Die militärische Sitte der Enthauptung nimmt zu

 

Die Kolumne von Hans-Jochen Luhmann (Mai 2025)

1.      Einleitung: targeted killing von Terroristen

Ein übliches Narrativ über das Funktionieren von Organisationen lautet: Es handelt sich um eine Art Maschine, wo in unterschiedlichen Funktionen viele Personen mitwirken; die Maschine als Ganze aber wird gesteuert von oben. Im Nachhinein, nach dem II. Weltkrieg zum Beipiel, werden die da oben, welche die Maschine gesteuert haben, zur Rechenschaft gezogen – und schon erleben wir in der zweiten Reihe (Ribbentrop beispielsweise) die Tendenz, sich nach oben als schlichten Befehlsempfänger zu stilisieren; und zu den angeklagten Untaten nach unten erleben wir die Tendenz, nichts wahrgenommen zu haben.

Dieses Narrativ legt für Militärmaschinen nahe, ihren Betrieb dadurch lahmzulegen, dass Befehlshaber höherer Ebenen zum Ziel militärischer Aktionen gemacht und ausgeschaltet werden. Das steht hinter der Vorgehensweise des targeted killing, welche Militärs in asymmetrischen Konflikten seit langem verfolgen. Israels Militär ist da Trendsetter und Pionier. Diese Vorgehensweise hat der Vorsitzende des Obersten Gerichtshofes Israels in einem wohlüberlegten Statement als Faktum der israelischen Streitkräfte formuliert:

The Government of Israel employs a policy of preventative strikes which cause the death of terrorists in Judea, Samaria, or the Gaza Strip. It fatally strikes these terrorists, who plan, launch, or commit terrorist attacks in Israel and in the area of Judea, Samaria, and the Gaza Strip, …“.

Völkerrechtlich entscheidend ist in diesem Satz das preventative – mit der Verwendung dieser Vokabel behauptet man, diese Vorgehensweise mit dem Verbot des Angriffskriegs nach Art. 51 UN-Charta versöhnen zu können.

Die USA folgen im Kampf gegen „Terroristen“ derselben Maxime, demselben Grundsatz. Als die USA unter Präsident Trump am 3. Januar 2020, also bereits nach seiner Abwahl, am Flughafen von Bagdad hochrangige Militärs des Iran und aus dem Irak mit einem Drohnenangriff töteten, lautete die Begründung:

“At the direction of the President, the U.S. military has taken decisive defensive action to protect U.S. personnel abroad by killing Qasem Soleimani. General Soleimani was actively developing plans to attack American diplomats and service members in Iraq and throughout the region.

Die Tendenz zum targeted killing ist offenkundig befördert durch die Digitalisierung, durch die elektronische aktuelle Lokalisierbarkeit von Personen. Die Frage ist, wie lange die Grenze noch hält, dass lediglich Terroristen und nicht auch Militärs, im Extremfall sogar Politiker und Staatsoberhäupter, Opfer von targeted killing werden. Das Maschinen-Narrativ legt die Grenzüberschreitung nahe, eine valide Begründung für eine Begrenzung auf Terroristen gibt es nicht wirklich.

Wirkliches Motiv für die Praxis des targeted killing ist natürlich nicht das angeführte einer Prävention. Informelle Äußerungen, sowohl des US-Militärs als auch israelischer Politiker, erweisen, dass in Wahrheit Vergeltung, nicht präemptive Verteidigung, das Motiv ist. Und für die Begrenzung des targeted killing auf die asymmetrische Kampfform „gegen Terroristen“ spricht das Argument des Selbstschutzes.

2.      Das Tabu eines targeted killing von Militärs oder gar hochrangigen Politikern – wie lange hält die rote Linie noch?

Nun gehört es zum Wesen der militärischen Tätigkeit, dass in Sandkastenspielen und anderen Formen von Planung Eventualitäten durchgespielt und vorbereitet werden – die werden von höheren Rängen des Militärs in Auftrag gegeben und überwacht. Mit der von den USA angeführten Begründung gibt es weder eine Grenze des Präemptivschlages noch eine Grenze für den Personenkreis, gegen den er gerichtet sein darf. Der Eskalation nach oben sind keine Grenzen gesetzt. Nach der Tötung des Hisbollah-Generalsekretärs Hassan Nasrallah samt der Riege seiner Parteispitzen im 20 Meter tiefen Führungsbunker ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis erstmals ein Staatsoberhaupt Opfer von targeted killing werden wird.

In diesem Kontext ist bemerkenswert, wie im Ukraine-Krieg mit dieser Option, die der Ukraine faktisch übergeben wurde, umgegangen wurde. Zu entnehmen ist die bezeichnende Episode dem Bericht, welchen die New York Times (NYT) am 30. März 2025 nach einjähriger Recherche veröffentlicht hat.

Hintergrund ist, dass die USA sich bekanntlich entschieden haben, der Ukraine schrittweise immer weiter reichende Präzisionswaffen (M777; HIMARS; ATACMS) zu liefern, und das nicht nur samt Munition sondern überdies samt zugehörigen Zieldaten, bereitgestellt durch das intelligence fusion center („Task Force Dragon“) in Wiesbaden. In diesem Zusammenhang musste mit der Möglichkeit umgegangen werden, dass die Ukraine die neu eröffneten Optionen zu einer Strategie des targeted killings nutzen würde.

The White House … prohibited sharing intelligence on the locations of “strategic” Russian leaders, like the armed forces chief, Gen. Valery Gerasimov.

Das besagt nebenbei, dass das US-Militär personalisierte Daten über den jeweiligen Aufenthaltsort solcher höchstrangiger Persönlichkeiten in seinen Datenbanken vorhält.

Dann wird ein ungenannter hochrangiger US-Offizieller mit einer Begründung dafür zitiert, dass der Ukraine die Erlaubnis für targeted killing verweigert wurde:

Imagine how that would be for us if we knew that the Russians helped some other country assassinate our chairman, … Like, we’d go to war.”

Folglich wurde, so der Bericht, entschieden, dass Task Force Dragon keine Daten über den identifizierten Aufenthaltsort individueller Russen mit der Ukraine teilen durfte. Dessen ungeachtet kam es dann schließlich doch in den letzten Wochen der Biden-Administration zu dem folgenden Schlag. Hintergrund war eine tendenzielle Verzweiflung, weil die abtretende Biden-Mannschaft sah, dass mit der kommenden Administration unter Präsident Trump vieles nicht mehr möglich sein oder rückabgewickelt werden würde. Also wurden einstmals gezogene rote Linien progressiv noch schnell verschoben:

„<Biden> crossed his final red line — expanding the ops box to allow ATACMS and British Storm Shadow strikes into Russia — after North Korea sent thousands of troops to help the Russians dislodge the Ukrainians from Kursk. One of the first U.S.-supported strikes targeted and wounded the North Korean commander, Col. Gen. Kim Yong Bok, as he met with his Russian counterparts in a command bunker.

Das ist eines von mehreren targeted killing-Opfern in diesem Krieg. Weitere hat die ukrainische Seite autonom, ohne US-Zieldaten-Unterstützung, mit ferngesteuerten Autobomben gegen Generäle der russischen Streitkräfte im Raum Moskau vollzogen.

3.      Die Wahl der targeted killing-Strategie gegen die Houthis durch die Trump Administration

Die Trump-Administration hat den militärischen Kampf gegen die im Nordjemen regierenden Houthis seit dem 16. März 2025 wieder aufgenommen; am 22. April 2025 (erst) hat das Weiße Haus ein Schreiben an den US-Kongress veröffentlicht, welches bereits auf den 28. März 2025 datiert ist. Darin werden die Führer der beiden Kammern gemäß den Verpflichtungen der War Powers Resolution davon in Kenntnis gesetzt, dass die US-Regierung eine militärische Kampagne gegen die vom Iran unterstützte Miliz im Jemen begonnen habe. Die War Powers Resolution setzt für die Verpflichtung der Unterrichtung allerdings eine Frist von 48 Stunden. Der Vorgang riecht, Trump-gemäß, wiederum auch nach einer Provokation angesichts einschränkender Verpflichtung gegenüber einer Dritt-Instanz.

Der Trumpsche Ansatz des Krieges ist eine Abkehr von dem Konzept, welches die Biden-Administration zuvor verfolgt hatte. Jene hatte sich darauf konzentriert, militärische Anlagen der Houthis mit Luftschlägen zu belegen. Die aktuelle Administration verfolgt hingegen den Ansatz, stattdessen Personen, also militärische und politische Führungsfiguren, mit Luftschlägen zu belegen – auch wenn der Text der Unterrichtung vom 28. März 2025 das Gegenteil behauptet. Dieser Strategiewechsel ist nicht Gegenstand des Schreibens aus dem Weißen Haus an den US-Kongress.

In dieser Hinsicht brisant aufschlussreich ist vielmehr der Chat-Verlauf über einen unmittelbar bevorstehenden Einsatz im Jemen, der durch eine Unachtsamkeit des Sicherheitsberaters des Präsidenten öffentlich bekannt wurde. Der Signal Gruppen-Chat offenbarte den Operationsplan: Ein Angriff auf ein ziviles mehrstöckiges Wohnhaus, welcher, so die Berichte, 53 Zivilisten tötete, um einen einzigen militärischen Kommandeur auszuschalten. Der Bericht von Amnesty International zu dem Vorgang bringt das Fehlen der kriegsvölkerrechtlich gebotenen Abwägung schon in der Überschrift zum Ausdruck.

US-Medien, die über diesen Aspekt zu berichten überhaupt es wert fanden, bringen die Haltung, die sich im Gruppen-Chat ausdrückte, mit vorsichtigen Worten so auf den Punkt:

The strike itself, the reasoning behind it and the way in which senior Trump administration officials cheered as civilians died at best damages U.S. moral standing.

Hans-Jochen Luhmann, Mitglied der Studiengruppe „Frieden und Europäische Sicherheit“ der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW).

Es wird vom Lion Air Flug am Tag zuvor (28. Oktober 2018) berichtet, dass die Piloten mit demselben Problem zu kämpfen hatten, zufällig aber ein nicht-diensthabender erfahrener Pilot mit im Cockpit war und sagen konnte „Ich kenne das Problem, Ihr müsst den Hebel X drücken.“

Die Untersuchungen in Seattle haben inzwischen etwas weit Ärgeres herausgebracht: Für die gesamte 737-Serie wurde das Duplizitätsprinzip für die Computersteuerung an Bord zwar hardwareseite eingebaut – dann aber wurden die faktisch nicht sinngemäß laufen gelassen, also einer aktiv, éiner im Stand-by, um im Fall des Ausfalls übernehmen zu können. Die beiden Bordcomputer waren vielmehr so eingestellt, dass die pro Flug abwechselnd nur einzeln eingeschaltet wurden.

Vgl. dazu die folgende Meldung vom 6.6.14 (Interfax Ukraine):
<<Interior Minister Arsen Avakov has said. „I have decided that a hundred percent of combat and patrol units of the Interior Ministry will take part in the antiterrorism operation. This is not only a necessity but also a test of their proficiency, spirit and patriotism. The tempering of units with real threats and challenges is a factor of the creation of a new police force which will be trusted by the public,“ … Avakov reported that 21 officers of the Chernihiv special-purpose patrol battalion comprising volunteers refused to go on a patrol mission in Luhansk region. „The battalion was assigned a patrolling mission in Luhansk region the day before yesterday. Eighty-six men departed to the designated sector to do a man’s job and to accomplish a combat mission in the regime of antiterrorism patrols. Twenty-one persons refused to go and submitted their resignations… They were dismissed immediately,„>>