Seit Januar 2018 kostet jede Zusatzemission an Kohlendioxid Deutschland 30 Euro pro Tonne

 

Deutschland überschreitet seit 2018 die vorgegebene Grenze für die Emission von Treibhausgasen und kumuliert gegenwärtig Zusatzlasten auf Zusatzlasten. Für all die ist aus dem Bundeshaushalt zu zahlen; die laxe Klimapolitik, vor allem im Verkehr, das Nachgeben gegenüber den Auto-Herstellern, ist uno actu ein Griff in die Taschen des Finanzministers geworden. Es geht jetzt um Geld, um viel Geld.

Die Kolumne von Hans-Jochen Luhmann



 

Multilaterale Klimapolitik gibt es seit mehr als 35 Jahren. Ihre Ziele von Anfang an waren:

  1. Die Erd-Atmosphäre sollte eine Allmende werden, ein gemeinsam genutztes Gut, dessen Nutzung reguliert wird: möglich nur noch begrenzt und, im Prinzip, gegen Entgelt.
  2. Die Industriestaaten sollten bei dieser Entwicklung vorangehen.

Die EU mit ihren Mitgliedstaaten ist vorangegangen, für ihre Mitgliedstaaten ist die Atmosphäre eine (klimapolitische) Allmende geworden. Für die gesamten Emissionen der EU, und für jeden einzelnen Staat, existiert je eine Obergrenze. Es gibt jeweils ein pro Zeiteinheit maximal verausgebbares Budget (an Emissionen) – eine Überschreitung ist mit Geld auszugleichen.

Deutschland überschreitet seit 2018 die vorgegebene Grenze für die Emission von Treibhausgasen und kumuliert gegenwärtig Zusatzlasten auf Zusatzlasten. Für all die ist aus dem Bundeshaushalt zu zahlen. Eingestellt ist das da noch nicht – das Defizit betrifft neue Akteure in Berlin. Die laxe Klimapolitik, vor allem im Verkehr, das Nachgeben gegenüber den Auto-Herstellern, ist uno actu ein Griff in die Taschen des Finanzministers geworden. Der Bundesrechnungshof kann nicht umhin als den laisser-faire-Stil einiger Ressorts im Klimaschutz, zum Beispiel die Klientel-Politik in der Landwirtschaft, für sich als Prüffall zu akzeptieren. Es geht jetzt um Geld, um viel Geld.

Die Klimagas-Budget-Grenze ist eine Errungenschaft, die öffentlich so gut wie unbekannt ist. Sie war ja auch nur eine Option, die bislang nicht angewendet wurde. Da es keinen Mangel an Emissionsrechten in Deutschland gab, hat sie bislang nicht gegriffen, hat sie ihre Zähne nicht gezeigt. Im Laufe des letzten Halbjahres aber, konkret seit dem 15. Januar 2018, dem Zeitpunkt, da die offiziellen Emissionsdaten für 2016 vorliegen, hat sich in der deutschen Klimapolitik das Blatt gewendet, das (fesselnde) Netzwerk hat eine hohe faktische Relevanz entwickelt.

Der Schwarze Peter liegt bei der Bundesregierung, ihrem Haushalt – die will ihn loswerden

Zumindest für die Industriestaaten ist die Nutzung der Erdatmosphäre beschränkt und gegebenenfalls entgeltpflichtig. In der ersten Periode des Kyoto-Protokolls (2008 bis 2012) war das noch für alle Industriestaaten so, in der zweiten Periode des Kyoto-Protokolls (2013 bis 2020) fast nur noch für die EU und mit ihr verbundene wenige weitere Staaten. Versprochen wurde dies gegenüber dem zuständigen Organ der Vereinten Nationen, der Klimarahmenkonvention (UNFCCC). Als Subjekt dort aufgetreten ist die EU als Ganze, als eigenständiges Völkerrechtssubjekt. Es existiert damit eine Begrenzung für die gesamten Emissionen Europas im Zeitraum 2013 bis 2020, und das ist eine, in der jedes Jahr zählt: Nach Rechnungsabschluss in 2020 nämlich wird für die Summe aller Emissionen in diesen acht Jahren abgerechnet. Dann wird gefragt: Kannst Du, EU, soviele Rechte, wie Du emittiert hast, vorweisen? Die hat die EU bei der UN abzugeben. Wenn etwas fehlt, hat sie zusätzliche Rechte gegen Entgelt einzuwerben.

Die EU war nicht so blauäugig, eine solche Verpflichtung einzugehen, wenn diese nicht von denjenigen Akteuren unterlegt wäre, die wirklich und direkt Einfluss haben auf die emittierten Mengen. Das unterscheidet die EU von der Bundesrepublik Deutschland. In Deutschland nimmt die Bundesebene die Minderungs-Verpflichtungen von der EU entgegen und reicht sie – bislang zumindest – nicht weiter.

Die Bundesregierung hat für jegliche Versäumnisse, Unwillen (der Automobilindustrie), Obstruktion (zum Beispiel des Bundesrates) oder auch Tölpeleien anderer (siehe etwa der Moorbrand bei Meppen) geradezustehen und muss gegebenenfalls zahlen. Aus dieser Position will sie inzwischen herauskommen. Im kommenden Klimaschutzplan, dem vorrangigen Vorhaben im Klimaschutzbereich gemäß Koalitionsvertrag, ist Ziel, den Schwarzen Peter endlich weiterzugeben. Aber an wen? Die Akteure, die wirklich beziehungsweise weit eher als die EU Macht über „ihre“ Emissionen haben, wurden von der EU wie folgt in zwei Gruppen geordnet.

  • Da sind zum einen die Betreiber großer Anlagen. Die wurden mit ihren Rechten und Verpflichtungen Brüssel direkt unterstellt. Das geschah, nachdem Brüssel fassungslos zusah, welche Korrumptionsprozesse sie ausgelöst hatte, als sie die erste Runde der Verteilung von Emissionsfreirechten den nationalen Körperschaften überlassen hatte. Auch in Deutschland, um es auf den Punkt zu bringen. Unterstellt wurden sie dem „Europäischen Emissionshandelssystem“, engl. Emissions Trading System, deswegen EU-ETS abgekürzt. Die Pointe aber kommt in dieser Benennung nicht zu Ausdruck, es ist nämlich wesentlich ein „cap & trade system“. Das „cap“, die Begrenzung der Emissionsrechte in Summe, ist die Pointe – nicht der Handel. Der ETS umfasst gut 40 Prozent der EU-Emissionen.
  • Bleiben zum anderen, mit etwa 55 Prozent, die Emissionen aus den vielen Kleinquellen, vor allem im Verkehr, den selbsttransportierten Verbrennungskraftmaschinen auf den Straßen; in den Gebäuden zur Heizung und Klimatisierung; in der Landwirtschaft, den vielen Tieren, Ställen und Jauchegruben. Die Verantwortung dafür blieb bei den Nationalstaaten in der EU, jedem wurde individuell ein Teil zugerechnet – vollzogen in der „Effort Sharing Directive“ (ESD) der EU. Also rechtsförmig durchsetzbar – anders als die Verpflichtungen, die man der UN-Ebene gegenüber (im gleichen Sinne) eingegangen ist. Die ESD-Verpflichtungen sind somit ernst. Ihnen kann man nicht, wie bei freiwilligen Zielen, mit einem bedauernden Schulterzucken entkommen, mit dem Satz auf den Lippen, „Wir haben uns bemüht, aber es hat nicht sollen sein …

Seit 15. Januar 2018 ist bekannt: Deutschland ist im Klima-Obligo

In diesem Sinne hat Deutschland eine rechtlich verbindliche Begrenzungsverpflichtung für acht Jahre – die kaum bekannt ist. Sie ist im Bewusstsein, selbst in Fachkreisen, verdrängt worden durch das rechtlich unverbindliche Punktziel der Bundesregierung für das Jahr 2020, über das fast ausschließlich gesprochen wird. Die Begrenzungsverpflichtung unter der ESD ist nicht allein rechtlich verpflichtend, sie ist obendrein finanziell „bewehrt“. Am Ende der Periode wird Deutschland, die Bundesregierung, nämlich gefragt: Hast Du auch soviele Rechte, wie von Deinem Staatsgebiet aus emittiert wurde (nach Abzug der Emissionen im ETS-Sektor, also vor allem der großen Kraftwerke mit Kohle und Gas als Brennstoff), vorzuweisen? Dann schlägt die Stunde der Wahrheit. Das wird so etwa 2022 der Fall sein, Buchhaltungsprozesse brauchen ihre Zeit.

Hat die Bundesregierung Rechte in unzureichender Menge vorzuweisen, weniger als sie als Freirechte erhalten hat, so muss sie welche zukaufen. Und die haben ihren Preis. Der steht jetzt (Anfang Oktober 2018) bei 20 Euro pro Tonne Kohlendioxid und wird bis 2022 auf 30 Euro pro Tonne Kohlendioxid klettern – da sind sich die Experten einig. Um ganz genau zu sein: Da das alles im Vorhinein absehbar ist, wird die Bundesregierung klugerweise vorab ihren wahrscheinlichen Schuldenstand errechnen und im Vorhinein Emissionsrechte hinzukaufen. Anders gesagt, darum geht es mir: Auch wenn erst in 2022 schlussendlich abgerechnet wird, fallen allfällige Mehrausgaben für die (absehbare) Begrenzungsüberschreitung heute und alsbald an.

In Berlin werden sich, wenn diese neuartige Situation erst einmal wahrgenommen worden ist, neue Interessenkonstellationen zwischen den Ressorts der Bundesregierung ergeben. So fragt man sich in Berlin beispielsweise, zu wessen Lasten es gehen soll, wenn die PKW-Hersteller über alle Leisten schlagen und daran weder vom zuständigen Ressort, dem Verkehrsministerium, noch vom Treuhänder der CO2-basierten Kfz-Steuer, dem Finanzminister, gehindert werden? Das Umweltministerium hat dafür nicht das Geld und vermag auch nicht den Übeltätern in die Speichen zu greifen. Also wird es wohl darauf hinauslaufen, dass das Prinzip gilt: Wer bestellt, zahlt. „Bestellen“ heisst hier: Wer die Klientel seines Ressorts ‚einfach machen lässt’, ohne Rücksicht auf resultierende finanzielle Verpflichtungen. Beim Verkehr läuft es darauf hinaus: Was die Kfz-Hersteller mit ihren faktischen Überschreitungen der spezifischen CO2-Flottenwerte an Verwendung von Haushaltsmitteln provozieren, das steht weniger für die Instandsetzung von Straßen und Brücken zur Verfügung. Es gilt das Ressortprinzip, nun als Prinzip der ressortintern kommunizierenden Röhren. So könnten eines Tages die Bauarbeiter gegen die IG-Metaller von der Kfz-Industrie marschieren.

Wenn der Bundesrechnungshof, wenn der Finanzminister, wenn der Normenkontralrat diese Lektion bereits gelernt hätten, dann würden sie nicht zuwarten, bis das Kind endgültig in den Brunnen gefallen ist. Deutschland ist zwar klar im Bereich der Überschreitung, aber das Ausmaß zusätzlicher Überschreitung durch heutige Entscheidungen (oder Nicht-Entscheidungen) ist ja nicht besiegelt sondern noch erheblich beeinflussbar.

Es wird vom Lion Air Flug am Tag zuvor (28. Oktober 2018) berichtet, dass die Piloten mit demselben Problem zu kämpfen hatten, zufällig aber ein nicht-diensthabender erfahrener Pilot mit im Cockpit war und sagen konnte „Ich kenne das Problem, Ihr müsst den Hebel X drücken.“

Die Untersuchungen in Seattle haben inzwischen etwas weit Ärgeres herausgebracht: Für die gesamte 737-Serie wurde das Duplizitätsprinzip für die Computersteuerung an Bord zwar hardwareseite eingebaut – dann aber wurden die faktisch nicht sinngemäß laufen gelassen, also einer aktiv, éiner im Stand-by, um im Fall des Ausfalls übernehmen zu können. Die beiden Bordcomputer waren vielmehr so eingestellt, dass die pro Flug abwechselnd nur einzeln eingeschaltet wurden.

Vgl. dazu die folgende Meldung vom 6.6.14 (Interfax Ukraine):
<<Interior Minister Arsen Avakov has said. „I have decided that a hundred percent of combat and patrol units of the Interior Ministry will take part in the antiterrorism operation. This is not only a necessity but also a test of their proficiency, spirit and patriotism. The tempering of units with real threats and challenges is a factor of the creation of a new police force which will be trusted by the public,“ … Avakov reported that 21 officers of the Chernihiv special-purpose patrol battalion comprising volunteers refused to go on a patrol mission in Luhansk region. „The battalion was assigned a patrolling mission in Luhansk region the day before yesterday. Eighty-six men departed to the designated sector to do a man’s job and to accomplish a combat mission in the regime of antiterrorism patrols. Twenty-one persons refused to go and submitted their resignations… They were dismissed immediately,„>>