Deutschland finanziert mit öffentlichen Mitteln mehr fossile Energieprojekte im Ausland als Saudi-Arabien oder Russland

 

Die öffentliche Finanzierung fossiler Energien ist eine der Hauptursachen für die Klimakrise. Staatlich unterstützte Finanzierungen tragen dazu bei, das Risiko von fossilen Projekten zu verringern, was Investitionen für private Geldgeber attraktiver macht. In saubere Energie umgelenkt könnte diese öffentliche Unterstützung die internationale Energiewende beschleunigen, die globale Lebenshaltungskostenkrise lindern und die weltweite Abhängigkeit von fossilem Gas verringern.

(Washington D.C./ Berlin, 1. November 2022) Ein heute von Oil Change International (OCI) und Friends of the Earth U.S. gemeinsam unter anderen mit den deutschen Umweltorganisationen urgewald, Germanwatch und New Climate Institute veröffentlichter Bericht zeigt: Zwischen 2019 und 2021 hat Deutschland jährlich im Schnitt 2,8 Milliarden US-Dollar an öffentlichen Bürgschaften und Krediten für fossile Energien im Ausland vergeben. Im Vergleich: Im selben Zeitraum hat Deutschland durchschnittlich 2,2 Milliarden US-Dollar pro Jahr für saubere Energie international zur Verfügung gestellt.

Deutschland hatte sich letztes Jahr diesem sogenannten „Glasgow Public Finance Statement“ angeschlossen. Die 39 Unterzeichner des Statements haben sich zum Ziel gesetzt, „[to] end new direct public support for the international unabated fossil fuel energy sector by the end of 2022“ und stattdessen „prioritise our support fully towards the clean energy transition“. Die heute vorgelegten Daten von OCI und Partnern zeigen, dass Deutschland zwischen 2019 und 2021 der siebtgrößte öffentliche Geldgeber für fossile Brennstoffe in der Welt war. Damit liegt Deutschland im Ranking vor Saudi-Arabien (Platz 8) und Russland (Platz 9).

Hierbei stammt die internationale fossile Förderung durch Deutschland aus verschiedenen Quellen, darunter die von Allianz Trade (ehemals Euler Hermes) gemanagten Hermes Bürgschaften sowie die Finanzierungen durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Der neue Bericht zeigt, dass im Untersuchungszeitraum allein Hermes Bürgschaften über rund zwei Milliarden US-Dollar im Jahresdurchschnitt für fossile Energien vergeben wurden. Damit war Allianz Trade 2019 bis 2021 ein wichtigerer fossiler Förderer als das amerikanische Pendant, die United States Export-Import Bank (US Ex-Im).

Deutschland agiert im Widerspruch zum Glasgow Public Finance Statement

Der neue NGO-Bericht zeigt auch, dass Deutschland bei der Umsetzung des Glasgow Public Finance Statements hinter anderen Ländern zurückbleibt. Denn insbesondere das Vereinigte Königreich, Frankreich, Dänemark, Schweden und Finnland haben bereits Maßnahmen zur Umsetzung ihrer Verpflichtungen veröffentlicht. Sie haben unter anderem ein umfassendes Verbot der internationalen öffentlichen Förderung von Gas im Upstream- und Midstream-Bereich, einschließlich LNG, beschlossen. Bedenklich ist in diesem Zusammenhang, dass sich Bundeskanzler Scholz und das Kanzleramt öffentlich unter anderem für die weitere Förderung der Exploration und Erschließung von Gasfeldern vor Senegal und Mauretanien nun einsetzen. Dies steht im Widerspruch zu dem, was Deutschland im Rahmen des Glasgow Public Finance Statement zugesagt hat. Zudem: Beim G7-Gipfel im Sommer beeinflusste die deutsche Regierung die Abschlusserklärung, um die hierin enthaltenen, der Glasgow-Zusage ähnelnden Verpflichtungen im Namen der Energiesicherheit und mit Blick auf fossiles Gas aufzuweichen.

Öffentliche Finanzierung fossiler Energien eine der Hauptursachen für die Klimakrise

Die Autoren des neuen NGO-Berichtes betonen: Die öffentliche Finanzierung fossiler Energien ist eine der Hauptursachen für die Klimakrise. Staatlich unterstützte Finanzierungen tragen dazu bei, das Risiko von fossilen Projekten zu verringern, was Investitionen für private Geldgeber attraktiver macht. In saubere Energie umgelenkt könnte diese öffentliche Unterstützung die internationale Energiewende beschleunigen, die globale Lebenshaltungskostenkrise lindern und die weltweite Abhängigkeit von fossilem Gas verringern.

Konkret kommt der Bericht zu dem Ergebnis: Wenn alle G20-Länder und Multilateralen Entwicklungsbanken ihre internationale Unterstützung von fossilen Energieträgern vollständig auf saubere Energie verlagern würden, könnte dies im Jahresdurchschnitt 85 Milliarden US-Dollar für die globale Energiewende bedeuten, was fast eine Verdreifachung zum Status Quo wäre. Um dies zu erreichen, müssten allerdings neben Kanada, USA, Deutschland und Italien auch andere große G20-Länder wie Japan, Südkorea und China mitziehen.

Mit Blick auf die COP27 in Ägypten ‑ und auch gerichtet an die deutsche Delegation ‑ unterstreichen die NGOs: Laut Internationaler Energieagentur (IEA) darf es für die Einhaltung des 1,5-Gradzieles bereits seit Ende des letzten Jahres keine weitere fossile Expansion und damit auch keine entsprechende öffentliche Finanzierung mehr geben. Zudem: Die öffentliche Finanzierung fossiler Brennstoffe untergräbt die Wirksamkeit der sogenannten „Klimafinanzierung“, die immer noch nicht in dem von den reichen Ländern versprochenen Umfang (100 Milliarden US-Dollar pro Jahr ab 2020) – geschweige denn tatsächlich erforderlichen Umfang – bereitgestellt wird. Des Weiteren konterkariert die öffentliche Finanzierung fossiler Energien die Unterstützung für Schäden (Loss and Damage) und einen nötigen Schuldenerlass, der für das Überleben von Ländern und Gemeinschaften insbesondere im globalen Süden mittlerweile entscheidend ist.

Regine Richter, Energie- und Finanzkampaignerin bei urgewald, kommentiert: „Jetzt Gasinfrastruktur im Ausland zu fördern, löst nicht die potenziellen Energiesicherheitsprobleme der kommenden zwei Winter in Deutschland. Stattdessen wird die Klimakrise beschleunigt. Wenn Deutschland beim Ende der öffentlichen Förderung fossiler Energien im Ausland nicht substantiell liefert, ist es ein schlechtes Vorbild für andere Nachzügler wie Italien. Auch der Kanzler muss deshalb über seinen Schatten springen und dem eindeutigen Ausschluss von Krediten und Bürgschaften für fossile Energien zustimmen.“

Aki Kachi, Senior Climate Finance Policy Analyst beim New Climate Institute, sagt: „Gerade in Anbetracht der aktuellen Energiekrise in Deutschland ist es wichtig, andere Länder dabei zu unterstützen, die deutschen Fehler zu vermeiden, die die Anfälligkeit des Landes verschlimmert haben. Das bedeutet, die Energiesicherheit durch erneuerbare Energien und nicht durch die künftige Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu erhöhen. Deutschland muss die Erklärung von Glasgow ehrgeizig umsetzen, anstatt nach Schlupflöchern zu suchen.“

David Ryfisch, Teamleiter Internationale Klimapolitik bei Germanwatch: „Das derzeitige Zögern Deutschlands, die Finanzierung fossiler Brennstoffe im Ausland zu beenden, ist kurzsichtig. Es ist egoistisch für deutsche Energiesicherheitsinteressen andere Länder auf Jahre an die Nutzung fossiler Energien zu binden und sie auf unnötig hohen Emissionen und potenziellen ‚Stranded Assets‘ sitzen zu lassen. Deutschland muss sich an seine internationalen Verpflichtungen halten, vorrangig in erneuerbare Energien investieren und die Unterstützung für fossile Brennstoffe so schnell wie möglich beenden.“

Weitere wichtige Ergebnisse des neuen NGO-Berichts im Überblick

  • Die G20-Länder und Multilateralen Entwicklungsbanken haben zwischen 2019 und 2021 mindestens 55 Milliarden US-Dollar im Schnitt pro Jahr an internationaler öffentlicher Finanzierung (Kredite und Bürgschaften) für fossile Energien bereitgestellt. Dies ist zwar ein Rückgang um 35 Prozent im Vergleich zu den Vorjahren (2016-2018). Allerdings: es ist immer noch fast doppelt so viel wie die Unterstützung für erneuerbare Energien, die im Durchschnitt nur 29 Milliarden US-Dollar pro Jahr im Zeitraum 2019 bis 2021 betrug. Die Autoren des Berichtes betonen jedoch, dass internationale öffentliche Finanzierung recht volatil ist und eine Paris-Konformität nur durch ein vollständiges Ende der öffentlichen Unterstützung fossiler Energien möglich ist.
  • Japan (im Jahresdurchschnitt 10,6 Milliarden US-Dollar), Kanada (8,5 Milliarden US-Dollar), Südkorea (7,3 Milliarden US-Dollar) und China (6,7 Milliarden US-Dollar) stellten zwischen 2019 und 2021 erneut die meisten direkten öffentlichen Finanzierungen für fossile Energien zur Verfügung. Diese Länder bleiben auch in einer längeren Zeitraumbetrachtung, von 2013 bis 2021, führend im internationalen Vergleich.
  • 53 Prozent der internationalen öffentlichen Finanzmittel für fossile Energien flossen im Untersuchungszeitraum in Gasprojekte (30 Milliarden US-Dollar im Schnitt pro Jahr). Fossiles Gas hat damit mehr internationale öffentliche Förderung als jede andere Energieart erhalten, auch als erneuerbare Energien im Kollektiv.
  • Die meisten direkten öffentlichen Finanzierungen für fossile Energien flossen aus reichen Ländern in andere (relativ) reiche Länder. Mosambik war das einzige Land mit niedrigem Einkommen unter den 15 größten Empfängern.
  • Der genannte Rückgang (siehe erster Bullet Point) der internationalen öffentlichen Förderung für fossile Energien im Gesamtzeitraum 2019 bis 2021 ist primär auf einen starken Rückgang im Jahr 2021 zurückzuführen. Schätzungsweise 8,2 Milliarden US-Dollar beziehungsweise 27 Prozent des Rückgangs im Jahr 2021 sind auf politischen Maßnahmen des Vereinigten Königreichs, der Europäischen Investitionsbank (EIB), Chinas und der OECD zurückzuführen. Allerdings: Daten für Kanada von Anfang 2022 und eine Verringerung von Datenverfügbarkeit für Südkorea deuten darauf hin, dass 53 Prozent des Rückgangs vorübergehend sind, sofern keine neuen Maßnahmen zur Beschränkung fossiler Energien ergriffen werden. Für den Rest des Rückgangs gibt es keine eindeutige Ursache.

Anmerkungen

Der Bericht verwendet Daten aus der Oil Change International-Datenbank www.energyfinance.org ‑ einer Datenbank, die mehr als 15.000 öffentliche Finanzierungen im Energiebereich mit einem Gesamtvolumen von über 2 Billionen USD umfasst. Der Bericht analysiert Finanzierungen, die von den Exportkreditagenturen (ECAs) der G20, den Entwicklungsfinanzierungs-institutionen (DFIs) der G20 sowie den wichtigsten Multilateralen Entwicklungsbanken (MDBs) bereitgestellt wurden. Direkte inländische Subventionen für die fossile Industrie durch Steuer- und Abgabensubventionen oder öffentliche Finanzierung durch inländisch ausgerichtete Institutionen wurden nicht berücksichtigt.

In seinem jüngsten Bericht hebt der IPCC hervor, dass die öffentliche Finanzierung fossiler Brennstoffe nicht mit der Erreichung der Pariser Ziele übereinstimmt, sie aber eine entscheidende Rolle bei der Schließung der Finanzierungslücke für den Klimaschutz spielen könnte, um Emissionsreduzierungen und einen gerechten Übergang zu ermöglichen.

Trotz des allgemeinen Rufes nach neuen Gasinvestitionen, um die Abhängigkeit von russischem Gas zu verringern, hat der Leiter der Internationalen Energieagentur (IEA) erklärt, dass die Lösung für die Energieversorgungs- und -preiskrise in einem schnelleren Übergang von fossilen Brennstoffen zu sauberer Energie liegt. Es brauche eine Umschichtung öffentlicher Mittel von schmutzigem, unzuverlässigem und unbezahlbarem Öl und Gas hin zu zuverlässiger, erschwinglicher und sauberer Energie und Energieeffizienz.

Regine Richter ist Energie- und Finanzkampaignerin bei urgewald.

Der Bericht „At a Crossroads: Assessing G20 and MDB international energy finance ahead of stop funding fossils pledge deadline“ steht über diesen Link zum Download als PDF bereit.