Verhandlungsvorschläge zum Stopp des Ukraine-Krieges
Die Kolumne von Hans-Jochen Luhmann
Ende August 2023 sind zwei ausgearbeitete Papiere zu einem Verhandlungsfrieden im Krieg um die Ukraine präsentiert worden. Dass so etwas zur Ausarbeitung anstand, begründet sich durch Aufforderungen in den beiden Resolutionen der UN-Generalversammlung, die zum Ukraine-Krieg verabschiedet worden sind. Die jeweiligen Formulierungen fordern von den Mitgliedstaaten, einschließlich Russland und der Ukraine:
„<eine> friedliche Beilegung des Konfliktes zwischen der Russischen Föderation und der Ukraine durch politischen Dialog, Verhandlungen, Vermittlung und andere friedliche Mittel“ (2. März 2022).
„ihre Unterstützung diplomatischer Anstrengungen zu verdoppeln, um einen umfassenden, gerechten und dauerhaften Frieden in der Ukraine zu erreichen.“ (23. Februar 2023).
Vorschlag von Peter Brandt et al. (25. August 2023)
Der Vorschlag ist ausgearbeitet worden von einem Quartett von Experten. Zu den beiden Professoren, neben dem Historiker Peter Brandt der Politikwissenschaftler Hajo Funke vom Otto-Suhr-Institut der FU Berlin, habe sich mit Harald Kujat die militärische Expertise und mit Horst Teltschik die Expertise davon zugesellt, wie man auf dem Klavier des Zusammenspiels im multilateralen Gefüge spielen kann, um schrittweise solche Verhandlungen fachgerecht auf die Schiene zu setzen. Der Vorschlag besteht aus zwei Teilen.
Der erste Teil ist eine durchformulierte Argumentation. Geklärt wird die Aussage: „Legitime Selbstverteidigung und das Streben nach einem gerechten und dauerhaften Frieden sind kein Widerspruch“
Das läuft hinaus auf den Schlussabsatz unter dem Titel „Es gilt, einen Weg aus der Gefahr einzuschlagen“ – der Kundige hört den Anklang an Erhard Epplers Buch („Wege aus der Gefahr“), welches seinerseits einen Buchtitel von Carl Friedrich von Weizsäcker („Wege in der Gefahr“) aufnahm und sich zugleich davon absetzte. Der zweite Teil, der Verhandlungs(prozess)-Vorschlag selbst, steht unter der Überschrift: „Frieden ist möglich – ein Weg aus der Gefahr“. Die angesprochene „Gefahr“ wird mit folgenden Worten drastisch gekennzeichnet:
„Imperiale Rivalitäten, nationale Überheblichkeit und Ignoranz haben den Ersten Weltkrieg ausgelöst, den man als die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts bezeichnet hat. Der Ukraine-Krieg darf nicht zur Urkatastrophe des 21. Jahrhunderts werden! Durch die zunehmende Europäisierung des Konflikts droht das Hineingleiten in einen grossen Krieg zwischen Russland und der Nato, den keine der beiden Seiten will und angesichts der in einem solchen Fall akut drohenden nuklearen Katastrophe auch nicht wollen kann. Deshalb ist es dringend geboten, die Eskalationsschraube anzuhalten, bevor sie eine nicht mehr politisch kontrollierbare Eigendynamik entwickelt.“
Mit „Europäisierung des Konflikts“ ist auf Zweierlei angespielt:
- die Perspektive des weitgehenden Ausfalls der USA aufgrund innenpolitischer Verschiebungen und
- die Perspektive einer (drohenden) vernichtenden militärischen Niederlage der Ukraine: Da dürfte der Westen sich aufgrund der herrschenden innenpolitischen Stimmungen gezwungen sehen, dies zu verhindern, und das geht nur durch sein aktives Eingreifen, als NATO.
Explizit zugespitzt wird mit der zitierten Erläuterung von „Gefahr“ Dreierlei gesagt:
- Wir haben mit dem Ersten Weltkrieg die präsente Erfahrung, dass ein Krieg entstehen kann, den a) keine Seite gewollt hat, also gegen den vernünftigen Willen der Akteure, – und aus dem b) dann ein gemeinsames „Heraus“, ein Akt der Kooperation unter Gegnern, den verwickelten Akteuren ihrer wechselseitigen Verfeindung wegen, nicht mehr möglich war.
- Sowohl das „Hinein in den Krieg“ als auch das „Nicht-mehr-heraus-können“ folgte einer, so der Euphemismus, „politisch nicht kontrollierbaren Eigendynamik“.
- Die vier Autoren halten den Protagonisten des herrschenden öffentlichen Diskurses also vor, sie leugneten, dass es jenen Raum jenseits des der Macht des (politischen) Menschen Zugänglichen gebe – die eigentliche Gefahr bestehe also darin, dass diese Grenze nicht gesehen wird und sie deshalb wahrscheinlich überschritten wird. Die eigentliche Gefahr besteht also in einer kollektiven Blindheit gegenüber dem, was jenseits des Menschlich-Verstandesmäßigen liegt.
Im zweiten Teil werden zunächst die Positionen der beiden Kriegsparteien präzise referiert – nicht geäußerte, aber vielfach unterstellte sehr viel weitergehende Ziele Russlands werden damit methodisch ausgeschlossen. Dann werden, beinahe vertragstextartig, die Phase I („Waffenstillstand“) und Phase II („Friedensverhandlungen“) skizziert. Phase I wird durch einen Beschluss des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen formuliert. Der bestimmt den Tag X, ab dem die Waffen zu schweigen haben, der Startpunkt weiterer Verpflichtungen ist in der Form „Tag X + n“ terminiert. Der Vorsitz der Friedensverhandlungen wird dem UN-Generalsekretär zugeschrieben. Russland hat seine Truppen auf die Linie vom 23. Februar 2022 zurückzuziehen. Auch die Ukraine rückt nicht mit eigenen Truppen in die von Russland annektierten vier Oblaste ein. Der Status dieser Regionen ist in den Friedensverhandlungen einvernehmlich zu klären. Gelingt das innerhalb von zwei Jahren nicht, so hat der UN-Verhandlungsführer in diesen Oblasten (regionalisierte) Volksbefragungen durchzuführen. Stimmberechtigt werden alle ukrainischen Staatsbürger sein, die ihren Sitz am 31. Dezember 2021 in diesen Regionen hatten.
Der Vorschlag des „Inclusive Peace“-Think Tank
Das zweite Papier zur Verhandlungsvorbereitung ist weniger ein Vorschlag als das Angebot eines erfahrungsgestützten Baukastens. Der Think Tank hat seinen Sitz in Genf, seine Erfahrungsbasis ist im Schwerpunkt die von „Faszilitoren“, also von Profis, die konkret einen Interessenausgleich vermitteln. In biblischer Tradition würde man sagen, sie sind erfahrene „Friedensstifter“. Sie sind weniger akademisch ausgerichtet, auch militärisch fehlt ihnen die Kompetenz. Über einen Auftraggeber im Hintergrund wird nichts verlautet, es macht den Eindruck, dass es sich hier um ein selbstfinanziertes Eigenprojekt des Think Tanks handelt.
Der Aufbau des Berichts ist zweiteilig. Im ersten Teil, dem breit angelegten Baukasten, wird der Optionenkranz für sechs unterschiedliche Elemente von Friedensverhandlungen aufgrund breiter, globaler und historischer Erfahrung entfaltet. Im zweiten Teil wird auf die Bedürfnisse im aktuellen Ukraine-Konflikt abgestellt. Da wird auf zwei Elemente des Baukastens nur noch fokussiert, das ist (a) der Vorbereitungsprozess und b) das zu wählende Verhandlungssetting. Man erkennt die weit höhere Abstraktheit des Zugangs und des Vorschlags, inhaltlich wird fast nichts vorweggenommen.
Dr. Hans-Jochen Luhmann ist Senior Expert am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH.