Kann das Zwei-Grad-Ziel bei der Erderwärmung noch eingehalten werden?

 

Zur Klimakonferenz von Paris im Dezember 2015

Die Kolumne von Hans-Jochen Luhmann

Für Dezember 2015 ist in Paris eine „große“ Konferenz der multilateralen Klimapolitik angesagt: „CoP 21“ unter der Klimarahmenkonvention (United Nations Framework Convention on Climate Change ‑ UNFCCC). Die CoP-Konferenzen (Conference of the Parties) erfolgen im Jahresturnus, CoP 1 fand im Jahre 1995 in Berlin statt. Damals war ich gerade zum Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie gewechselt – CoP 1 unter dem Vorsitz der damaligen Umweltministerin des Gastlandes, Angela Merkel, war ein geeigneter Anlass für mich zur Einarbeitung in dieses Thema, auf dieser Ebene. Das ist nun gut 20 Jahre her.

Angela Merkel ist als Bundeskanzlerin mittlerweile eine sehr erfahrene Top-Politikerin. In multilateraler Klimapolitik gilt sie als so versiert, dass man sie bei diesem Thema, um eine Beamten-Einschätzung zu benutzen, sogar alleine in Verhandlungen schicken kann. Und sie nimmt heute eine klimapolitische Schlüsselrolle ein. Diese Frau, die im Juni 2015 Gastgeberin beim G7-Gipfel auf Schloss Elmau sein wird, hat in ihrer Rede am 19. Mai beim diesjährigen Petersberger Klima-Dialog eine, aber auch nur eine, äußerst bemerkenswerte Aussage gemacht:

„Wir sprechen uns mit Blick auf die Konferenz in Paris für mindestens 60 Prozent Reduktion [der Treibhausgasemissionen] gegenüber 2010 als globales Langfristziel aus. Das würde einer globalen Minderung um mindestens 50 Prozent gegenüber 1990 entsprechen.“

„Globales Langfristziel“ steht für „Ziel bis 2050“. Im Original nämlich hatte sie noch gesagt: „Wir könnten uns vorstellen, bis 2050 eine weltweite Reduktion von 60 Prozent gegenüber 2010 einzugehen.“ Man hat davon auszugehen, dass dies das Ergebnis des G7-Gipfels in Elmau und vermutlich im besten Fall auch des Gipfels in Paris zu Ende des Jahres sein wird. „Mindestens 50 Prozent bis 2050 gegenüber 1990“ für die Reduktion der Treibhausgasemissionen ist also das Höchste, was für Paris als Ergebnis erwartet werden kann.

Das maximal-Zwei-Grad-Ziel: bereits abgemeiert?

Ein solches Ziel kann nicht willkürlich gesetzt werden. Es ist vielmehr abzuleiten aus einerseits dem Umweltqualitätsziel, welches mit Artikel 2 UNFCCC gesetzt und mit dem Beschluss von Cancun (CoP 16) im Jahr 2010 auf eine weltweite globale Erwärmung von „maximal plus 2 Grad Celsius“ konkretisiert festgelegt worden ist. Dieses Umweltqualitätsziel entspricht einem verbleibenden Budget an Kohlenstoff, welches noch entweder verfeuert oder durch Freisetzung aus Biomasse in die Atmosphäre entlassen werden darf. Das entsprechende Restbudget bis 2050 allein für CO2 (unter der Annahme für andere Treibhausgase, dass diese unter einer definierten Schranke bleiben) hat der Weltklimarat (IPCC) in seinem jüngten Bericht auf 1.000 Gigatonnen CO2 bestimmt. Die diesbezüglichen Emissionen lagen 2010 bei etwa 37 Gigatonnen pro Jahr, Tendenz seitdem steigend (+ 2,3 Gigatonnen pro Jahr bis 2013 gegenüber 2010).

Das bedeutet: Die Merkelsche Zielangabe geht nicht auf. Das finale Klima-Ziel, welches die Politk im vollen Konsens noch beziehungsweise endlich im Jahre 2010 bestimmt hat, ist nur zu erreichen, wenn es nicht irgendwann linear abwärts geht mit den Treibhausgasemissionen – es muss vielmehr eine Kraft hinzutreten, die für eine positive Rückkopplung im Abwärtsmarsch der CO2-Emissionen sorgt.

Dr. Hans-Jochen Luhmann ist Senior Expert am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH.

Worauf ist dann noch ernstlich Hoffnung zu setzen?

In der Klima-Community wird händeringend nach solchen Perspektiven Ausschau gehalten. Mir ist kürzlich eine untergekommen, die mir einleuchtet. Vermittelt hat sie mir der britische Geowissenschaftler Jeremy Leggett in seinem neuesten Buch, einer Art Tagebuch, von 2013 bis März 2015 en bloc online publiziert – der Rest, bis Dezember 2015, bis „Paris“ also, soll in Fortsetzungen erscheinen, jeweils am Ersten eines Monats.

Leggetts Kernerwartung richtet sich auf Entwicklungen in drei Feldern, zu denen er direkten Zugang hat. Die vermögen den Umschwung zu bringen. Zu ihnen zählt nicht die Politik, insbesondere nicht die multilaterale Klimapolitik – die spielt nur am Rande eine Rolle. Ausgangspunkt ist eine schlichte Einsicht. Es steht eine Scherenbewegung bevor:

(Feld 1) Fossile Brennstoffe zu fördern, wird notwendigerweise immer aufwändiger und teurer, da von den günstigen zu den schwieriger zu erschließenden Vorkommen fortgeschritten werden muss.

(Feld 2) Energie aus Wind und insbesondere aus Sonne (Photovoltaik) zu gewinnen, ergänzt um dezentrale Speicher oder andere Ausgleichsformen, wird hingegen mit zunehmender Menge immer günstiger, da der technische Fortschritt hier noch ein erhebliches unausgenutztes Potential aufweist.

Die Kosten-Kurven beider „Klingen“ der Schere werden sich eines Tages schneiden. Ab diesem Tag wird die Kostenrelation umschlagen: Von diesem Tag an werden die fossilen Energieträger ausgedient haben. Der noch ungenutzte Rest wird unter der Erde verbleiben, er wird dann kein „Bodenschatz“ mehr sein. Das ist, so abstrakt formuliert, kaum strittig.

Im Hinblick auf das menschengemachte Klimaproblem ist der entscheidende Punkt, wo dieser Schnittpunkt auf der Zeitachse zu liegen kommen wird. Konkret: Wird dieser Tag des Umschlags so rechtzeitig eintreten, dass das Zwei-Grad-Ziel bei der Erderwärmung noch eingehalten werden kann? Oder wird er, wenn alles im Selbstlauf geschieht, dafür zu spät eintreten? Um diese existentielle Frage zu beantworten, muss man Zweierlei klären:

(i) Wie wird dieser „Tag“ bestimmt? Ergibt er sich von alleine, aus dem Konflikt der technischen Optionen, oder ist er auch menschenbeeinflusst? Und:

(ii) Wo liegt er eigentlich wirklich – fern oder nah?

Ad (i): Es handelt sich auf beiden Seiten der Scherenbewegung um Energieformen, die nicht einfach anfallen, sondern vielmehr produziert werden. Ihre Verfügbarkeit wird gemäß langfristigen Kalkülen geplant, denn sie erfordern erhebliche und langfristige Investitionen, um geerntet werden zu können. In diese Kalküle gehen Erwartungen über die Zukunft während der Errichtungs- und Nutzungszeit einer Kohlemine, einer Öl-Fördereinrichtung in der Arktis oder eines Solarparks ein. Zudem bedarf das alles komplementär passender Infrastrukturen, für die Nutzungszeiten von 50 Jahren und mehr in Anschlag gebracht werden. Das heißt für all diese Investitionen ist nicht so sehr das Kalkül des je einzelnen Investors entscheidend. Die Einzelinvestitionen sind vielmehr alle eingebettet in eine kollektive Planung, teilweise auf Staatenebene, meist aber global, weil vieles doch durch die global einmütigen Vorstellungen der international tätigen (Entwicklungs-)Banken geprägt wird.

Ad (ii): Die Vorstellung, dass „eines fernen Tages“ ein Umschlag in der relativen Wirtschaftlichkeit eintreten werde, ist angesichts dessen praktisch irreführend. Im Kalkül der Anleger von Kapital, in ihrem so beschriebenen „Verhalten“, liegt nämlich etwas Zeitüberbrückendes in Richtung Gegenwart vor. Das bietet einen Ansatzpunkt, das für die Zukunft von interessierten Kreisen zu erwarten Gegebene zum Gegenstand eines Konflikts in der Gegenwart zu machen.

Das ist das Feld 3. Der „Tag“ des Umschlags ist potentiell heute, denn über den Konflikt entschieden wird „heute“ – von Menschen, von einer äußerst kleinen Gruppe von Menschen sogar. Es handelt sich um die sogenannten „Investoren“ – beziehungsweise ihre Treuhänder. Deren Bewusstsein anzusprechen, ist nicht eine solch zeitfressende Mammutaufgabe wie das Überzeugen ganzer Bevölkerungen in Demokratien.

Carbon Tracker

Diese Investoren bedürfen der Beratung. Das ist das Geschäftsmodell von Analysten-Firmen, die häufig Teil von Investment-Banken sind. Sie stehen also auf der Seite der Anleger, kritisch gegenüber den Kapital-suchenden Unternehmen. Die oben eingeführte Scherenbewegung sowie die Festlegung der Staatengemeinschaft auf das Zwei-Grad-Ziel stellen, in die Sprache der Finanzwelt übersetzt, das Aufkommen von Risiken für solche Finanzanlagen dar, die auf den Wert von Engagements in fossile Energieträger setzen. Das ist ebenfalls eine allseits akzeptierte Feststellung.

Die Frage ist nur, welche der getätigten oder noch zu tätigen Investments es treffen wird – welche zu den 80 Prozent gehören werden, die nicht mehr verbrannt werden können, und welche zu den glücklichen 20 Prozent, die noch verwertet werden können. Jedes in fossile Energieträger investiert Unternehmen behauptet von sich, dass seine Investments so günstig seien, dass sie noch in die Verwertung gelangen werden. Je einzeln mag das überzeugend sein – in Summe aber kann es nicht wahr sein.

Also besteht eine klassische Aufgabe für Analysten. Ausgangspunkt ist: Das Risiko ist kollektiv unbestritten existent. Die offene Frage lautet: Wen trifft es? Das ist zu klären. In Frage kommen dafür zwei Typen von Analysen:

(a) energieträgerspezifische, also für Branchen, für Kohle, Öl und Gas; und

(b) darin jeweils unternehmensspezifische.

Dieser Aufgabe hat sich erstmals Carbon Tracker mit Sitz in London gewidmet – gegründet auf Initiative von Stiftungen in den USA, rund um die Rockefeller-Familie, nach dem Desaster 2009 in Kopenhagen bei CoP 15. Das Personal rekrutierte sich damals an diesem Dienstort leicht aus erfahrenen Personen von Großbanken mit illustren Namen – die Weltfinanzkrise erwies sich in ihren Auswirkungen auf die Bankenlandschaft als äußerst hilfreich. Außerdem hatten etliche versierte Personen die Lektion der „bubbles“ gelernt – also waren sie sensibilisiert, den nächsten bubble, nun den carbon bubble, nicht wieder zu übersehen.

Carbon Tracker, 2010 vom Stapel gelassen, war erfolgreich – Leggett beschreibt das in etlichen Einträgen seines Tagebuch-Buches. Der weitest gehende Erfolg ist sicherlich, dass es gelang, die Problematik in Form eines Verdachts auf einen erneut sich aufbauenden bubble als Aufgabe zur Überprüfung an Institutionen zu übertragen, die nach der Finanzsystemkrise, also jüngst erst, gegründet und mit der Verantwortung für die Stabilität des Finanzsystems betraut worden sind.

Leggett schildert, wie das (erfolgreich) mit der Bank of England bereits gelaufen ist – noch nicht Thema ist bei ihm, dass die EZB von Mitgliedern des Europaparlaments gedrängt wird, dieses Risiko zu untersuchen, sowie dass, Medienberichten zufolge, die G20 das Financial Stability Board der BIZ in Basel um eine Prüfung gebeten habe.

Mir scheint, so könnte es gehen – das könnte die gesuchte und entscheidende zusätzliche Kraftquelle von außen sein. Sie könnte auslösen, dass der Umschlageffekt aus der Scherenbewegung, der nach Eintritt in sich selbstverstärkend ist, alsbald eintritt.

 

 

Es wird vom Lion Air Flug am Tag zuvor (28. Oktober 2018) berichtet, dass die Piloten mit demselben Problem zu kämpfen hatten, zufällig aber ein nicht-diensthabender erfahrener Pilot mit im Cockpit war und sagen konnte „Ich kenne das Problem, Ihr müsst den Hebel X drücken.“

Die Untersuchungen in Seattle haben inzwischen etwas weit Ärgeres herausgebracht: Für die gesamte 737-Serie wurde das Duplizitätsprinzip für die Computersteuerung an Bord zwar hardwareseite eingebaut – dann aber wurden die faktisch nicht sinngemäß laufen gelassen, also einer aktiv, éiner im Stand-by, um im Fall des Ausfalls übernehmen zu können. Die beiden Bordcomputer waren vielmehr so eingestellt, dass die pro Flug abwechselnd nur einzeln eingeschaltet wurden.

Vgl. dazu die folgende Meldung vom 6.6.14 (Interfax Ukraine):
<<Interior Minister Arsen Avakov has said. „I have decided that a hundred percent of combat and patrol units of the Interior Ministry will take part in the antiterrorism operation. This is not only a necessity but also a test of their proficiency, spirit and patriotism. The tempering of units with real threats and challenges is a factor of the creation of a new police force which will be trusted by the public,“ … Avakov reported that 21 officers of the Chernihiv special-purpose patrol battalion comprising volunteers refused to go on a patrol mission in Luhansk region. „The battalion was assigned a patrolling mission in Luhansk region the day before yesterday. Eighty-six men departed to the designated sector to do a man’s job and to accomplish a combat mission in the regime of antiterrorism patrols. Twenty-one persons refused to go and submitted their resignations… They were dismissed immediately,„>>