Das Ende des Ukraine-Kriegs mangels Finanzierung in Sicht
Die Kolumne von Hans-Jochen Luhmann (September 2024)
1. Die Kriegsführungskapazität der Ukraine hängt am seidenen Faden westlicher Finanzierung
Der Krieg in der Ukraine ist ein asymmetrisch geführter Krieg. Russland auf der einen Seite stellt alles, was es braucht, im Wesentlichen selbst – bis auf einiges an Waffen, für die es dann zahlt. Auf der gegnerischen Seite der Westen, der die Ukraine mit Menschen und Waffen den Krieg führen lässt – der Westen stellt Waffen, Aufklärungsdaten, Ausbildung und eben Geld für das alles und noch mehr zur Verfügung. Es geht, bislang, in den ersten beiden Kriegsjahren, um rund 200 Milliarden US-Dollar beziehungsweise Euro, also um 100 Milliarden pro Jahr. Davon wurde etwa je die Hälfte für Waffen und für die Stabilisierung des Staatswesens in der Ukraine ausgegeben, 50 zu 50 geteilt zwischen den USA und Europa. Selbst die Fähigkeit der Ukraine, den Krieg so zu führen, wie sie ihn bislang geführt hat, mit einer einigermaßen stabilen Defensive, also auf Dauer, wenn auch aussichtslos, hängt somit am seidenen Faden der Weiterführung der enormen finanziellen Hilfe aus dem Westen, mit der dann auch die Waffenlieferungen an die Ukraine bezahlt werden; von einer Perspektive, die erklärten Kriegsziele der Ukraine zu erreichen, kann bei diesem Finanzierungsvolumen noch gar nicht die Rede sein.
Der Ukraine ist ursprünglich zwar versprochen worden, der Westen unterstütze sie „as long as it takes“. Doch dieses Versprechen darf die Ukraine längst nicht mehr für bare Münze nehmen. US-Präsident Biden hat das US-seitige Versprechen aus Anlass von Präsident Selenskyjs Weihnachtsbesuch 2023 bereits offen abgemeiert auf „as long as we can“ – und spielte dabei auf das von den Republikanern blockierte Nachtragshaushaltsgesetz für die Zeit bis September 2024 an. Die Europäer halten sich kollektiv bedeckt. Als einer unter den Führenden jedoch hat Bundeskanzler Scholz diese magischen Worte erst kürzlich erneut bestätigend in den Mund genommen – für wen, mit welchem Mandat, er da spricht, ist allerdings ungesagt. Dass Deutschland allein diese Summen zu zahlen weder bereit noch in der Lage wäre, wenn alle anderen ihre Position von „as long as it takes“ zu „as long as we can“ wechseln, dürfte selbstverständlich sein. Deutschland ist wirtschaftlich stark, aber kein Herkules – das verhindern die Ansprüche der Wähler.
2. Finanzierungsdebatte in Deutschland
Kürzlich hat es eine Debatte in Deutschland gegeben, die vor diesem Hintergrund gespenstisch erscheint. Anlass war ein langer und aus vielen anonymen Hintergrundquellen in Berlin gespeister Artikel in der FAS vom 17. August 2024 mit dem Titel „Berlin kappt Militärhilfe. Kein neues Geld mehr für die Ukraine“ – er steht hinter Bezahlschranke. Die Debatte war nicht allein auf das politische Berlin und auf die das befeuernde Medien beschränkt, selbst im Ausland (OSW, Polen) und von einem renommierten deutschen außenpolitischen Think Tank (SWP) wurde der Ball aufgenommen und iterierend auf immer dasselbe Tor geschossen. Die Botschaft war: ‚Deutschland schlägt sich unsolidarisch in die Büsche!‘.
„Gespenstisch“ erscheint die Debatte, weil der Anlass nicht mehr als eine bare Selbstverständlichkeit zu sein scheint. Anlass ist ein Schreiben des Finanzministers an den Verteidigungsminister vom 6. August 2024. Der Inhalt: Er dürfe für Waffenlieferungen an die Ukraine nicht mehr Mittel ausgeben als im Haushalt vorgesehen ist. Das gelte sowohl für 2024 als auch für 2025. Die Haushaltsansätze für diese beiden Jahre liegen bei acht Milliarden Euro beziehungsweise vier Milliarden Euro. Die im Haushalt geplante militärische Unterstützung aus Deutschland, beziehungsweise präzise auf deutsche Rechnung, soll also im nächsten Jahr nahezu halbiert werden. Für 2026 sind drei Milliarden Euro vorgesehen, für 2027 und 2028 je eine halbe Milliarde Euro. Dies ist dem öffentlich verfügbaren Entwurf des Haushaltsplans des Bundes für 2025 zu entnehmen.
Die Begrenzung verfügbarer Mittel hat selbstverständlich zur Folge, dass nicht alles zu leisten ist, was man gerne geleistet sehen würde. Im FAS-Artikel heißt es:
„Offenbar können deshalb schon in diesem Jahr notwendige zusätzliche Militärhilfen im Wert von knapp vier Milliarden Euro nicht geleistet werden, obwohl die Industrie liefern könnte. Das wird von mehreren Quellen in der Bundesregierung bestätigt. Für diese Summe wollte das Verteidigungsministerium eigentlich noch im laufenden Jahr Militärausrüstung für die Ukraine bestellen, …“
Vermutlich hatte es seitens des BMVg – sinnvollerweise – informelle Absprachen mit der Rüstungsindustrie gegeben für Lieferungen an die ukrainischen Streitkräfte, für die Deutschland wie bislang üblich zahlt. Der Haushaltskompromiss zwischen Kanzleramt und Finanzministerium hat solche Pläne gegebenenfalls durchkreuzt. Den FAS-Artikel und die anschließende sonderbare „Debatte“ kann man also auch als Akt des Rüstungslobbyismus verstehen, den die Medien portieren. Aus der „Notwendigkeit“ für die Ukraine und aus der Verfügbarkeit seitens deutscher Rüstungslieferanten kann jedoch schwerlich der Haushaltsansatz abgeleitet werden. So aber die Denkweise, die im FAS-Artikel kolportiert wird und wie sie von der Opposition, vielen Medien sowie von OSW und SWP unterstützt wird. Offen formuliert scheint die Position dieser Kreise zu sein: Angesichts der Not in der Ukraine, des dortigen Militärs, seien lediglich „finanziell“ begründete Begrenzungen, da „künstlich“, nicht zu verantworten, zu akzeptieren seien allein „materielle“ Grenzen der Verfügbarkeit von Rüstungsgütern. Das ist eine diskussionswürdige Position, wenn sie denn explizit eingenommen würde.
Dass der Finanzminister das Gebot, die Haushaltsgrenze nicht zu überschreiten, dem Verteidigungsminister ins Stammbuch schreibt, mag seltsam erscheinen. Doch es gibt einen Anlass. Der zuständige Ressortchef, Verteidigungsminister Boris Pistorius, hatte einen Aufwuchs seines Haushalts für 2025 um 6,5 Milliarden Euro verlangt, aber nur knapp 1,2 Milliarden Euro für das kommende Jahr zusätzlich erhalten. Der hatte daraufhin vollmundig erklärt, es werde nicht bestellt, was sich die Bundeswehr nach der Kassenlage leisten könne, „sondern wir melden das an, was wir für die Verteidigungsfähigkeit des Landes brauchen“. Das brachte ihn in einen Konflikt mit dem Haushaltsausschuss des Bundestages, dem er damit die Verantwortung für die Einschätzung der finanziellen Vertretbarkeit vieler periodenübergreifender Beschaffungsvorhaben in Summe übertrug. Offenbar schwelt ein vergleichbarer Konflikt innerhalb der Bundesregierung. Ein Kabinettsmitglied, welches erklärt, sich nicht „an die Kassenlage“ halten zu wollen, kann nur unter Kuratel des Kassenwarts gestellt werden.
3. Kassenlage bei den Verbündeten der Ukraine
Blenden wir als auf in die Kassenlage der westlichen Verbündeten insgesamt. Da gilt: Die sehen keine Chance mehr, die Ukraine in ihrem Kampf gegen die russischen Angreifer noch wesentlich aus Haushaltsmitteln zu unterstützen. Wir in den USA und in Europa leben in einer “repräsentativen” Demokratie, und die Repräsentanten des Volkes sehen in ihrer klaren Mehrheit auch ungebrochen die Notwendigkeit, weiterhin zu ihren Zusagen an die Ukraine zu stehen. Nur die Völker, die diese Personen repräsentieren, sehen das nicht so – zwar nur in einer Minderheit, doch die ist von solchem Ausmaß, dass es ausreicht, dass es wahlentscheidend sein kann – das begrenzt die Freiheit der gewählten Repräsentanten.
In den USA ist die Folge, dass ein vergleichbares Unterstützungspaket für die Ukraine wie für 2024, in Höhe von (faktisch) rund 25 Milliarden US-Dollar, für die Haushaltsjahre 2025 und später undenkbar ist. Es kann vom US-Gesetzgeber nicht noch einmal zustande gebracht werden – diese Prognose gilt völlig unabhängig vom Ausgang der Präsidentschaftswahl in den USA im November 2024.
In Europa sieht es vergleichbar aus. Eine vom Wählerwillen unabhängige Finanzierung wäre auf Ebene des fernen Mehrebenengebildes “Europäische Union” möglich gewesen, dort aber nur durch Aufnahme eines Kredits in analoger Höhe wie zur Bekämpfung der Corona-bedingten Rezession erfolgreich umgesetzt. Ein Versuch, das erneut durchzusetzen, nun zur Unterstützung der Ukraine nach Ausfall der USA, also mit verdoppelten Jahrestranchen, ist auch unternommen worden. Er ist allerdings gescheitert.
4. Die Ersatzlösung: Russland zahlt die Unterstützung des Westens – schwieriger als erwartet
Statt nach Kiew zu pilgern und einzugestehen: Wir können nicht mehr, das Spiel ist (bei uns zu Hause) aus, ist der Westen auf die dritte Option verfallen, die es zur Finanzierung gibt: Russland zahlen lassen. Zur Weiterführung eines Krieges, in dem es für die Ukraine seit Herbst 2023, seit dem Scheitern der Sommeroffensive, keinen militärischen Plan gibt, erneut in die Offensive zu kommen und das Ziel einer territorialen Rückeroberung zu erreichen.
Quelle der Finanzierung des Aussichtslosen sollen in Zukunft im Westen sistierte Devisenreserven der russischen Zentralbank sein. Die allerdings sind regional relativ zur bisherigen finanziellen Unterstützung der Ukraine in ihrem Krieg gegen Russland massiv unproportional verteilt. Der Grund: Russland hatte antizipiert, dass die Sistierung von Devisenreserven als Sanktionswaffe im Konfliktfall zum Einsatz kommen werde – das hatte Präsident Biden im abschließenden Gespräch mit Russlands Präsidenten am 7. Dezember 2021 angedroht. Russland hatte den Einsatz dieser Waffe allerdings im Schwerpunkt seitens der USA erwartet, kaum seitens der EU-Staaten.
Es geht nach detaillierten Angaben Russlands um rund 341 Milliarden US-Dollar, nach strukturell intransparenten Angaben der G7 (REPO-Task-Force vom 7. September 2023) um 280 Milliarden US-Dollar. Die EU hat ergänzend mitgeteilt, dass mehr als 200 Milliarden Euro bei europäischen Clearing Houses liegen, davon 141 Milliarden Euro bei Euroclear (Belgien). In den USA liegen nur 7 Milliarden. Die EU verfügt somit über 75 Prozent, der restliche Westen über 25 Prozent, davon die USA ein Zehntel lediglich.
Diese erhebliche Unproportionalität hat Konsequenzen. Will man diese Mittel zur Kriegsfinanzierung einsetzen, so bedeutet das die Abkehr vom bisherigen 50 zu 50-Prinzip zwischen den USA und Europa. Das kann deshalb nicht anders als zu erheblichen Konflikten innerhalb der Führungsmächte der westlichen Unterstützer-Allianz zu führen. Es gibt eine harzige Lastenteilungsdebatte innerhalb der westlichen Unterstützer-Allianz.
Die USA waren formal vorangegangen: Der US-Kongress hatte den Präsidenten ermächtigt, die Devisenguthaben Russlands für die Ukraine-Unterstützung zu verwenden – und hatte den Rest der westlichen Allianz vollmundig aufgefordert, seinem Vorbild zu folgen. Das hätte zu einer Verschiebung der Beiträge der Ukraine-Hilfe in Zukunft von etwa 50 zu 50 auf 2 zu 98 geführt. Bei knapp 300 Milliarden geht es um die Ermöglichung und Finanzierung der Hilfe für drei weitere Jahre.
Die Europäer lehnten die Enteignung russischen Staatseigentums ab, nicht mit Verweis auf die Unproportionalität der Leistungen in Zukunft sondern mit dem pompösen Verweis auf die Rechtsstaatlichkeit, der sich die Europäer verpflichtet sähen. Am 21. Juni 2023 wurde der Presse in Brüssel signalisiert, ein “legal team“ der Europäischen Kommission habe mehrere Monate lang zu der Fragestellung gearbeitet und sei in einem unveröffentlichten Sieben-Seiten-Bericht zu dem Ergebnis gekommen, man
“sees no credible legal avenue allowing for the confiscation of frozen or immobilised assets on the sole basis of these assets being under EU restrictive measures…”
Doch ob der Finanzierungsnot mussten die Europäer auch etwas anbieten. Sie behaupteten, die Enteignung der Zinserträge auf die russischen Guthaben, etwa gut vier Milliarden Euro pro Jahr, sei rechtsstaatlich möglich – die rechtliche Begründung der Differenz, weshalb der Enteignungsvorbehalt bei den Erträgen anders als beim Stammkapital nicht gelten solle, ist von einem argumentativen Niveau, welches eines Rechtsstaates unwürdig ist. Aber sei’s drum: Inklusive der außerhalb der EU liegenden Beträge käme man so auf rund sechs Milliarden pro Jahr. Angesichts eines Finanzbedarfs von 100 Milliarden pro Jahr ist das ein ein peanuts-Betrag.
5. Die Tücken des Übergangs
Um auf eine große Summe zu kommen, verfiel man auf die Idee, die über gut 20 Jahre als sicher fließend angenommenen jährlichen Zahlungen zur Basis zu nehmen und den äquivalenten Kapitalwert der Ukraine zur Verfügung zu stellen. Es soll ein Fonds gegründet werden, dem die westlichen Unterstützer jährliche Zahlungen zusagen. Damit wird die Deckung gegeben, dass der Fonds 50 Milliarden als Kredit aufnehmen und der Ukraine Anfang 2025 zur Verfügung stellen kann; und seinerseits den Kreditbetrag mit den russischen Zinszahlungen abstottern kann. So wurde es beschlossen beim G7-Gipfel in Apulien am 13. bis 15. Juni 2024.
Damit sei eine bemerkenswert weitreichende Entscheidung getroffen worden, diese Auffassung vertrat der deutsche Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung am 26. Juni 2024. Da hat er diese Entscheidung als Durchhauen eines gordischen Knotens stilisiert, zur Heldentat des Westens verklärt:
„Das Kalkül des russischen Präsidenten, dass es an den fiskalischen Restriktionen der europäischen Länder oder der USA scheitern wird, der Ukraine jetzt und in der nächsten Zeit den Beistand zu geben, den sie braucht, ist mit dieser G7-Entscheidung zusammengebrochen. Dieses Kalkül ist mit dieser G7-Entscheidung zusammengebrochen, und deswegen war sie so wichtig.“
Wer das liest und die finanziellen Größenordnungen, um die es in diesem Abnützungskrieg geht, fragt sich, ob der Kanzler die Finanzierungs-Herausforderung vielleicht nicht verstanden haben mag. Ja, das Kalkül des Gegners, der russischen Seite, dürfte der Kanzler korrekt beschrieben haben. Aber was Kanzler Scholz als eine Entscheidung kommuniziert, die einen definitiven Strich durch das Kalkül des russischen Präsidenten mache, ist in Wahrheit doch eher eine Entscheidung, die für etwa ein halbes Jahr reicht. Anders gesagt: Für mehr als das halbe Jahr hat der Westen keinen Finanzierungsplan. Er steht blank da.
Hinzu kommt, das zeigt die Kontroverse mit Pistorius: Gegenwärtig zahlt die jeweilige Regierung und nimmt, was sie an Rüstungsgütern bekommen kann. Die Nebenbemerkungen im FAS-Artikel zeigen, dass seitens der deutschen Regierung nichts mehr bestellt wird. Mit der G7-Regelung geht nicht nur das Geld sondern auch die Bestell-Hoheit auf die ukrainische Regierung über. Die aber wird erst bestellen können, wenn das Geld sicher ist. Der Übergang auf die G7-Regelung reißt damit auch noch eine zeitliche Bestell-Lücke auf.
6. Die Tücken der Lastenteilung
Der FAS-Artikel und sämtliche Kommentierungen, die ins selbe Horn stoßen, betonen, dass die Umsetzung des G7-Beschlusses in den Sternen stehe. Das ist zwar immer wahr, wenn etwas in der Zukunft erst an steht. Vor dem Hintergrund des hier Entfalteten liegt nahe, dass die „Lastenteilung“ unter den westlichen Alliierten in einem solchen Maße strittig ist, dass düstere Prognosen berechtigt sein könnten. Das könnte der Grund der Skepsis sein, die Insider offensichtlich hegen.
Also hat man näher auf die „Lastenteilung“ im verfügenden Zugriff auf das sistierte russische Zentralbankvermögen zu schauen.
- Zunächst zum Wort „Last“. Die russischen Devisen sind in westlicher Verfügung. Wenn man sich derer für die Fortführung des Ukraine-Krieges bedient, so ist es doch gerade keine Last, man greift doch gerade deswegen auf sie zu, weil man die Finanzierungslast abwälzen will vom eigenen Haushalt beziehungsweise der eigenen Staatsverschuldung.
Das aber ist nur halb gedacht. Es gibt mindestens drei Risiken, die mit der Enteignung und Verfügung verbunden sind:
# Russland könnte die Freigabe der Reserven zu einer Bedingung in einem Waffenstillstandsabkommen machen – und damit Erfolg haben. Dann müssen die garantierenden westlichen Staaten je für ihren Anteil eintreten;
# Russland könnte Rechtsmittel vor je nationalen Gerichten einlegen und damit Erfolg haben – dieses Risiko ist real, gegen es wird bereits Vorsorge getroffen, indem die EU-Beschlagnahmung des Zinsertrag nicht auf 100 Prozent geht, sondern den Clearing-Banken etwas belässt zur Abdeckung der zu erwartenden Rechtsstreit-Kosten.
# Die Mittel waren vom Westen der Ukraine bereits einmal für andere Zwecke versprochen, als Reparationsleistungen, auf die die Ukraine gegenüber Russland einen Anspruch hat. Wenn diese Mittel relativ zu diesem langfristigen Zweck gleichsam zweckentfremdet werden, um heute Löcher zu stopfen, so könnte die Ukraine dagegen später Kompensationsansprüche geltend machen. - Deswegen ist die faire Teilung der Last ein wichtiger Punkt. Wie aber soll die geregelt werden, wenn das Modell das der Kapitalisierung der laufenden Erträge aus sistierten russischen Devisen ist? Wenn die Maxime wäre, jeder Staat der westlichen Allianz trage soviel Zuschuss bei, wie dem Ertrag aus dem bei ihm sistierten Vermögen entspricht, dann würde der Beitrag der USA nahe Null liegen. Die EU hat ihre Position schon bezogen, sie lautet: Wir tragen die Hälfte des 50 Milliarden-Fonds bei, wir legen 25 Milliarden ein. Damit müssen, wenn die Summe gemäß dem G7-Beschluss bei 50 Milliarden bleibt, die übrigen Allianzmitglieder, insbesondere die USA, deutlich mehr beitragen, als sie als Ertrag aus dem bei ihnen sistierten russischen Devisenvermögen generieren können. Also muss dazu in diesen Staaten eine neue Quelle gefunden und durch deren Gremien legitimiert werden. Das kann in der Tat dauern.
7. Fazit
Das Ende der westlichen Finanzierung der Ukraine in ihrem Krieg ist zu einem Ende gekommen. Das ist öffentlich offenbar, auch wenn es in Deutschlands Medien nicht zum Thema gemacht wird. Die Frage der Finanzierung insgesamt, gar noch in einem solchen Ausmaß, dass die Ukraine massive Geländegewinne zur Rückeroberung ihres Territoriums machen kann, ist Tabu.
Seitens der Regierung Selenskyj ist diese Ausblendung nicht zu erwarten, die wird die Realität bei den westlichen Verbündeten ungeschminkt zur Kenntnis nehmen.
Sie steht allerdings vor dem aus der Geschichte bestens bekannten Dilemma. Auf den Punkt gebracht hat es einmal Hannah Arendt:
„Seit dem Ersten Weltkrieg <kann> keine Regierung und kein Staat stark genug sein, eine Niederlage im Krieg zu überstehen.“
Die Eliten, die das Selenskyj-Regime tragen, schauen somit in denselben Abgrund, in den bekanntermaßen in Israel Regierungschef Netanjahu seit einem halben Jahr schaut. Dort führt dieses eigennützige Motiv zur Verlängerung eines Krieges mittels der Verfolgung unerreichbarer Kriegsziele. So ist es in der Ukraine – seit Herbst 2023 – auch. Das dürfte der Grund sein, weshalb Europas Spitzen anscheinend entschieden haben, die Finanzierung der militärischen Unterstützung gen Null zu fahren. Der Krieg geht zu Ende. Leider sehr verspätet. Es wird sich zeigen, ob diese Verspätung für die Ukraine desaströse Folgen haben wird.
Hans-Jochen Luhmann, Mitglied der Studiengruppe „Frieden und Europäische Sicherheit“ der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW).