Investing in Climate Chaos 2024: 4,3 Billionen US-Dollar für fossile Industrien

 

Die Ausgabe 2024 der Finanzrecherche „Investing in Climate Chaos“ von urgewald zusammen mit 17 Partnerorganisationen legt die fossilen Geldanlagen von über 7.500 Institutionellen Investoren weltweit offen. US-Investoren halten zusammen 65 Prozent der gesamten institutionellen Investitionen in Unternehmen der fossilen Industrie. An erster Stelle steht der Vermögensverwalter Vanguard mit Kohle-, Öl- und Gasanlagen in Höhe von 413 Milliarden US-Dollar, an zweiter Stelle steht der weltweit größte Vermögensverwalter BlackRock mit Investitionen in fossile Sektoren in Höhe von 400 Milliarden US-Dollar.

(Berlin, 9. Juli 2024) Heute hat urgewald gemeinsam mit 17 Partnerorganisationen die diesjährige Ausgabe der Finanzrecherche „Investing in Climate Chaos“ veröffentlicht. Sie legt die fossilen Geldanlagen von über 7.500 Institutionellen Investoren weltweit offen. Die Finanzdaten wurden im Mai 2024 erhoben und belegen, dass diese Investoren derzeit mit 4,3 Billionen US-Dollar in Anleihen und Aktien von Unternehmen investiert sind, die in fossilen Industrien aktiv sind. Diese Anlagen werden von Pensionsfonds, Versicherern, Vermögensverwaltern, Hedgefonds, Staatsfonds, Stiftungsfonds oder Vermögensverwaltungstöchtern von Geschäftsbanken gehalten.

Die Recherche umfasst die Beteiligungen Institutioneller Investoren an Unternehmen, die auf der Global Coal Exit List (GCEL) und der Global Oil & Gas Exit List (GOGEL) von urgewald aufgeführt sind. GCEL und GOGEL sind öffentliche Datenbanken, die detaillierte Informationen über mehr als 2.900 Unternehmen aus den Industrien Kohle, Öl und Gas enthalten. 2.048 dieser Unternehmen erkunden oder erschließen neue fossile Vorkommen oder planen den Bau neuer Infrastruktur für fossile Brennstoffe wie Pipelines, LNG-Terminals oder kohle- und gasbefeuerte Kraftwerke. Die vorliegende Recherche zeigt: Fast 4 Billionen US-Dollar der erfassten institutionellen Investitionen entfallen auf Unternehmen, die fossil expandieren.

Die Klimawissenschaft warnt seit langem, dass ein rascher Ausstieg aus fossilen Brennstoffen unsere einzige Hoffnung ist, Kipppunkte zu vermeiden, die zu einer unkontrollierbaren Verschärfung der Klimakrise führen. Katrin Ganswindt, Leiterin der Finanzrecherche bei urgewald, sagt: „Wenn Institutionelle Anleger weiterhin expandierende Kohle-, Öl- und Gasunternehmen unterstützen, ist der rechtzeitige Ausstieg aus fossilen Brennstoffen unmöglich. Die Investoren müssen dem fatalen fossilen Ausbau sofort einen Riegel vorschieben.“

Während der UN-Klimagipfel 2021 in Glasgow mit einem Beschluss zum schrittweisen Ausstieg aus der Kohle endete, halten 5.260 Institutionelle Investoren weiterhin Anleihen und Aktien von Kohleunternehmen. „Viele dieser Investoren geben an, sich bei den Unternehmen für mehr Klimaschutz einzusetzen, aber ihre Bemühungen haben kaum Effekt. Über 95 Prozent der Kohleunternehmen haben kein Datum für ihren Kohleausstieg festgelegt und 40 Prozent planen immer noch die Entwicklung neuer Kohleanlagen. Investitionen in diese Unternehmen blockieren die Energiewende“, sagt Ganswindt.

Auf dem vergangenen Klimagipfel in Dubai einigte sich die internationale Gemeinschaft auf eine Abkehr von fossilen Brennstoffen, doch 96 Prozent der Öl- und Gasproduzenten erkunden und erschließen noch immer neue Öl- und Gasreserven. Und damit nicht genug, hat die Branche auch ihre jährlichen Investitionen für die Öl- und Gasexploration seit 2021 um mehr als 30 Prozent erhöht. „7.245 Institutionelle Investoren fesseln uns an eine CO2-intensive Zukunft, indem sie in eine expandierende Öl- und Gasindustrie investieren“, kritisiert Ganswindt.

Weltweite Verteilung der fossilen Investitionen

Investoren und Vermögensverwalter aus 10 Ländern sind für 91 Prozent der Institutionellen Investitionen in fossile Industrien verantwortlich: die USA, Kanada, Japan, Großbritannien, Indien, China, Norwegen, die Schweiz, Frankreich und Deutschland.

Die vier weltweit größten Institutionellen Investoren in fossilen Industrien haben alle ihren Sitz in den USA:

  • An erster Stelle steht der Vermögensverwalter Vanguard mit Kohle-, Öl- und Gasanlagen in Höhe von 413 Milliarden US-Dollar. Vanguard weigert sich standhaft, seine fossilen Geschäfte zu beschränken und wehrt sich in den Unternehmen, deren Anteile er besitzt, konsequent gegen Beschlüsse für mehr Klimaschutz.
  • An zweiter Stelle steht der weltweit größte Vermögensverwalter BlackRock mit Investitionen in fossile Sektoren in Höhe von 400 Milliarden US-Dollar.
  • Der drittgrößte Investor in fossile Industrien ist State Street mit 171 Milliarden US-Dollar.
  • Dicht gefolgt von der Capital Group mit 165 Milliarden US-Dollar. Zusammengenommen halten allein diese 4 US-Vermögensverwalter Geldanlagen in Kohle-, Öl- und Gasunternehmen in Höhe von 1,1 Billionen US-Dollar.

USA

Als größter Kapitalmarkt der Welt sind die USA der Elefant im Raum. Institutionelle US-Investoren halten zusammen 2,8 Billionen US-Dollar an fossilen Unternehmen in 62 Ländern und stehen für 65 Prozent der gesamten institutionellen Investitionen in Unternehmen dieser Industrien. „Dies zeigt, dass US-Regulierungsbehörden es bisher versäumen, die Klima- und Transformationsrisiken großer Institutioneller Anleger wirksam zu überwachen und anzugehen. Diese Untätigkeit legt den Grundstein für die nächste Wirtschaftskrise und führt die Welt weiter in Richtung Klimachaos“, sagt Alec Connon von der Kampagne Stop the Money Pipeline.

89 Prozent beziehungsweise 2,5 Billionen US-Dollar der fossilen Anlagen von Institutionellen Investoren aus den USA entfallen auf Öl- und Gasunternehmen. Diese Investitionen sind zwar über die ganze Welt verteilt, doch die größten Nutznießer sind Öl- und Gasunternehmen, die ebenfalls ihren Sitz in den USA haben, wie ExxonMobil, Chevron und Conoco-Phillips. Allein die institutionellen US-Investitionen in ExxonMobil belaufen sich auf 288 Milliarden US-Dollar oder 10 Prozent der gesamten US-Investitionen in Öl- und Gasunternehmen. Dementsprechend sind die fünf größten Institutionellen Anleger von ExxonMobil:

  • Vanguard (53 Milliarden USD),
  • BlackRock (37 Milliarden USD),
  • State Street (26 MilliardenUSD),
  • Fidelity Investments (17 Milliarden USD) und
  • JPMorgan Chase (11 Milliarden USD).

ExxonMobil förderte im Jahr 2022 1,6 Milliarden Barrel Öläquivalent, was das Unternehmen zum fünftgrößten Öl- und Gasproduzenten der Welt macht. Und zu allem Überfluss gibt das Unternehmen jedes Jahr rund 1,4 Milliarden US-Dollar für die Suche nach neuen Öl- und Gasvorkommen in 37 Ländern aus. ExxonMobil gibt nicht einmal vor, einen Transformationsplan zu haben und verteidigt sein einspuriges fossiles Geschäftsmodell mit allen Mitteln.

Vor kurzem reichte ExxonMobil eine Klage gegen den US-Vermögensverwalter Arjuna Capital und die niederländische aktivistische Aktionärsgruppe Follow This ein. Deren „Verbrechen“ war, wiederholt eine gemeinsame Klimaresolution einzureichen, in der das Unternehmen aufgefordert wurde, seine Pläne zur Emissionsreduzierung zu beschleunigen. Obwohl sowohl Arjuna Capital als auch Follow This ihren Antrag im Februar dieses Jahres zurückzogen, hielt ExxonMobil seine Klage aufrecht. Sie wurde schließlich im vergangenen Monat von einem US-Richter abgewiesen. In der Zwischenzeit stimmten 95 Prozent der ExxonMobil-Aktionäre auf der Hauptversammlung 2024 für die Vorstände des Unternehmens.

Europa

Institutionelle Investoren aus Europa halten zusammen 554 Milliarden US-Dollar an Aktien und Anleihen von fossilen Unternehmen und machen damit fast 13 Prozent der gesamten institutionellen Investitionen in fossile Brennstoffe aus. Der größte europäische Investor in fossile Brennstoffe ist Norwegens Government Pension Fund Global (GPFG) mit Investitionen von über 70 Milliarden US-Dollar in Unternehmen, die auf den Datenbanken GCEL und GOGEL gelistet sind. Vor neun Jahren war der GPFG einer der ersten Großinvestoren, der einen weiten Schritt aus der Kohle raus machte. Heute liegt er weit hinter vielen seiner europäischen Wettbewerber zurück, die weitaus strengere Maßnahmen ergriffen und Ausstiegsdaten für ihre Kohleinvestitionen festgelegt haben.

Der GPFG ist der 16.-größte Institutionelle Investor weltweit im Bereich Kohle und der 7.-größte im Öl- und Gassektor. Seine größte fossile Einzelinvestition von über 6 Milliarden US-Dollar ist der Ölkonzern Shell. Trotz eines bahnbrechenden Gerichtsurteils, das Shell dazu verpflichtete, seine Treibhausgasemissionen bis 2030 um 45 Prozent zu reduzieren, sucht das Unternehmen weiterhin in 40 Ländern weltweit nach neuen Öl- und Gasreserven.

Die nächstgrößeren Institutionellen Investoren in fossile Brennstoffe aus Europa sind die Schweizer Bank UBS (45 Milliarden USD), LGIM aus Großbritannien (32 Milliarden USD), die französische Crédit Agricole mit ihrem Vermögensverwalter Amundi (31 Milliarden USD), die Deutsche Bank mit ihrem Vermögensverwalter DWS (25 Milliarden USD) und der deutsche Versicherer Allianz (24 Milliarden USD). Während die Allianz eine vergleichsweise strenge Ausschlussrichtlinie für Kohle eingeführt und erste Schritte zum Ausstieg aus Öl- und Gasgeschäften gemacht hat, gelten diese Regeln nicht für ihren in den USA ansässigen Vermögensverwalter PIMCO, der den größten Teil der Allianz-Investitionen in fossile Brennstoffe verwaltet.

Eine Billionenschwere Flutwelle oder ein Wendepunkt?

Nach Angaben der London Stock Exchange Group stehen in den kommenden Jahren rund 3,2 Billionen US-Dollar an ausstehenden Schulden von emissionsintensiven Unternehmen zur Refinanzierung an. Die Frage ist, ob Institutionelle Anleger weiterhin Anleihen von Unternehmen wie Saudi Aramco, ExxonMobil oder TotalEnergies aufkaufen werden, deren Geschäftsmodell auf der Überhitzung des Planeten beruht. Oder werden Pensionsfonds, Versicherer und Vermögensverwalter erkennen, dass diese Investitionen zu mehr Hitzewellen, mehr schweren Überschwemmungen, mehr Klimakatastrophen führen werden – und deshalb nicht verantwortbar sind?

2024 ist das Jahr der Klimafinanzierung. Sie war das wichtigste Thema auf den UN-Klimaverhandlungen in Bonn im Juni und wird auch Top-Thema auf der Klimakonferenz in Baku im November dieses Jahres sein. Aber die Klimafinanzierung bleibt ein Rinnsal im Vergleich zu der Flutwelle von Billionen, die Institutionelle Investoren in den kommenden Jahren in die fossilen Industrien leiten könnten.

Ganswindt sagt: „2024 muss der Wendepunkt sein, das Jahr, in dem die Zentralbanken und Regulierungsbehörden endlich auf Artikel 2.1(c) des Pariser Klimaabkommens reagieren und Maßnahmen ergreifen, um Finanzströme in Einklang mit den Paris-Zielen zu bringen. Institutionelle Investoren müssen endlich beginnen ihre Billionen umzuschichten in Richtung Energiewende.“

Katrin Ganswindt ist Leiterin der Finanzrecherche bei urgewald.