Die Klimakrise macht arm, sie macht hungrig, sie macht krank

 

Die kirchlichen Hilfswerke Brot für die Welt und Misereor beziehen eindeutig Stellung zum IPCC-Synthesebericht vom 20. März 2023. Es gebe viel zu gewinnen, wenn wir endlich die Bekämpfung der Klimakrise und das Abfedern ihrer Folgen priorisierten: bessere Luft, intakte Wälder, den Schutz der Biodiversität und mehr Gerechtigkeit auf einem begrenzten Planeten. Dagegen gebe es ohne ambitionierten Klimaschutz viel zu verlieren, darunter die Heimat für hunderte Millionen von Menschen, die neue Wohnorte finden müssten.

(Aachen/ Berlin, 20. März 2023) Am 20. März 2023 hat der Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) den als Zusammenfassung des sechsten Bewertungszyklus dienenden Synthesebericht über den aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand zur globalen Erwärmung publiziert. Die Berichte im Rahmen des sechsten Bewertungszyklus unterstreichen die Dringlichkeit der Klimakrise und stellen unmissverständlich fest: menschengemachte Treibhausgase treiben die Emissionen in die Höhe und verursachen eine beispiellose globale Erwärmung. Bevölkerungsgruppen in vielen gefährdeten Regionen werden sich nicht mehr an die Folgen der Klimakrise anpassen können – und zwar noch bevor die Erderwärmung um 1,5 Grad und der Anstieg des Meeresspiegels kleine Inseln und tiefliegende Küstengebiete existenziell bedrohen.

„Der aktuelle IPCC-Synthesebericht gibt den politischen Entscheidungsträger:innen den Auftrag zum unverzüglichen Handeln, um die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels abzufedern. Klimaschädliche Emissionen müssen sofort drastisch reduziert werden“, sagt Dagmar Pruin, Präsidentin von Brot für die Welt. „Leider befinden wir uns schon mitten in der Klimakrise, einige Auswirkungen des Klimawandels sind bereits unaufhaltsam und die Möglichkeiten zur Anpassung begrenzt. Der Klimawandel wird mehr humanitäre Katastrophen verursachen und soziale Ungerechtigkeiten werden sich verschärfen. Die Auswirkungen sind weitaus schlimmer als der letzte große IPCC-Synthesebericht vor neun Jahren vorhergesagt hat.“

Der Bericht ist besorgniserregender Wegweiser für die Entwicklungszusammenarbeit und auch die humanitäre Hilfe. „Die bisher bereitgestellten Klimahilfen für ärmere Länder sind nicht ausreichend und müssen bei fortschreitendem Klimawandel massiv aufgestockt werden. Gerade die ärmsten Bevölkerungsgruppen im Globalen Süden, die am wenigsten zur Klimakrise beigetragen haben, brauchen finanzielle und technische Unterstützung bei der Anpassung an die Klimaveränderungen“, so Sabine Minninger, Klimaexpertin bei Brot für die Welt. „Zudem benötigen sie sofort Unterstützung bei der Bewältigung von klimabedingten Schäden und Verlusten. Dem beim vergangenen Klimagipfel in Ägypten beschlossenen Fonds für Klimaschäden kommt eine sehr zentrale Rolle zu. Die politischen Entscheidungsträger:innen müssen den Synthesebericht als Grundlage nehmen, wenn sie in diesem Jahr den Fonds aufstellen und finanziell auffüllen.“

Die Menschheit befindet sich auf einem zerstörerischen Entwicklungspfad

Anlässlich der Veröffentlichung des Syntheseberichts des Weltklimarates IPCC äußert sich Misereor-Klimaexpertin Anika Schroeder zur Einhaltung der planetaren Grenzen und Deutschlands Verantwortung in Bezug auf Klimagerechtigkeit:

„Wieder einmal macht der IPCC auf Grundlage der Erkenntnisse von tausenden Wissenschaftler*innen weltweit deutlich, dass sich die Menschheit auf einem zerstörerischen Entwicklungspfad befindet. Die Klimakrise macht arm. Sie macht hungrig. Sie macht krank. Und sie ist in vielen Fällen auch tödlich. Wir sehen das gerade wieder nach dem schrecklichen Zyklon ‚Freddy‘, der Madagaskar, Malawi und Mosambik getroffen hat. Er ist Sinnbild dafür, was unsere Partnerorganisationen im Globalen Süden berichten: Auch wenn sich die Menschen vor Ort – aufbauend auf lokalen Erfahrungen – recht gut mit den neuen Umweltbedingungen arrangieren, sind vielerorts doch die Grenzen der Anpassung erreicht. Zum Beispiel wenn Wirbelstürme immer häufiger und heftiger auftreten und auch das beste Wasserressourcen-Management nicht mehr hilft, da der Regen über lange Zeit ausbleibt und Grundwasserquellen versiegen. Die nun vorliegende Zusammenfassung des IPCC darf nicht ohne entschiedene Konsequenzen verhallen:

Technisch-physikalisch ist die Begrenzung der Erderhitzung auf 1,5 Grad Celsius noch möglich. Bei genauer Betrachtung der aktuellen, bislang unzureichenden Klimaschutzziele vieler Staaten, auch Deutschlands, steuern wir aber auf etwa drei Grad Celsius bis Ende des Jahrhunderts zu. Es zählt jedes Zehntel Grad vermiedener Temperaturerhöhung. Auf den Philippinen beispielsweise werden bei 1,5 Grad Erderhitzung fünf bis zehn Millionen Einwohner*innen infolge des Meeresspiegelanstiegs ihren angestammten Wohnort verlassen müssen, bei 2 Grad wären es schon 20 Millionen. Vor allem jene Menschen, die in informellen Siedlungen leben und die sich kaum Schutz und angemessene Unterstützung erhoffen dürfen, sind von den Folgen der Klimakrise betroffen.

Jedes Zehntel Grad vermiedene Temperatur-Erhöhung verbessert indes den Handlungsspielraum der Menschen, und insbesondere der verwundbarsten Bevölkerungsgruppen, sich auf die heutigen und kommenden Herausforderungen vorzubereiten und sich anzupassen.

Die begrüßenswerten Fortschritte für den Klimaschutz auf EU-Ebene drohen in Deutschland dadurch zunichte gemacht zu werden, dass mehr Gas und Kohle aus Ländern des globalen Südens importiert werden, und sogar direkt in die Förderung dieser Rohstoffe investiert wird. Dies ist verheerend für Klima, Mensch und Natur ‑ bei uns und in den Exportländern. Zudem erschweren die vielen Pressebilder des Kanzlers zu neuen Gas-Deals die Arbeit vieler Partnerorganisationen von Misereor, vor allem in Afrika, ihre Regierungen für eine dezentrale, verlässliche und saubere Energieversorgung zu gewinnen.

Die Synthese der Berichtsreihe macht deutlich: Es gibt zu viel zu verlieren, darunter die Heimat für hunderte Millionen von Menschen, die ohne ambitionierten Klimaschutz neue Wohnorte finden müssten. Es gibt aber auch viel zu gewinnen, wenn wir endlich die Bekämpfung der Klimakrise und das Abfedern ihrer Folgen priorisieren: bessere Luft, intakte Wälder, den Schutz der Biodiversität und mehr Gerechtigkeit auf einem begrenzten Planeten.“

Anika Schroeder ist Klimaexpertin bei Misereor.

Sabine Minninger ist Referentin für Klimapolitik bei Brot für die Welt.

Die Hauptaussagen aus der Zusammenfassung für die politische Entscheidungsfindung im Synthesebericht zum Sechsten IPCC-Sachstandsbericht (AR6) des IPCC stehen über diesen Link zum Download als PDF bereit.
Der Synthesebericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen (IPCC) im Rahmen des sechsten Bewertungszyklus wurde am 20. März 2023 veröffentlicht, nachdem vom 13. bis 19. März 2023 eine Abstimmungssitzung mit den Regierungen stattgefunden hat. Der Bericht sammelt und destilliert wissenschaftliche Belege aus den Berichten und Sonderberichten der IPCC-Arbeitsgruppen, die zwischen 2018-2022 veröffentlicht wurden. Es wird der letzte derartige Bericht des IPCC in diesem Zyklus sein, bis weitere Berichte im nächsten Bewertungszyklus veröffentlicht werden.