Ohne Finanzwende stößt Sustainable Finance schnell an Grenzen

 

Reicht es zur Erreichung der Klima- und Nachhaltigkeitsziele aus, die Finanzmärkte mit ihren jetzigen Regeln und Schlupflöchern einfach neuen, grünen Regeln zu unterwerfen? Finanzwende Recherche kommt zu dem Schluss: Nein, solange umweltschädliche Projekte rentabel sind, werden sie auch finanziert werden, und solange die Finanzmärkte auf kurzfristiges Rendite getrimmt sind, werden langfristige Probleme kaum eine Rolle spielen. Es ist unstrittig, dass die Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise enormer Investitionen bedarf, doch das Kapital ist da.



(Berlin, 5. Mai 2022) Vor genau einem Jahr veröffentlichte die Bundesregierung ihre Sustainable Finance-Strategie. Umgesetzt hat sie sie nicht mehr. Die Ampel-Regierung hat bisher noch keine neue Strategie vorgelegt. Nachhaltige Geldanlagen und die Begriffe „Sustainable Finance“ boomen derweil weiter.

Immer größere Mengen von Finanzkapital fließen in “nachhaltige” Kapitalanlagen. In Deutschland liegen bereits über 580 Milliarden Euro in Fonds, die mit Nachhaltigkeit werben, und mehr als jeder sechste Euro, der neu angelegt wird, fließt in solche Anlageprodukte.1Neue europäische und nationale Regeln sollen den nachhaltigen Umbau der Finanzmärkte unterstützen und leiten. Mit der Begrünung des Finanzsystems sind große Hoffnungen verbunden. Das Umlenken von Kapital, unterstützt durch grüne Finanzmarktregeln, soll zum Erfüllen des Pariser Klimaabkommens beitragen. So argumentierte auch die EU-Kommission in ihrer Sustainable Finance Strategie zur Finanzierung einer nachhaltigen Wirtschaft. Laut Olaf Scholz kann “der Finanzmarkt […] Billionen von Euro in Richtung Klimaschutz und Nachhaltigkeit bewegen”. Der Chef des größten Vermögensverwalters BlackRock, Larry Fink, sieht in der Umstellung des Finanzsektors nach ESG-Kriterien sogar eine “tektonische Verschiebung” für die Transformation.

Doch wie wirksam ist Sustainable Finance wirklich? Und würde es zum Beispiel zur Erreichung der Klima- und Nachhaltigkeitsziele ausreichen, die Finanzmärkte mit ihren jetzigen Regeln und Schlupflöchern einfach neuen, grünen Regeln zu unterwerfen? Genau dieser Thematik hat sich ein neuer Bericht von Finanzwende Recherche angenommen: „Die Grenzen von Sustainable Finance ‑ Wie das Finanzsystem zu einem stärkeren Hebel für eine nachhaltige Wirtschaft werden kann“. Der Bericht zeigt die Grenzen von Sustainable Finance, wie es heute häufig verstanden wird, deutlich auf.

Zunächst legt Finanzwende Recherche dar, dass viele Sustainable Finance-Maßnahmen halbherzig seien. Die Taxonomie der Europäischen Union, welche nach aktuellen Planungen Atom und fossiles Gas als nachhaltig einstuft, ist dabei nur ein aktuelles Beispiel. In der Folge macht der Bericht dann auch deutlich, dass ohne strukturelle Reformen der Finanzmärkte und der Wirtschaft Sustainable Finance kaum Einfluss entfalten kann. Denn die grundlegenden Defizite des Finanzsystems könnten grünere Finanzmarktregeln nicht ausgleichen. So lange umweltschädliche Projekte rentabel sind, würden sie finanziert werden. Und so lange die Finanzmärkte auf kurzfristiges Rendite getrimmt sind, würden langfristige Probleme kaum eine Rolle spielen. Magdalena Senn, Referentin für nachhaltige Finanzmärkte von Finanzwende Recherche erklärt: „Wir müssen an die Struktur der Finanzmärkte ran, damit diese Hebel für eine nachhaltigere Wirtschaft sein können.“

Die Veröffentlichung steht im Kontrast zu vielen Ansätzen, die allein in einem „Ergrünen“ der Finanzmärkte eine große Chance sehen. Magdalena Senn stellt dazu fest: „Allzu oft wird Sustainable Finance als Allheilsbringer angesehen. Damit Sustainable Finance aber deutlichen Einfluss entfaltet, braucht es andere Rahmenbedingungen und weitergehende Reformen der Finanzmärkte. Die grünen Regeln, die derzeit im Raum stehen, sind deutlich zu wenig.“ Mit der Veröffentlichung hofft Finanzwende Recherche eine kritischere Auseinandersetzung mit Sustainable Finance und den bestehenden Strukturen der Finanzmärkte anzuregen. Zudem schlägt Finanzwende Recherche konkrete Maßnahmen vor, die ergriffen werden könnten. Dazu zählen eine strenge europäische Klassifizierung von Nachhaltigkeit ohne Atomkraft und Erdgas und Eigenkapitalaufschläge für fossile Risiken in den Bilanzen der Banken.

Es ist unstrittig, dass die Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise enormer Investitionen bedarf: So werden Investitionen in Höhe von 275 Billionen US-Dollar benötigt, um bis zum Jahr 2050 weltweit Klimaneutralität zu erreichen. Die tatsächlich zusätzlich benötigten Investitionen pro Jahr entsprechen etwa einer Billion US-Dollar (etwa 1,18 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts 2020). Angesichts dieser Größenordnung mag der Eindruck entstehen, dass diese Summen kaum finanzierbar sind. Doch das Kapital ist da. Gerade die vorherrschende Kapitalschwemme sollte die Finanzierung der benötigten Investitionen begünstigen.

Magdalena Senn ist Referentin für nachhaltige Finanzmärkte bei Finanzwende Recherche.

Der Bericht „Die Grenzen von Sustainable Finance – Wie das Finanzsystem zu einem stärkeren Hebel für eine nachhaltige Wirtschaft werden kann“ steht über diesen Link zum Download als PDF bereit.