Frau von der Leyen auf Kurs in eine Form von Autoritarismus?

Die Kolumne von Hans-Jochen Luhmann (Juli 2025)

Autoritarismus ist, wenn die bestehenden kooperativen Strukturen der staatlichen Beschlussfassung abgelöst werden durch Formen, in denen die Spitze weitgehend durchregiert. Das Argument dafür lautet regelmäßig: Es herrscht Not! Wir können uns angesichts der Sicherheitsherausforderung die Zeit für langwierige Verfahren, die mit den kooperativen Formen föderaler Strukturen verbunden sind, nicht leisten; bestehende Veto-Rechte erst recht nicht.

Mit dieser Definition des praktizierten Autoritarismus ziele ich selbstverständlich nicht allein auf die Praktiken des gegenwärtigen US-Präsidenten Donald Trump, auch nicht nur auf die seiner historischen Vorläufer. Das Muster der Zentralstaatstendenz wird gegenwärtig in Europa abgekupfert. Und offensichtlich wird damit einem weit verbreiteten Bedürfnis im Volk entsprochen.

Dennoch lohnt es, die Vorgehensweise von Präsident Trump als Muster zu studieren. Zur Rechtfertigung seiner Aktionen zieht er regelmäßig Gesetzestexte aus alten Zeiten heran, in denen eine sicherheitliche Situation zur Formulierung einer Ausnahmeregelung aufgenommen worden war, auf die er sich in der Gegenwart bezieht. In den USA wurde dem zudem noch dadurch die Bahn geebnet, dass der Präsident vom Supreme Court pauschal Straffreiheit bei der Amtsausübung zugesichert erhielt. Deswegen zieht dieser sämtliche Grundentscheidungen an sich. Die Amtsträger seiner Administration können dann, risikofrei, lediglich ausführen, was seine Anordnungen vorgeben, die für ihn risikofrei gestellt worden sind.

1.      Von der Leyens “Autoritarismus” – strukturell und historisch eingeordnet

Anlass für die Kehre der Spitze der EU-Kommission in den Autoritarismus ist das Zerbrechen der Sicherheitsordnung in Europa, manifestiert im Ukraine-Krieg und dem weitreichenden militärischen Abschied der USA von Europa. Damit verbunden ist für Europa eine sicherheitliche Großherausforderung. Der (drohende) Krieg gibt, wie regelmäßig in der Geschichte, Anlass für revolutionäre institutionelle Änderungen beziehungsweise Fortschritte.

Regelmäßig ist es die Kopf-Institution eines föderalen Gebildes, welche die Gunst der Stunde nutzt, um sich Befugnisse anzueignen, die bislang bei der unteren Ebene lagen, die sie tragen – hier die EU-Mitgliedstaaten. Auch das Deutsche Reich hat sich als Kopfebene erst allmählich herausgekämpft aus der Dominanz der deutschen Staaten, die es gegründet hatten und es selbstverständlichlich zu dominieren beabsichtigten. Institutionell galt 1871 wie 1949: Die Gliedstaaten existierten vor dem Zentralstaat. Sie waren es, die ihn schufen. Also prägte ihre Vetomacht dessen Kompetenzen. Doch normativ-kulturell herrschte schon im Kaiserreich und erst recht in der Bundesrepublik seitens der Bürger eine unitarische Orientierung. Das Ergebnis war eine Konzentration von Regelungskompetenzen beim Bund, der durch Vetopositionen der Länder gebunden blieb.

Im aktuellen Fall der Usurpationstendenz seitens der EU-Kommission ist treibende Kraft eine Regierung, ein Teil der Institutionen der Kopfebene lediglich. Es geht nicht allein zu Lasten der Mitgliedstaaten, die in Form des Europäischen Rates auf der Kopfebene vertreten sind – das wäre historisch gesehen der Normalfall. Hier gibt es eine Besonderheit: Es geht auch zu Lasten der Co-Legislative auf gleicher Ebene des Systems, des Europäischen Parlaments. Dieses Charakteristikums wegen handelt es sich nicht lediglich um einen Konflikt zwischen Ebenen der föderalen Struktur. Die wertende Benennung „Autoritarismus“ scheint deswegen in diesem besonders gelagerten Fall angemessen.

Konkret sind es zwei Vorgänge, die mich veranlasst haben, darin eine Tendenz zu erkennen, die historisch eh nahe liegt.

2.      Das SAFE-Kreditprogramm

Der erste Vorgang hört auf den Namen SAFE ‑ für Security Action for Europe (SAFE) Instrument. Es handelt sich um ein Kreditprogramm der Kommission in Höhe von 150 Milliarden Euro, das aufgelegt worden ist, um Mitgliedstaaten zu unterstützen, ihre zusätzlichen Aufwendungen zu Verteidigungszwecken auch finanzieren zu können. Die EU-Ebene kann sich günstig verschulden. Aus einem von ihr mit Hilfe des Kapitalmarktes zu füllenden Fonds bietet sie solchen Mitgliedstaaten Mittel an, die ihrer hohen Verschuldung wegen sonst nur die Option haben, sich noch weiter zu verschulden und das zu exorbitant hohen Zinsen zu tun.

Ziel von SAFE ist vor diesem Hintergrund Zweierlei:

  1. diesen Mitgliedstaaten zu ermöglichen, sich dem Ende Juni 2025 verabschiedeten NATO-Ziel von 5 Prozent, als Summe von mindestens 3,5 Prozent plus bis zu 1,5 Prozent wenigstens anzunähern;
  2. die Verteidigungsindustrie in Europa (+EFTA+Ukraine) dadurch zu unterstützen, dass ein Quorum von 65 Prozent  an Produktion in diesen europäischen Staaten zur Bedingung gemacht wird. Zugleich ist das Ziel offenkundig, sich in den Rüstungskapazitäten abzukoppeln von der weitgehenden Bindung an die USA.

Als rechtliche Basis für diese ihre Vorgehensweise zieht die Kommission Artikel 122 (2) des EU-Vertrags (TFEU) heran. Der gibt dem Europäischen Rat das Recht, der Kommission in speziellen Konstellationen Maßnahmen zu erlauben, für die keine Zustimmung des Europäischen Parlaments erforderlich ist. Gemeint wird sein, ohne dass das so formuliert ist, dass die Not derartig aktuell ist, dass schnell helfende Maßnahmen ergriffen werden müssen. Im Wortlaut ist die Bedingung dafür so formuliert:

Ist ein Mitgliedstaat aufgrund von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Ereignissen, die sich seiner Kontrolle entziehen, von Schwierigkeiten betroffen oder von gravierenden Schwierigkeiten ernstlich bedroht, …

Modellhaft gemeint waren anscheinend schwere Naturkatastrophen, wo Eile geboten ist und die Exekutiven, Kommission und Rat, alleine handeln können sollen.

Der Vorschlag der Kommission stammt vom 27. Mai 2025. Er wurde vom Europäischen Rat bestätigt, die EU-Parlamentspräsidentin hingegen hat Widerspruch eingelegt und will die Auslegungs-Frage gegebenenfalls vor den EuGH bringen.

3.      Beendigung sämtlicher Bezüge von Öl und Gas aus russischen Quellen

Am 17. Juni 2025 hat die EU-Kommission den Entwurf eines Gesetzes vorgelegt, welches den Import von Erdgas und Öl aus Russland schrittweise, endgültig auf Ende 2027, komplett verbietet. Das gilt auch für Lieferungen unter langfristig abgeschlossenen Verträgen, die über dieses Datum hinausreichen. Das Gesetz zwingt somit beim Gasbezug einerseits die Unternehmen zum Bruch bestehender privater Verträge, sie setzt diese den Kosten und Risiken der damit ausgelösten Schiedsgerichtsverfahren aus. Andererseits zwingt sie sie zum Wechsel hin zu in aller Regel kostspieligeren Bezugsoptionen. Von beidem, vom Wechsel in weit ungünstigere Bezugsbedingungen als auch zum Bruch günstiger Langfristverträge, sind Unternehmen in einigen wenigen Mitgliedstaaten in der EU (Slowakei; Ungarn) weit überproportional betroffen. Die Konsequenz war deshalb absehbar: Eine Beschlussfassung unter dem Titel „Sanktionen“, welche dem Einstimmigkeitsprinzip zu folgen hat, war deshalb im Sinne der Kommission aussichtslos. Ungarn und die Slowakei haben bei der Sitzung des Europäischen Rates am 26. Juni 2025 die Annahme des 18. Sanktionspaketes der EU mit Verweis auf diesen Vorgang, nicht aufgrund eines inhaltlichen Vorbehalts gegenüber dem Sanktionspaket, blockiert.

Um das bei Sanktionen erforderliche Einstimmigkeitsprinzip zu umgehen, unternimmt die Kommission einen Kunstgriff, um eine Mehrheitsentscheidung zu ermöglichen. Sie wechselt hin zu einer Rechtsgrundlage, die lediglich Mehrheitsrecht verlangt. Sie nutzt das Handelsrecht für ihre strategische Energiepolitik (Art. 207 TFEU), die eigentlich, nach Papierform, Sache der Mitgliedstaaten ist. Im Handelsrecht aber gilt Mehrheitsprinzip.

Um entscheiden zu können, ob die Kommission mit der Wahl einer anderen Rechtsgrundlage, welches ihr taktisch entgegenkommt, willkürlich oder sachgemäß (noch) handelt, muss man in die Begründung schauen und sie würdigen. Politisches Ziel des Ausstiegspaketes der Kommission sei, so die Begründung, Europas offene Energiemärkte vor Russlands autoritärer Bedrohung zu schützen. Im Begleitdokument zum Gesetzesentwurf wird selbstbewusst, wenn auch selbst etwas autoritär, verkündet:

Ein rechtliches Einfuhrverbot stellt einen souveränen Akt der Union dar, der die Fortsetzung der Verträge mit russischen Gaslieferanten rechtswidrig macht – ohne Ermessensspielraum für Mitgliedstaaten“.

Der Effekt einer Maßgabe solchen Inhalts kommt somit dem einer Sanktion gleich.

Ob ein vollständiger Importstopp für Gaslieferungenaus Russland auf dieser Rechtsgrundlage juristisch korrekt verhängt werden kann, bemisst sich an der Korrektheit, dem Zutreffen, der Begründung, welche die Kommission liefert. Das Hauptargument der Kommission lautet: Die „Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen“ bedrohe Europas Energiesicherheit – unterschiedslos für die Lieferungen von LNG und die von Pipeline-Gas.

Begrifflich ist der „Trick“ der Kommission, dass sie Lieferungen mit Abhängigkeit gleichsetzt. Nur so kann sie behaupten, vollständige Unabhängigkeit sei nur mit Null gelieferten Importen zu erreichen. Begründet wird die Gleichsetzung nicht. Die begriffliche Gleichsetzung ist sachlich auch schwerlich begründbar. Schließlich kann es immer mal vorkommen, dass eine Lieferquelle für eine gewisse Zeit gehindert ist zu liefern, dieses Phänomen tritt unabhängig von einer Intention auf; und mit ihm kann erfolgreich umgegangen werden.

Bei einem nicht-leitungsgebundenen Energieträger mit einem funktionierenden Weltmarkt, und das bei kleinen Mengen, ist die Gleichsetzung von „Abhängigkeit“ und „Importquote“ an den Haaren herbeigezogen. Es ist geradezu definierend für den funktionierenden Markt, dass ein Wechsel eines Lieferanten ständig und friktionsarm möglich ist. Das gilt für LNG und für Öl und Ölprodukte. Hinsichtlich des leitungsgebundenen Gasimports ist eine Abhängigkeit genau dann gegeben, wenn die Empfängerstaaten alternativlos auf eine Zufuhr aus Russland angewiesen wären. Mit ihrer wortkargen und ökonomisch unbegründeten Argumentation bewegt sich die Kommission auf dünnem Eis. Eine Nebenargumentation, das Narrativ für das Publikum, liegt auf dieser Linie. Es lautet: Man wolle verhindern, dass das Entgelt für die Gas- und Öllieferungen in die Kassen des Kremls fließe, der damit seinen Krieg in der Ukraine finanziere. Auch diese Erzählung stimmt bei einem funktionierenden Markt nicht. Bei dem, was die Kommission vorhat, wird es lediglich zu einer regionalen Verschiebung der Bezugsquellen kommen. Die russischen Unternehmen werden im Ergebnis ihr LNG und Öl in weitgehend unveränderten Mengen weiterhin auf dem Weltmarkt absetzen können, bei denjenigen Kunden, die von der zusätzlichen Nachfrage aus Europa auskonkurrenziert werden. Die Kassen des Kremls werden von der Verschiebe-Aktion der Europäer nichts merken. Der Einkommenseffekt für den Kreml wird in Wahrheit marginal sein. Die Kriegsführungsfähigkeit Russlands wird dadurch nicht tangiert – beim Pipeline-Gas ist es anders.

Hans-Jochen Luhmann, Mitglied der Studiengruppe „Frieden und Europäische Sicherheit“ der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW).

Es wird vom Lion Air Flug am Tag zuvor (28. Oktober 2018) berichtet, dass die Piloten mit demselben Problem zu kämpfen hatten, zufällig aber ein nicht-diensthabender erfahrener Pilot mit im Cockpit war und sagen konnte „Ich kenne das Problem, Ihr müsst den Hebel X drücken.“

Die Untersuchungen in Seattle haben inzwischen etwas weit Ärgeres herausgebracht: Für die gesamte 737-Serie wurde das Duplizitätsprinzip für die Computersteuerung an Bord zwar hardwareseite eingebaut – dann aber wurden die faktisch nicht sinngemäß laufen gelassen, also einer aktiv, éiner im Stand-by, um im Fall des Ausfalls übernehmen zu können. Die beiden Bordcomputer waren vielmehr so eingestellt, dass die pro Flug abwechselnd nur einzeln eingeschaltet wurden.

Vgl. dazu die folgende Meldung vom 6.6.14 (Interfax Ukraine):
<<Interior Minister Arsen Avakov has said. „I have decided that a hundred percent of combat and patrol units of the Interior Ministry will take part in the antiterrorism operation. This is not only a necessity but also a test of their proficiency, spirit and patriotism. The tempering of units with real threats and challenges is a factor of the creation of a new police force which will be trusted by the public,“ … Avakov reported that 21 officers of the Chernihiv special-purpose patrol battalion comprising volunteers refused to go on a patrol mission in Luhansk region. „The battalion was assigned a patrolling mission in Luhansk region the day before yesterday. Eighty-six men departed to the designated sector to do a man’s job and to accomplish a combat mission in the regime of antiterrorism patrols. Twenty-one persons refused to go and submitted their resignations… They were dismissed immediately,„>>