Trumps Coup-Vorbereitungen und das US-Militär

 

Die Kolumne von Hans-Jochen Luhmann (Februar 2024)

Nach der Analyse von 943 Coups aus dem Zeitraum von 1949 bis 2019 braucht es für den Erfolg im illegitimen Kampf um die Machterhaltung eines Amtsinhabers die Zustimmung des Sicherheitsapparats, insbesondere des Militärs. An dieser Flanke hatte Trump 2021 nicht vorgesorgt, da hat er seine Chancen mangels strategischer Weitsicht verspielt.

Der Versuch des demokratisch gewählten Präsidenten Trump, sich gegen Ende seiner Amtszeit im Jahr 2021 durch einen Coup an der Macht zu halten, ist kein Einzelfall. Wissenschaftlich klassifiziert hat er einen „Self-Coup“ (in einem demokratischen Umfeld) versucht – und ist damit gescheitert. Die Fragen, die auch er und sein Umfeld sich stellen werden, lauten: „Warum? Was ist schiefgelaufen?“ Schließlich unternimmt er gerade einen zweiten Anlauf, und wenn er erneut ins Amt kommt, wird er versuchen, seine Herrschaft auf Dauer zu stellen, um „den Sumpf in Washington auszutrocknen“. Also wird auch er lernen wollen; seine Gegner, die ein Abdriften in ein autoritäres Regime verhindern wollen, ebenso.

Die globale Erfahrung mit Coups

Im Zeitraum von 1949 bis 2019 hat es 943 Coups gegeben, davon neun „Self-Coups“ in einem demokratischen Umfeld – also Coups desjenigen Typs, wie ihn Trump unternommen hat. Von diesen neun Coups waren vier erfolgreich. So gesehen hatte Trump nicht schlechte Chancen. Es gibt allerdings eine Erfolgsbedingung, die gilt zu 100 Prozent: Es braucht für den Erfolg im illegitimen Kampf um die Machterhaltung eines Amtsinhabers die Zustimmung des Sicherheitsapparats, insbesondere des Militärs. An dieser Flanke hatte Trump nicht vorgesorgt, da hat er seine Chancen mangels strategischer Weitsicht verspielt. So gesehen hat er den Kampf um die Prolongation seiner Macht nicht erst mit den verschiedenen Coup-Konzepten, die sein Umfeld und er nach der Niederlage in der Volkswahl am 3. November 2020 ventiliert haben, verloren und auch nicht am 6. Januar 2021, sondern bereits weit eher. Trump hätte es sich ausrechnen können, er wusste es nur nicht bis dahin.

So wie hier moralfrei erzählt, ist es der wertfreien Wissenschaft möglich zu berichten. Die ist mit ersten Analysen auf dem Markt. Ich folge hier zunächst einer Analyse, die David Pion-Berlin und Mitautoren aus Kalifornien unter dem Titel The Trump Self-Coup Attempt: Comparisons and Civil–Military Relations verfasst haben. Zum Umgang des US-Militärs mit den Trumpschen Coup-Versuchen greife ich auf das Buch der Journalisten Peter Baker (NYT) und Susan Glasser (The New Yorker) „The Divider. Trump in the White House, 2017-2021” zurück.

Der „Mehrwert“ des wissenschaftlichen Zugriffs ist das Systematische. Dadurch wird der Vorgang in Washington mit analogen Coup-Versuchen in anderen Staatswesen vergleichbar. Ein „Self-Coup“ ist so definiert:

A self-coup is an effort launched by a nation’s chief executive to hold onto, consolidate or expand power by interfering with or shutting down another branch or branches of government.

Mit „other branches of government“ sind Legislative und/oder Oberstes Gericht gemeint. Das “self” vor Coup qualifiziert den Coup als den eines bereits etablierten Machthabers. Was Mussolini 1922 und Hitler mit Ludendorff zusammen im November 1923 unternommen haben, waren keine „Self-Coups“ – dessen ungeachtet ist ein Vergleich mit ihrem jeweiligen Vorgehen fruchtbar. Schließlich haben Hitler und Ludendorff mit ihrem Putschversuch am 8./9. November 1923 in München, der auf die Macht in Berlin zielte, Mussolinis Dramaturgie explizit als Vorbild genommen.

Vergleich mit Coup-Versuchen andernorts

Die Autoren greifen auf eine Datenbank des Cline Centers zurück, welche 943 Coups and Self-Coups aus dem Zeitraum von 1949 bis 2019 umfasst. Diese Datenbank wurde „geschnitten“ mit einer anderen Datenbank, welche Staaten nach Demokratien (sowohl präsidentiell und parlamentarisch) und Autokratien (sowohl zivilen als auch militärischen Charakters) unterscheidet; ergänzend wurden Monarchien betrachtet. Das statistische Ergebnis:

  • 63 Prozent der Self-Coups wurden unter einer autokratischen Regierungsform gestartet,
  • 27 Prozent unter einer demokratischen Regierungsform
  • und 6 Prozent unter einer Monarchie.
  • Unter einer autokratischen Regierungsform waren 18 von 21, also 86 Prozent, erfolgreich,
  • unter einer präsidentiellen Demokratie waren nur 2 von 7, oder 29 Prozent, erfolgreich.
  • Lediglich zwei Self-Coups wurden unter einem parlamentarischen Regime unternommen, allerdings waren beide auch erfolgreich.

Sinnvoll zu vergleichen ist der Trumpsche Versuch eines Self-Coup nur mit solchen, die unter klar demokratischen Herrschaftsverhältnissen stattgefunden haben – also den acht Versuchen vor Trump in den USA (in Pakistan, Peru, Uruguay, Indonesien, Gambia, Equador, El Salvador und Guatemala). Diese Coup-Versuche eines Amtsinhabers gehen die Autoren systematisch durch und fragen nach der jeweiligen Bedingung für Erfolg und Misserfolg. Das Ergebnis: Erfolgreich waren nur solche Self-Coups, wo das nationale Militär einig blieb, sich nicht (mit)spalten ließ, und sich auf die Seite des Amtsinhabers stellte.

Ergänzend ist an das dramatische Geschehen in Moskau zu erinnern, welches am 4. Oktober 2023 seinen 30. Jahrestag hatte, das in der Datenbank aber anscheinend fehlt: Russlands Präsident Jelzin hatte am 21. September des Jahres 1993 den demokratisch legitimierten „Kongress der Volksdelegierten“, das Gesetzgebungsorgan Russlands, per Dekret aufgelöst – ein klarer Verfassungsverstoß, ein revolutionärer Akt. Die gesetzgebende Kammer reagierte mit einer Absetzung Jelzins und Ernennung seines Stellvertreters als Nachfolger. So kam es zur Verfassungskrise. Beide Seiten riefen das Militär an. Das entschied sich für den Reformer Jelzin, gegen die eher reaktionären Vertreter der Gesetzgebungskammer. Es ließ in Moskau am 4. Oktober 1983 Panzer auffahren und zwar, so die parteiliche Entscheidung, vor dem Gebäude des Kongresses der Volksdelegierten – nachdem die dort verschanzten Parlamentarier („Volksdelegierten“) nicht freiwillig aufgaben, wurde das obere Stockwerk des „Weißen Hauses“ in Moskau beschossen. Mit knapp 190 Toten und mehr als 400 Verletzten wurde die Patt-Situation an diesem Tag für den Amtsinhaber entschieden. Der ließ anschließend das Volk über eine neue Verfassung abstimmen, die mit klarer Mehrheit angenommen wurde. So wurde sein revolutionäres Handeln demokratisch legitimiert. Russland blieb Demokratie, aber gemäß dem Jelzinschen Verfassungs-Konzept verstärkt Präsidial-Demokratie. Putin hat das zu nutzen gewusst.

Misserfolg zeigten Coup-Versuche immer dann, wenn das Militär sich gegen den Putschisten im Amt stellte. In solchen Ausnahmesituationen fällt den nationalen Streitkräften, wenn sie es denn schaffen, einig zu bleiben, eine Schiedsrichterrolle zu. Die Autoren werfen deshalb einen Blick auf die Beziehung Trumps zum US-Militär. Der ist erhellend.

Trumps Personalpolitik mit Militärs in seinem Umfeld

Es macht den Eindruck, als wenn Trump gleichsam schlafwandelte in seinen möglichen Machtverlust mit der US-Präsidentenwahl im November 2020. Nach Amtsantritt hatte er sich mit etlichen Generälen umgeben: John Kelly als Stabschef im Weißen Haus, James Mattis als Verteidigungsminister, Joseph Dunford, noch von Obama berufener Vorsitzender der Joint Chiefs of Staff (turnusgemäß bis 1. Oktober 2019) – die alle drei Marines waren und untereinander enge Beziehungen hatten. Hinzu kam, eher als Außenseiter, der recht intellektuelle H. R. McMaster als Sicherheitsberater. Die bildeten mit Rex Tillerson als Außenminister zusammen die sogenannte “axis of adults”, sie waren die Schwergewichte in der Bestimmung der Außenpolitik. Doch Trump behandelte das US-Militär in dieser Phase nicht, wie es die geschilderte Coup-Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg nahelegt, als eventuellen Schiedsrichter im Ernstfall in seiner eigenen Sache. Er provozierte sie vielmehr mit überfallartigen eigenen Entscheidungen zum Militäreinsatz weltweit und schaffte regelmäßig Anlässe, in denen er militärische Führer nötigte, sich unkritisch mit ihm zu solidarisieren. Diese Art der Behandlung, gleichsam im Al Capone-Modus des Checks der unbedingten Loyalität, der Unterwerfung, schreckte die Vertreter des Militärs jedoch eher ab. Das ist eine Personalstrategie, die erst in einem zweiten Schritt erfolgreich sein kann, wenn die Macht über das Militär durch eine klug kalkulierte Personalpolitik bereits gewonnen wurde. Auch zu dieser Einsicht hätte ein Studium des Umgangs Hitlers mit seinen Generälen Trump weiterhelfen können. Der geplante Militär-Coup nach der Konferenz in München 1938 wäre schließlich von der Wehrmacht, die erst drei Jahre zuvor ihre Reichswehr-Eierschalen abgestreift hatte, vermutlich in Gänze noch mitgetragen worden; 1944 war es dann nur noch eine kleine Minderheit.

Die Phase vor dem kommenden Wahlkampf um die Machtverlängerung leitete Trump mit „passenden“ beziehungsweise „zivilen“ Personalentscheidungen zu dieser Phalanx der Erwachsenen ein. Sicherheitsberater H. R. McMaster trat als erster, zum 9. April 2018 bereits, zurück. Sein Nachfolger wurde John R. Bolton. Am 8. Dezember 2018 gab Trump bekannt, dass Kelly zum Ende des Jahres aus dem Amt scheiden werde. Nachfolger wurde der republikanische Politiker John Michael Mulvaney. Der Rücktritt von Verteidigungsminister James Mattis knapp zwei Wochen später wurde ebenfalls auf den 1. Januar 2019 festgelegt. Als Grund nannte Mattis den am Vortag von Trump gefällten Entscheid, einen Großteil der in Syrien stationierten US-Streitkräfte abzuziehen – ein Akt von Verbündeten-Verrat, nur eine Woche nachdem Mattis die vor Ort noch besucht und die US-Solidarität bekräftigt hatte.

Nachfolger wurde erst am 23. Juli 2019 Mark Esper, ein früherer Offizier, der danach viel Erfahrungen in Washingtoner Stäben des Politikbetriebs gesammelt hatte und dann Rüstungslobbyist geworden war. Nach dem Rückzug der Vorschläge Vincent Viola, ein US-Oligarch, und Mark E. Green, ein Parlamentsabgeordneter, die beide im US-Senat nicht durchgingen, war Esper Trumps dritter Kandidat für diese Position – mit seinem Karriereweg muss man Esper als Quasi-Militär einstufen. Joseph Dunford als Vorsitzender der Joint Chiefs of Staff übergab schließlich am 1. Oktober 2019 seine Funktion an General Mark A. Milley. Das war das einzige Amt, wo ein zeitlich begrenztes Mandat den Grund für den Rücktritt gab, keine Einzelentscheidung Trumps; und es war auch das einzige Amt, wo laut Gesetz nur ein aktiver Militär Nachfolger sein konnte.

Im Ergebnis waren Verteidigungsministerium und Vorsitz der Stabschefs der Teilsteitkräfte in der Hand von Militärs geblieben. Das dominante Konfliktfeld mit Trumps sicherheitspolitischen Beratern war das Thema „Militäreinsätze im Ausland“ – dazu brachten seine Protagonisten aus dem Militär nicht nur Expertise sondern zwangsläufig auch biographische Voreingenommenheiten mit. Die personelle Neuaufstellung wurde im Schwerpunkt am 7. Dezember 2018 (Kelly gefeuert und für Milley als Nachfolger von Dunford entschieden) beziehungseise 20. Dezember 2018 (Mattis‘ Rücktritt wegen Syrien-Entscheidung Trumps) vollzogen. Das versprach Trump für den Rest seiner Amtszeit besser „liefern“ zu können im Sinne seiner im Wahlkampf gemachten Ansagen zu Truppenabzügen.

Anders war die Situation mit John Kelly als Stabschef, ein Amt, welches wenig militär-spezifisch ist. Trump hatte erstaunt festgestellt, dass seine Generäle sich an Regeln und Standards hielten, dass sie Expertise besaßen – und nicht bereit waren, blind einer Loyalität zu folgen. Typisch war ein Meinungsaustausch zwischen Präsident Trump und seinem Stabschef John Kelly, bezeichnenderweise zum Thema „Coup“. Der sei etwa so abgelaufen:

Präsident: “Ihr blöden Generäle, warum könnt Ihr nicht sein wie die deutschen Generäle?”

Kelly: “Welche Generäle?”

Präsident: “Die deutschen Generäle im II. Weltkrieg”

Kelly: “Wissen Sie, dass die dreimal versucht haben, Hitler zu töten – und es auch fast geschafft haben?”

Für Trump waren diese Personalentscheidungen ein Wendepunkt, insbesondere was den Stabschef des Weißen Hauses anging. Statt erneut eine Person mit einem starken eigenen Willen zu installieren, die dem Präsidenten gegenüber auch einmal “Nein” sagt, tendierte der Präsident mit Mick Mulvaney, einem früheren Kongress-Abgeordneten aus South Carolina, der in der Trump-Administration das Amt eines Budget-Direktors versah, zu jemandem, der in der Regel Trump zugestehen würde, was der wollte. Eine Woche später unternahm Kelly einen Anlauf in letzter Sekunde. Er suchte Trump zu überzeugen, Mulvaney nicht als seinen Nachfolger zu installieren. Er sagte dem Präsidenten: “Sie werden doch nicht jemanden für sich anheuern wollen, der sich als yes-man erweisen wird”. Trumps Antwort. “I want a yes-man!

Trumps unstrategisches Verhalten seinem Militär gegenüber

Präsident Trump erlaubte sich im Sommer 2020 eine innenpolitische Aktion, welche die verbliebenen Militär-Vertreter in seinem Umfeld, Milley und Esper, hinsichtlich seiner Absichten erst richtig misstrauisch gemacht hat. Die fand statt am 1. Juni 2020 am Rande des Lafayette Platzes gegenüber dem Weißen Haus. Hintergrund waren aufstandsähnliche Verhältnisse in Portland und in vielen weiteren Städten der USA, ausgelöst durch die tödlich endende polizeiliche Misshandlung des Schwarzen George Floyd in Minnesota am 25. Mai 2020. Es gab danach landesweit massive, auch gewalttätige, Proteste gegen Polizei-Gewalt. Die waren die schwersten Unruhen in den Vereinigten Staaten seit 1968. Auch in Washington D.C. wurde protestiert, auch vor dem Weißen Haus waren am 1. Juni 2020 die Black Lives Matter-Protestanten aufmarschiert – friedlich – auf dem Lafayette-Platz. Der Weg am Rande des Platzes wurde dann aber urplötzlich und anlasslos durch Militärpolizisten unter Tränengaseinsatz, also unter Einsatz von Polizeigewalt, von den friedlichen Demonstranten vor dem Weißen Haus geräumt.

Der situative Hintergrund: Präsident Trump sah die politische Chance der Krise und strebte an, Entscheidungen zur Behandlung der Protestierenden/Aufständischen (?) militärisch durchsetzen zu können, also von Bundesebene aus. Trump erwog, den Insurrection Act von 1807 auszurufen, was ihm die Kompetenz gegeben hätte, Militär als law enforcement-Truppen einzusetzen. Dazu war es am Morgen des 1. Juni zwischen Trump einerseits und den Amtsinhabern für staatliche Gewalt, Esper, Milley und Barr, andererseits zu einer hitzigen Auseinandersetzung gekommen. Milley und die anderen meinten, der Einsatz der National-Garde sei hinreichend. Beispielhaft für die Umgangsformen wird berichtet, Trump habe geschrien: “You are all losers! You are all fucking losers!” Zu Milley gewandt habe Trump gesagt: “Können Sie die nicht zusammenschießen? Einfach in die Beine oder sonst wohin schießen?” Vor diesem Hintergrund sprach der Verteidigungsminister der Trump-Regierung mit Gouverneuren von Bundesstaaten und gab ihnen militär-taktisch klingende Ratschläge, nach dem Motto sie sollten ‘dominate the battlefield’.

Der plötzliche und anscheinend unmotivierte massive Polizeieinsatz vor dem Weißen Haus hatte, so stellte sich im Ergebnis heraus, nur den Zweck, dem Präsidenten den Weg frei zu räumen, auf dass er sich zu Fuß zu der nahegelegenen St. John’s Kirche begeben konnte, welche am Tag zuvor durch ein Feuer beschädigt worden war. Davor wollte er sich in martialischer Geste mit einer Bibel in der Hand ablichten lassen. Für diesen Trivialzweck hatte er sowohl den Verteidigungsminister als auch den Vorsitzenden der Joint Chiefs of Staff des US-Militärs, General Mark Milley, mit äußerst kurzer Frist herbeizitiert, um in ihrer Begleitung vor den Augen der Öffentlichkeit die freigeräumte Straße zu begehen. Milley war in Kampf-Uniform erschienen, auf halbem Weg wurde ihm klar, wofür er sich hier hergab, er löste sich aus der Gruppe und ging zurück. Die Bilder aber waren da schon gemacht, die dann in der Welt sein würden. Sie schienen zu signalisieren: Die Vereinigten Staaten unter Trump sind im Krieg mit sich selbst.

Das alarmierte US-Militär

Diese provokative Nutzung der beiden ranghöchsten US-Militär-Vertreter buchstäblich für nichts war, so David Pion-Berlin, ein „katalytisch” wirkendes Ereignis. Milley selbst sprach später von einem „Straße nach Damaskus-Erlebnis“. Zunächst dachte er an Rücktritt, er verfasste vier Entwürfe eines Rücktritts-Schreibens. Er suchte aber auch Gespräche. Und er war nicht der einzige, der sich an Robert Gates wandte, einen früheren Verteidigungsminister und CIA-Chef. Meist war die Antwort, die auch Gates gab: “Make them fire you. Don’t resign.

Gates erinnerte später, dass schon weit vor dem 1. Juni absolut verrückte Ideen im Oval Office Thema waren, verrückte Ideen des Präsidenten, darunter der unverzügliche Truppen-Abzug aus Afghanistan, auch aus Süd-Korea. Nach dem Vorfall am Lafayette Square sagte Gates zu Milley und Esper, angesichts Trumps zunehmend erratischen und gefährlichen Verhaltens, sollten sie die Stellung im Pentagon halten so lange sie könnten. Gates’ Botschaft war: “If you’re fired, it makes it clear you were standing up for the right thing.” Für Milley hatte Gates einen weiteren Rat: “Nehmen Sie die Chefs der Teilstreitkräfte mit an Bord. Und machen Sie dem Weißen Haus klar: Wenn ich, Milley, gehe, dann gehen alle – sodass das Weiße Haus weiß: Der Punkt ist nicht, gegebenenfalls Mark Milley zu entlassen. Es geht um das gesamte Gremium der Joint Chiefs of Staff, die quittieren als Reaktion zusammen den Dienst.”

Alsbald nach dem Photo-Termin haben sich beide Militärvertreter für ihre Teilnahme an Trumps Aktion öffentlich entschuldigt. Milley tat dies in seiner Rede vor dem National War College aus Anlass der feierlichen Verabschiedung von Absolventen, also militär-intern – dem Weißen Haus wurde das nicht vorab zur Kenntnis gegeben, eine Erlaubnis wurde erst recht nicht eingeholt. Als Präsident Trump Milley dazu später konfrontierte, bei einem persönlichen Treffen im Weißen Haus, habe Milley mit diesen Worten geantwortet:

Mr. President, this has nothing to do with you. This had to do with me and the uniform and not politicizing the uniform. I’m not apologizing for you. I was apologizing for me. Mister President, I don’t expect you to get that. But I’m a soldier, and I can never allow the politicization of the uniform. I can’t do it. It’s wrong. And that’s why I apologized.

Milley folgte auch dem Rat Gates‘: Die Vorbereitung an der Spitze des US-Militärs blieb nicht auf die beiden Spitzenvertreter beschränkt. Der zivile der beiden, der Verteidigungsminister, ist dabei der minder einflußreiche Teil; er ist nämlich jederzeit vom Präsidenten durch eine beliebige andere Person auswechselbar. Das ist beim Vorsitzenden der Joint Chiefs of Staff etwas anders, da gibt es qualifizierende Bedingungen. Der ist, einmal im Amt (mit einer Administrationen-übergreifenden Laufzeit von vier Jahren), unfreiwillig nur aus dem Amt zu entfernen, wenn er durch den Verteidigungsminister eine andere Verwendung erhält. Und ein Nachfolger im Amt des Vorsitzenden der Joint Chiefs of Staff hat, so sagt es 10 U.S. Code § 152 Joint Chiefs of Staff unter dem Titel „Chairman: appointment; grade and rank, hat vorher sehr hochrangige militärische Funktionen ausgefüllt zu haben – der Pool der Kandidaten ist somit ein inner circle der US-Spitzenmilitärs. Das Kollektiv-Gremium Joint Chiefs of Staff leitet der Vorsitzende. Das heißt in dessen Hand liegt es, einen Willen der Chefs der Teilstreitkräfte herbeizuführen, sich nicht spalten zu lassen.

Coup-Optionen

Der Vorfall am Lafayette Square machte den so „Benutzten” aus dem Kreis der Militärs inhaltlich klar, dass der Präsident die Unterstützung des US-Militärs für einen eventuellen Self-Coup suchen könnte. Bereits im Juni verstand Milley, dass es im Schwerpunkt nicht darum zu gehen habe, Trump bis zur Präsidentschaftswahl am 3. November von einem Coup-Versuch abzuhalten. Ihm war vielmehr klar, dass der Wahltag erst der Beginn der Herausforderungen sein dürfte, die Trump stellen würde. Schließlich hatte der eine Woche vor dem Auftritt am Lafayette Square sein zentrales Narrativ gesetzt: Der Präsidentschafts-Wettbewerb 2020 würde enden als “die größte manipulierte Wahl je in der Geschichte.”

Dieses Narrativ kommt in Deutschland kaum rüber, es ist mangels analoger Erfahrung vor Ort kaum nachvollziehbar. In den USA werden im großen Stil Wahlen manipuliert, das ist dort an der Tagesordnung, ist allen bekannt und unbestritten – schließlich wird dies von beiden Seiten betrieben. Man muss mithalten beim Manipulieren, um im Wettbewerb zu bestehen, das ist der Motor. Was der Effekt auf Bundesebene wäre, wenn die Wahlen fair wären, ist abstrakt, mit mathematischen Methoden, auch abschätzbar. Die Republikaner mit ihrer rassenpolitischen Festlegung sind, und das zunehmend, eigentlich chancenlos.

In politischen Kreisen gibt es jedenfalls erhebliche Vorbehalte gegenüber den Ergebnissen des Wahlsystems, sie werden nur pragmatisch akzeptiert. In Deutschland mit seinem Wahlsystem aus preußischer Tradition ist das völlig anders. Den Satz Trumps als „Lüge“, als „fake“, lediglich abzutun, trifft den Punkt, auf den er anspielt, nicht wirklich. Trumps Satz, wie üblich ambivalent formuliert, ist nur in dem Sinne falsch, als es im Umfeld des 3. November 2020 kaum zu wesentlichen Manipulationen auf den letzten Metern gekommen ist – und nur solche könnte man vor Gerichten strittig stellen. Dass diese Manipulationen laut Gerichten nur in völlig unwesentlichem Ausmaße vorkamen und das Rechtssystem die Wahl in diesem Sinne als gültig erklärte, bringt kaum etwas für ein Zutrauen der Wähler in dieses System. Und das zu Recht. Das US-amerikanische Wahlsystem ist, wie das britische, als Mehrheitswahlsystem extrem ungleich und damit nach den Kriterien des Europarates undemokratisch. Angesichts fehlender Unabhängigkeit der Wahlaufsicht ist es das ebenfalls. Es ist als ein Wahlsystem konzipiert, welches nach Klassen – und in den USA ist das weitgehend nach Rassen – zu diskriminieren hat. Es ist wesentlich Teil des Systems zur Zementierung der Dominanz der herrschenden Klasse, der Vermögenden beziehungsweise Privilegierten.

Und tatsächlich, wie von Milley erwartet: Umgehend nachdem klar war, dass Biden die Wahl gewonnen hatte, entließ Trump seinen Verteidigungsminister Esper und ersetzte ihn durch einen unbekannten Anti-Terrorismus-Experten namens Christopher Miller. Der selbst war unideologisch, aber servil. Mit ihm kamen jedoch Personen, die klar ideologische Trump-Jünger waren. Es waren Kash Patel, Millers neuer Stabschef; Ezra Cohen, der dienen sollte als Unter-Staatssekretär des DoD für die Geheimdienste – er sollte offenkundig personelle Säuberungen vornehmen; und drittens Anthony Tata, ein pensionierter General, der zuletzt bei Fox News als Talk-Master sein Geld verdient beziehungsweise sein Ego befriedigt hatte.

Wie der Coup-Versuch aussehen könnte, war damals völlig offen. Zwei Albtraum-Szenarien hatte Milley vor Augen:

  1. Eines war, dass Trump eine externe Krise vom Zaune brechen könnte, um einen Vorwand zu schaffen für eine Machtergreifung in den USA. Das könnte zum Beispiel ein Krieg mit dem Iran sein – in der öffentlichen Wahrnehmung, in der Etablierung des Feindbildes, lag dafür ja alles bereit.
  2. Das andere war, dass Trump eine innenpolitische Krise herbeiführen würde, um zu rechtfertigen, dass das Militär auf die Straßen beordert wird, um so mittels Kriegsrecht den Transfer der Macht zu verhindern. Milley fürchtete ein “Hitler-artiges” “Reichstagsmoment.” Als Anlass sah Milley voraus, dass Trumpsche Braunhemden Gewaltexzesse starteten.

Die dritte Option, dass das Militär schließlich am 6. Januar 2021 das Capitol, den Sitz der Legislative, gegen die von Trump angestachelten „Aufständischen“ verteidigen beziehungsweise freiräumen müsste, und in diesem Kontext eine Verweigerung beziehungsweise Verzögerung dieser Truppen für Trump ein Mittel der Wahl sein könnte, kam ihm nicht in den Sinn – zum Glück Trump aber anscheinend auch nicht.

Milley war besonders sensibel für die Option, dass Trump nach der verlorenen Wahl am 3. November 2020 noch schnell einen militärischen Konflikt vom Zaune brechen könnte. In dieser Intention hat er, als Trump China gegenüber die Säbel rasselte, seinen Counterpart des chinesischen Militärs am 30. Oktober 2020 und am 8. Januar 2021 angerufen, um ihm mitzuteilen, dass das US-Militär nichts vorbereite.

Trump hat sein Militär somit misstrauisch gemacht und gleichsam alarmiert, und das strategisch buchstäblich für nichts.

Trumps kurzfristige Truppenabzugs-Anordnungen

Die Aktivitäten der Dreier-Gruppe, die mit Miller ins Pentagon einzog, waren außenpolitisch bedeutsam. Das brachte Außenminister Mike Pompeo auf den Plan, es kam zu einer Reihe von nächtlichen Geheimtreffen zwischen ihm und Milley. Pompeo fraß massiv Kreide, gab nach außen weiterhin den unbeirrten Trump-Unterstützer, um keinen Anlass zu bieten, auch diese Position noch auf den letzten Metern den Trump-Jüngern zu überlassen.

Teil der Agenda des neuen Teams im Pentagon, das wurde umgehend klar, war: Sicherstellen, dass Trump sein Wahlversprechen aus 2016 noch erfüllt, nämlich US-Truppen zurückzuziehen von den “endless wars” in Drittländern – eine Coup-irrelevante, vielmehr auf den Wahlkampf 2024 zielende Agenda. Zwei Tage nach der Ersetzung von Esper durch Miller, während eines Meetings von Milley mit Miller und Patel, kam es zu diesem bizarren Vorgang:

Patel, nicht etwa Miller, schob Milley ein Papier über den Tisch zu. Es handelte sich um eine Anweisung des Präsidenten, mit Trumps bekannter Unterschrift, in Schwarzer Tinte. Der Inhalt: Sämtliche 4.500 US-Truppen, die noch in Afghanistan stationiert waren, seien bis zum 15. Januar 2021 abzuziehen, das Kontingent einer Counterterrorismus-Mission in Somalia mit weniger als 1.000 Soldaten sei ebenfalls abzuziehen, in dem Fall bis 31. Dezember 2020. Also eine Politik der verbrannten Erde gegenüber den US-Verbündeten. Es stellte sich schließlich heraus: Die Unterschrift unter die Order war nicht gefälscht, sie war echt.

Milley sagte umgehend: Den Präsidenten in Sicherheitsfragen zu beraten, ist meine gesetzliche Aufgabe. Ich sehe das zu ersten Mal. Haben Sie ihn beraten? Als Miller und Patel verneinten, ging man gemeinsam zum Sicherheitsberater im Weißen Haus, Robert O’Brien. Der sah das Papier ebenfalls zu ersten Mal und sagte: Ist nicht den vorgeschriebenen Instanzenweg gegangen, das ist Null und nichtig. Der Weg wurde rekonstruiert, es zeigte sich, dass zwei 30-Jährige, ein Personalchef und ein Colonel, den Trump aus dem Fernsehen kannte, als Schattensicherheits-Kabinett im Weißen Haus installiert worden waren, also Personen ohne Standing und Erfahrung. Und die beiden hatten das so ausgearbeitet. Und das angeblich nicht von ungefähr. Trump habe – mündlich – beauftragt, seine Liste habe insgesamt umfasst:

1. “Get us out of Afghanistan.

2. Get us out of Iraq and Syria.

3. Complete the withdrawal from Germany.

4. Get us out of Africa.

O’Brien hatte zwar qua Amt festgestellt, die Order sei aus formalen Gründen ungültig. Nichtsdestotrotz spiegelte sie Trumps Willen. Also wurde mit ihm verhandelt, also musste ein machbarer Kompromiss her. Im Ergebnis wurden 250 Soldaten aus Afghanistan für Mitte Januar zurückbeordert, und eine Reduzierung der 3.000 Soldaten angeordnet, die im Irak stationiert waren. Dem State Department wurde lediglich eine Stunde Zeit eingeräumt, dies den Führern der betroffenen Staaten vorab zur Kenntnis zu geben. Also ein demonstratives Verhalten der Unzuverlässigkeit der USA ihren Allianzpartnern gegenüber – mehr nicht.

Politische Bedeutung: Verlagerung der Ebene des politischen Kampfes

Die Frage ist: Was bedeuteten diese Aktivitäten in letzter Stunde? Was war ihr politischer Sinn? Coup-vorbereitend waren sie offenkundig nicht, den Traditionalisten in Washington erschienen sie einfach nur schädigend und „verrückt“, weil unmachbar und strategielos. Unter einem Effizienzgesichtspunkt war das so. Auch ein Commander-in-Chief mit Allmachts-Attitüden kann nichts Unmögliches befehlen, also nicht in Wochen nachholen lassen, was er in vier Jahren als Politik auf die Schiene zu setzen versäumt hatte – die hätte dann als Nebeneffekt auch die Truppenabzüge impliziert. Verringerung von Stationierungstruppen per se ist keine Politik.

Die irrlichternden Winkelzüge Trumps, die von den Militärs als Vorbereitungen für einen möglichen Coup interpretiert wurden, waren so unentschieden und am Ende (6. Januar 2021) so stümperhaft, dass man sich im Nachhinein fragt: Wollte Trump nicht? Oder war er nicht fähig? Oder hat Milley in seiner Fixierung auf einen militärisch effizienten Coup Trumps Politikansatz missverstanden?

Politikansätze schließlich erfolgreicher Populisten für „verrückt“ zu erklären, hat Tradition. Das aber ist eher Ausdruck einer gefährlichen Überheblichkeit und führt zu einer Haltung der Verständnisverweigerung, welche ihren Subjekten regelmäßig auf die Füße fällt. Erforderlich ist ein Erklärungsansatz aus der Logik des Populismus. Da ist Trump offenkundig kompetenter als seine Analysten in Washingtons angeblich rationalem Umfeld.

Dr. Hans-Jochen Luhmann ist Senior Expert am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH.

Es wird vom Lion Air Flug am Tag zuvor (28. Oktober 2018) berichtet, dass die Piloten mit demselben Problem zu kämpfen hatten, zufällig aber ein nicht-diensthabender erfahrener Pilot mit im Cockpit war und sagen konnte „Ich kenne das Problem, Ihr müsst den Hebel X drücken.“

Die Untersuchungen in Seattle haben inzwischen etwas weit Ärgeres herausgebracht: Für die gesamte 737-Serie wurde das Duplizitätsprinzip für die Computersteuerung an Bord zwar hardwareseite eingebaut – dann aber wurden die faktisch nicht sinngemäß laufen gelassen, also einer aktiv, éiner im Stand-by, um im Fall des Ausfalls übernehmen zu können. Die beiden Bordcomputer waren vielmehr so eingestellt, dass die pro Flug abwechselnd nur einzeln eingeschaltet wurden.

Vgl. dazu die folgende Meldung vom 6.6.14 (Interfax Ukraine):
<<Interior Minister Arsen Avakov has said. „I have decided that a hundred percent of combat and patrol units of the Interior Ministry will take part in the antiterrorism operation. This is not only a necessity but also a test of their proficiency, spirit and patriotism. The tempering of units with real threats and challenges is a factor of the creation of a new police force which will be trusted by the public,“ … Avakov reported that 21 officers of the Chernihiv special-purpose patrol battalion comprising volunteers refused to go on a patrol mission in Luhansk region. „The battalion was assigned a patrolling mission in Luhansk region the day before yesterday. Eighty-six men departed to the designated sector to do a man’s job and to accomplish a combat mission in the regime of antiterrorism patrols. Twenty-one persons refused to go and submitted their resignations… They were dismissed immediately,„>>