„Heizen ist der Ausgleich von Baumängeln“
Die Kolumne von Hans-Jochen Luhmann
Gebäude schützen uns vor den Unbilden der Natur. Sie sind Wind und Wetter ausgesetzt und können Ströme dieser Umgebungsenergien modulieren oder einsammeln. Solche Energien lassen sich mittel- bis langfristig speichern. Nullenergiegebäude sind möglich, also Gebäude ohne Zufuhr kommerzieller Energie, sogar Plusenergiegebäude sind möglich. Zugespitzt könnte man für das Resultat bisheriger Gebäudeenergieeffizienzpolitik formulieren: „Heizen ist der Ausgleich von Baumängeln.“ Erhebliches Innovationspotential liegt hier brach, das erst in pionierhaften, zarten Ansätzen genutzt wird.
Gegenwärtig beanspruchen die Gebäude in Deutschland etwa 40 Prozent des nationalen Energiebedarfs. Dessen Deckung mit Hilfe von zugeführten kommerziellen Energieträgern ist ein Riesengeschäft und entspricht Kosten für Endverbraucher in Höhe von rund 100 Milliarden Euro pro Jahr. Im Fortschreiten der Energiewende geht es also um viel Geld. Mit einem Verteilungskampf ist zu rechnen, und auch damit, dass der mit harten Bandagen ausgetragen werden wird. Antreten werden, so ist zu erwarten, vier Parteien, vier Technologien-Vertreter:
- Die Bauwirtschaft im weiteren Sinn, also die Industrie für sämtliche Elemente der Gebäudehülle, inklusive Fenster.
- Die Gebäudeausrüster, also die Unternehmen, die gebäudeverbundene Anlagen herstellen, das sind Heizungen, Klimaanlagen, Wärmerückgewinnungsanlagen sowie Wärmepumpen und Brennstoffzellen.
- Die Gaswirtschaft, die über erhebliche Verteil-Infrastrukturen verfügt, die mit der Decarbonisierung funktionslos zu werden drohen. Ihr bleibt nichts anderes, als zu versprechen, ihr sogenanntes „Erdgas“ zunehmend klimafreundlicher zu machen, ihm den Charakter eines Erdgases also mit der Zeit zu nehmen. Geschehen kann das durch zunehmende Beimischung von elektrisch erzeugtem, also synthetischem Methan, wobei der dafür verwendete Strom seinerseits aus erneuerbaren Quellen zu stammen hat.
- Die Stromwirtschaft, die in gleicher Weise ihr Endprodukt beziehungsweise dessen Herstellung immer klimafreundlicher zu machen verspricht, ebenfalls durch steigende Anteile von Strom aus erneuerbaren Quellen, hauptsächlich aus Windkraft- und Photovoltaik-Anlagen. Da ist dieser kommende totale Wandel schon Gesetzeslage.
Es geht nicht allein um den Wettbewerb dieser vier Anbieter. Es geht auch darum, in welcher Art von Infrastruktur wir in Zukunft leben wollen. Darüber bestimmen wir heute mit unserer Entscheidung über die energetischen Anforderungen an Neubauten, auch wenn der Effekt im Gebäudeensemble sich erst zwei Generationen später dominant zeigen wird. Zur Auswahl stehen prototypisch stilisiert, (wirtschafts)politisch beziehungsweise gestalterisch drei Infrastruktur-Optionen. Eine Gestaltungs-Option für Gebäude besteht dabei immer aus einem zweiten Teil Infrastruktur, denn jedes Gebäude ist eingebettet in ein System leitungsgebundener Energieträger.
- Volle Substituierbarkeit von gebäudeverbundenen Effizienztechnologien mit modernen Nutzungsformen der beiden leitungsgebundenen Energieträger Gas (Brennstoffzelle) und Elektrizität (Wärmepumpe) – und beide Endenergieträger werden über Qualitätsanforderungen auf den Weg zu voll klimaverträglichen Eigenschaften geschickt werden, voll zu erreichen in 2050.
- Keine Verbrennungsprozesse mehr in Gebäuden – das für Zürich avisierte Modell. In Dänemark müssen Neubauten seit 2013 ohne Öl- und Gasheizung auskommen. Im Entwurf des deutschen Klimaschutzplans für 2050 hatte Ministerin Hendricks das für 2030 vorgesehen. Das Komplement ist die Herausnahme von Erdgas aus der Detailversorgung, Elektrizität verbleibt als alleiniger leitungsgebundener Energieträger in der Fläche.
- Ausschluss der Netto-Zuführung kommerzieller Endenergieträger zu Gebäuden generell, also von Erdgas und Elektrizität – Null Lieferung von denen. Die erforderlichen Energiedienstleistungen werden allein von Effizienztechnologien sowie von den (eingesammelten) Strömen der Umgebungsenergien erbracht. Da es lediglich um den Ausschluss der Netto-Zuführung geht, bleibt die Einbindung in das Stromsystem davon unberührt – lediglich die Leistungen, die aus dieser einbettenden Infrastruktur bezogen werden, sind deutlich verändert gegenüber den Optionen b) aber auch a).
Die Rahmen-Regulierung von 2010
Dass bei Gebäuden weiterhin das Geld zum Fenster herausgeheizt wird, soll sich ändern, sogar zu einem Ende gebracht werden. Das ist die Beschlusslage, welche die europäischen Gesetzgebungs-Institutionen, mit Zustimmung Deutschlands, im Jahre 2010 herbeigeführt haben: Was gebäudetechnisch an Energieeffizienz beziehungsweise Energieautarkie möglich ist, soll auch wirklich werden. Mit Beginn des Jahres 2021 soll in Zukunft jeglicher Neubau in Europa ein „Niedrigstenergiegebäude“ („nearly-zero energy building“ (NZEB)) sein – Betonung hier auf „Energie“. So sagt es die EU-Gebäuderichtlinie in Art. 9 (1). Für Gebäude der „Behörden“ gilt dieselbe Verpflichtung zwei Jahre eher.
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Dr. Hans-Jochen Luhmann ist Senior Expert am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH. |
Die beschlossene Vision ist eine technologisch anspruchsvolle Vision. Was sie im (technischen) Detail bedeutet, ist völlig offen, es wurde ja lediglich das Ziel bestimmt. So bedarf es einiges an Vorbereitung, denn die im Jahre 2010 rechtskräftig gemachte Gebäude-Vision hat offenkundig das Zeug, die Bauwirtschaft völlig umzukrempeln. Also wurde den EU-Mitgliedstaaten viel Zeit zur Vorbereitung gelassen. Die Mitgliedstaaten müssen vorher entscheiden, was angesichts ihrer Bautraditionen und ihrer Klimabedingungen eine jeweils angemessene Definition von Nearly Zero Energy Building ist – eine europaweit einheitliche Konkretisierung von NZEB verbietet sich. Damit die Bauindustrie im Vorlauf zu diesem Startschuss zu Neujahr 2021 schon einmal ein Übungsfeld erhält und um die besondere Vorbildfunktion der öffentlichen Hand zu betonen, wurde zudem die Einführung dieses ambitionierten Baustandards für deren Gebäude vorab, bereits ab Januar 2019, verpflichtend gemacht.
Die Regulierung im Speziellen: Der Referentenentwurf des Gebäudeenergiegesetzes (GEG)
Am 23. Januar 2017 wurde für Deutschland der Vorhang gelüftet: Der Referentenentwurf des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) wurde an diesem Tag den Verbänden zugeleitet, zur Stellungnahme, Frist eine Woche. Keine Pressemeldung, keine Adressierung der allgemeinen Öffentlichkeit. Nun muss alles ganz schnell gehen, um eine Verabschiedung noch vor der parlamentarischen Sommerpause und damit in der laufenden, der 18. Legislaturperiode noch erreichen zu können. Das Wesen der Demokratie ist, die Öffentlichkeit mitdenken zu lassen. Dafür müssen die wissenschaftlichen Gutachten, die für die Erarbeitung des neugefassten Gesetzes erarbeitet worden sind, selbstverständlich vorher der Fachöffentlichkeit bekannt gemacht werden – wurden sie nicht; deshalb fehlen hier auch die Bezüge auf Gutachten.
Das Gesetz ist lediglich architektonisch neu gefasst, im Inhalt des Gesetzes ist folglich fast alles recycelt. Bemerkenswert ist vor allem, was nicht beziehungsweise völlig kraftlos lediglich entschieden wurde. Ich hebe Viererlei hervor:
- Der neue progressive Baustandard wurde zwar (endlich) definiert, faktisch als KfW-Effizienzhaus 55, was dem Anspruch eines „NZEB“ durchaus nahe kommt, auch wenn es das schon im Jahre 2010 gab; aber definiert wurde es lediglich für Gebäude der Öffentlichen Hände, der „Behörden“ – die Gebäudewirtschaft, die sich auf den Startschuss des generell neuen Standards ab 2021 vorbereiten will, wird weiter hingehalten.
- Die Kriterien, wann „Behörden“ diesen neuen Standard einhalten müssen, sind so stark einschränkend, dass selbst das Schreiben, mit dem aus der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag heraus gegen den Entwurf des Gesetzes Einspruch erhoben wurde, kritisierte:
„[…] ist davon auszugehen, dass Städte und Gemeinden von Abweichungsmöglichkeit vom vorgesehenen KfW-Effizienzhausstandard 55 regen Gebrauch machen werden. Die Gebäude der öffentlichen Hand würden also weiterhin nach dem derzeit geltenden EnEV-Standard errichtet. Damit dürfte das Gesetz sogar seinem eigenen Anspruch, die Anforderungen zu verschärfen, weitgehend nicht gerecht werden.“ - Das Schreiben hatte den Erfolg, dass die Kabinettsbefassung noch einmal verschoben wurde, von der Tagesordnung des Kabinetts am 15. Februar heruntergenommen wurde. Für Ende März ist nun geplant, das Vorhaben durchs Kabinett zu bringen.
- Der „Primärenergiefaktor“ ist die Stellgröße, um die Definition der Anforderungen an das individuelle Gebäude so zu ändern, dass das Ziel für den Gebäudebestand, „ein nahezu klimaneutralen Gebäudebestand bis zum Jahr 2050“, auch ansteuerbar wird. Die Gruppe aus der CDU/CSU-Fraktion will die Befassung über die zukünftigen Zahlenwerte des „Primärenergiefaktors“ im Parlament und damit im Gesetz haben. Das ist gut gesehen, hier geht es um Macht für strategische Entscheidungen.
Der Kern des Konflikts
Hauptanforderungsgröße für die Energieeffizienz von Gebäuden ist und bleibt der „Jahres-Primärenergiebedarf“ – wie von der EU-Gebäuderichtlinie (2010) vorgegeben. In Gebäuden eingesetzt aber werden Endenergieträger, das sind mit Hilfe von Energie produzierte Energieträger. In der Zukunft kommen dafür im wesentlichen Strom und Gas in Betracht. Bei beiden Energieträgern kommt es beim Verbrennungsprozess zu erheblichen Verlusten, allerdings auf unterschiedlichen Ebenen:
- Bei Gas findet der Verbrennungsprozess bei der Nutzung vor Ort, im Gebäude, statt. Der Verlust ist also endenergetisch zuzurechnen.
- Bei Strom findet der Verbrennungsprozess in (bislang noch thermischen) Kraftwerken, also auf einer Herstellungs-Ebene früher statt. Der Verlust ist somit primärenergetisch zuzurechnen – die Nutzung von Strom ist dagegen fast verlustfrei.
Um den Einsatz beider Endenergieträger zur Heizung von Gebäuden in fairer Weise vergleichbar zu machen, ist ein pauschalierendes Abstellen auf den (rein theoretischen) äquivalenten „Primärenergiebedarf“ unabdingbar. Das „Abstellen“ wird vorgenommen mit Hilfe des Primärenergiefaktors (PEF). Mit dessen Bestimmung wird über ein Wettbewerbsverhältnis, mindestens zwischen Gas und Strom, entschieden – das ist zwangsläufig und offenkundig.
Zu den Wettbewerbern hier gehören aber, wie eingangs erwähnt, nicht allein Strom und Gas. Hinzu kommen die bereits erwähnte Technik der „Dämmung“ und die Gebäudeanlagentechnik (Wärmerückgewinnung; Kühlung) inklusive Anlagen zur Einsammlung und Speicherung von Umgebungs- und gebäudenah geernteter Energie aus erneuerbaren Quellen.
Technologien zur Begrenzung des Wärmeverlustes durch die Hüllflächen eines Gebäudes standen bislang unter Wettbewerbsschutz gegenüber den beiden (perspektivisch in ihrem Klimaeffekt sauber werdenden) Endenergieträgern, indem die Energieeinsparverordnung (EnEV) Mindestanforderungen an die dämmende Funktion der Gebäudehülle gestellt hatte – das geht nun alles in das GEG über. Kritisch anzumerken ist: Das ist auf den Bedarf an Wärme beschränkt – dabei pfeifen es die Spatzen von den Dächern, dass die Klimatisierungswelle auch der Wohngebäude in Deutschland kommen wird, dafür wird spätestens der Klimawandel sorgen, wenn der kommerzielle Sog nicht reichen sollte – die PKW haben es vorgemacht. Angesichts all dessen zeichnet sich ab, was für die Zukunft vermutlich vorgesehen ist:
- die Technologieoptionen zur Minderung der Transmissionswärmeverlustes werden als ausgereizt angesehen.
- Für die Technologieoptionen der Gebäudeanlagentechnik werden keinerlei Mindestanforderungen gesetzt, sie werden nicht unter einen spezifischen Innovationsdruck gesetzt.
- Für die Technologieoptionen Gas und Strom wird voller Zugang zur Deckung des verbleibenden Minderungsbedarfs für den „Primärenergiebedarf“ von Gebäuden gewährt, sofern sie im Gegenzug und Gleichschritt ihre „Klimaneutralisierung“ (u.a. durch sukzessiven Umstieg auf Gas aus erneuerbaren Quellen) versprechen. Das werden sie tun – bei Strom ist dies bereits gesetzlich vorgegeben, bei Gas steht es aus.
Die Konsequenz ist einigermaßen sicher vorhersehbar: Sie besteht in jeweiligen „Koalitionen“ der beiden Endenergieträger mit spezifischen gebäudeverbundenen Anlagentechnologien. Die Elektroheizung wird bevorzugt die Gestalt der elektrisch betriebenen Wärmepumpen annehmen. Die Gasheizung wird bevorzugt die Gestalt der Gas-Brennstoffzellen annehmen – da wird also auch noch ordentlich, und das dezentral, der eigentlich konkurrierende Energieträger „Strom“ produziert.
Diese beiden Technologien sind natürlich in besonderer Weise geeignet für eine Sanierungsstrategie für bestehende Gebäude. In Szenarienstudien, die gerade anlaufen, wird das noch nicht so klar gespiegelt – doch sie nähern sich dem an.