sind Milliardäre, die illegitim zu ihrem Reichtum gekommen sind – und die gibt es nur in Nachfolgestaaten der Sowjetunion, nicht im Nahen Osten und nicht im Westen. In der Ukraine gab es sie noch bis zum 24. Februar 2022. Das Adjektiv „russisch“ ist schwer zu bestimmen, die haben fast alle mehrere Staatsbürgerschaften, meist in Israel oder Zypern, mittels „golden passports“ erworben. Auch UK war beliebt, aber „Londongrad“ liegt nicht mehr auf EU-Gebiet. Für die russischen Oligarchen Zyperns gibt es jede Menge Ausnahmeregelungen.

Bei Privatvermögen ist der Stand inzwischen, dass von einem „Deal der G7 mit russischen Oligarchen“ die Rede ist. Der Inhalt, laut On-dit:

Auf dem Treffen der G7-Finanzminister auf dem Bonner Petersberg in der vergangenen Woche soll die kanadische Vizepremierministerin und Finanzministerin Chrystia Freeland vorgeschlagen haben, russischen Oligarchen zu erlauben, Geld für den Wiederaufbau der Ukraine zu spenden, um so die Sanktionen aufzuheben und sich von Präsident Putin zu distanzieren.

So bleibt das Privateigentum geschützt – gespendet wird freiwillig. Ob Putin als Privatmann so seine Yacht wieder freibekommen kann, ist ungeklärt.

Es wird vom Lion Air Flug am Tag zuvor (28. Oktober 2018) berichtet, dass die Piloten mit demselben Problem zu kämpfen hatten, zufällig aber ein nicht-diensthabender erfahrener Pilot mit im Cockpit war und sagen konnte „Ich kenne das Problem, Ihr müsst den Hebel X drücken.“

Die Untersuchungen in Seattle haben inzwischen etwas weit Ärgeres herausgebracht: Für die gesamte 737-Serie wurde das Duplizitätsprinzip für die Computersteuerung an Bord zwar hardwareseite eingebaut – dann aber wurden die faktisch nicht sinngemäß laufen gelassen, also einer aktiv, éiner im Stand-by, um im Fall des Ausfalls übernehmen zu können. Die beiden Bordcomputer waren vielmehr so eingestellt, dass die pro Flug abwechselnd nur einzeln eingeschaltet wurden.

Vgl. dazu die folgende Meldung vom 6.6.14 (Interfax Ukraine):
<<Interior Minister Arsen Avakov has said. „I have decided that a hundred percent of combat and patrol units of the Interior Ministry will take part in the antiterrorism operation. This is not only a necessity but also a test of their proficiency, spirit and patriotism. The tempering of units with real threats and challenges is a factor of the creation of a new police force which will be trusted by the public,“ … Avakov reported that 21 officers of the Chernihiv special-purpose patrol battalion comprising volunteers refused to go on a patrol mission in Luhansk region. „The battalion was assigned a patrolling mission in Luhansk region the day before yesterday. Eighty-six men departed to the designated sector to do a man’s job and to accomplish a combat mission in the regime of antiterrorism patrols. Twenty-one persons refused to go and submitted their resignations… They were dismissed immediately,„>>