Mobilitätsatlas: Lebenswerte Städte, gut vernetzte Regionen – die Mobilität von morgen braucht eine Verkehrswende heute

 

Mobilität für alle Menschen zu ermöglichen, ohne die Umwelt zu zerstören, braucht überzeugende Konzepte, politischen Willen und die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger. In ländlichen Räumen müssen die Alternativen zum Auto teilweise erst geschaffen werden; ein moderner, gut vernetzter und flexibler ÖPNV muss gerade in infrastrukturschwachen Regionen gezielt politisch gefördert werden: eine Mammutaufgabe, die Bund, Länder und Kommunen dringend angehen müssen. Preise im Verkehr spiegeln nicht die ökologische Wahrheit wider: Flug- und Straßenverkehr profitieren von klimaschädlichen Steuerprivilegien und Subventionen in Milliardenhöhe; wer bei Wind und Wetter nur Fahrrad fährt, muss für die Umweltschäden, die andere verursachen, mitbezahlen.



 

(Berlin, 5. November 2019) Mobilität für alle Menschen zu ermöglichen, ohne die Umwelt zu zerstören, das ist in Zeiten der Klimakrise eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Damit die Verkehrswende gelingt, braucht es überzeugende Konzepte, politischen Willen und die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger. Der Mobilitätsatlas befasst sich mit den zentralen Handlungsfeldern für die Verkehrswende wie alternative Antriebe, Stärkung des ÖPNV und Vernetzung von Verkehrsträgern. Der Mobilitätsatlas ist eine gemeinsame Publikation der Heinrich-Böll-Stiftung und des ökologischen Verkehrsclub VCD. Er wurde heute in Berlin präsentiert.

Dr. Ellen Ueberschär, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, erläuterte bei der Vorstellung: „Ein Fünftel der Treibhausgasemissionen in Deutschland kommt aus dem Verkehrssektor, davon 96 Prozent aus dem Straßenverkehr. Wir brauchen eine Verkehrswende! Für besseren Klimaschutz benötigen wir einen Mix aus klimafreundlichen Technologien und Infrastrukturen und geändertem Nutzungsverhalten. Hierfür muss die Politik Anreize setzen. Moderne Städte setzen schon heute auf ein intelligent vernetztes öffentliches Verkehrsangebot. Damit die Menschen das gerne und mehr nutzen, muss die Kapazität erhöht und die Qualität verbessert werden. Die klassischen Beförderer, Bus und Bahn, werden nutzungsfreundlicher, wenn sie einfach kombinierbar sind mit Sharing- und Pooling-Fahrzeugen ‑ oder mit dem guten alten Fahrrad. Zur Wahrheit gehört aber auch: Wir müssen den Autoverkehr reduzieren ‑ mit klugem Ordnungsrecht und klaren Preissignalen. Städte müssen lebenswert und nicht nur autogerecht sein.“

Autos nehmen unverhältnismäßig viel Fläche in den Städten ein. Das benachteiligt andere Verkehrsformen und beeinträchtigt die Lebensqualität im öffentlichen Raum. Wo heute Autos parken oder fahren, können Grünanlagen, Spielplätze und Treffpunkte entstehen. Lebenswerte Städte benötigen öffentliche Räume, wo sich Menschen begegnen und gerne aufhalten.

Kerstin Haarmann, die Bundesvorsitzende des VCD, ergänzte: „Wir müssen unsere Straßen zurückerobern. Dass jeder ein eigenes, oft viel zu großes Auto besitzt, das mehr als 23 Stunden am Tag rumsteht und wertvollen Raum blockiert, macht ökologisch wie ökonomisch keinen Sinn. Wir brauchen mehr und sichere Rad- und Fußwege, den Umstieg auf kleine Elektroautos, am besten im Sharing-Betrieb, und einen starken ÖPNV. Multimodale Handy-Apps können einfach und übersichtlich verschiedene Mobilitätsangebote für eine bestimmte Wegstrecke anzeigen, die digital gebucht und abgerechnet werden. So sähe eine moderne, umweltschonende und bezahlbare Mobilität für alle aus.“

In ländlichen Räumen ist die Situation weitaus schwieriger: Hier geht ohne Auto oftmals nichts. Im kleinstädtischen oder dörflichen Raum ist die Zahl der Autobesitzer höher als im Bundesdurchschnitt. Für bis zu 70 Prozent aller Wege wird hier ein Kraftfahrzeug genutzt und damit deutlich häufiger als in Großstädten.

Dr. Ellen Ueberschär betonte: „Gerade in ländlichen Räumen müssen die Alternativen zum Auto gestärkt und zum Teil auch erst geschaffen werden. Wer kein Auto benutzen möchte oder kann, braucht zur Grundversorgung bessere Verbindungen mit Bus und Bahn sowie umweltfreundliche Mitfahrangebote. Ein moderner, gut vernetzter und flexibler ÖPNV muss gerade in infrastrukturschwachen Regionen gezielt politisch gefördert werden. Das ist eine Mammutaufgabe, die Bund, Länder und Kommunen dringend angehen müssen. Gleichzeitig müssen die Bedingungen für Elektromobilität verbessert werden. Neben zielgerichteten Investitionen für den Ausbau öffentlich zugänglicher Ladesäulen braucht es eine bessere politische Koordination.“

Dr. Ellen Ueberschär ist Vorstand der Heinrich Böll Stiftung.

Kerstin Haarmann verwies darauf, dass die Folgekosten des Verkehrs für Mensch und Umwelt in keiner Rechnung auftauchten, sondern von der Allgemeinheit getragen werden: „Drei Viertel aller Bürger fühlen sich in ihrem Wohnumfeld von Lärm belästigt. Lärm und Abgase können krank machen und führen zu tausenden von vorzeitigen Todesfällen. Die Preise im Verkehr spiegeln nicht die ökologische Wahrheit wider. Das Verursacherprinzip wird missachtet. Der geplante CO2-Preis ist viel zu niedrig. Flug- und Straßenverkehr profitieren zudem von klimaschädlichen Steuerprivilegien und Subventionen in Milliardenhöhe. Aber auch wer bei Wind und Wetter nur Fahrrad fährt, muss für die Umweltschäden, die andere verursachen, mitbezahlen. Das ist ungerecht.“

Die Heinrich-Böll-Stiftung und der ökologische Verkehrsclub VCD fordern von der Politik deshalb, das Klimapaket nachzuschärfen und einen höheren CO2-Preis anzusetzen, damit die Wende für die Mobilität von morgen heute schon beginnt.

Der Mobilitätsatlas der Heinrich-Böll-Stiftung und des VCD bietet fundiertes Wissen über die Hintergründe und Auswirkungen des aktuellen Verkehrssystems. Er richtet sich an ein breites Publikum, ist verständlich geschrieben und enthält viele Infografiken, die auch einzeln heruntergeladen werden können.