Der Sturm auf das Capitol: Wie erklärt das Pentagon 3,5 Stunden unterlassene Hilfeleistung?

 

Eigentlich ist alles ganz einfach. Washington D.C. ist als Territorium des Bundes aus der üblichen Ordnung in den Bundesstaaten herausgenommen, hier sorgt letztlich die Washingtoner Regierung für den Schutz der Regierungsinstitutionen, zumindest als „lender of last ressort“. Mittel dafür ist die spezielle Nationalgarde, die nicht wie in wirklichen Bundesstaaten der jeweiligen Regierung unterstellt ist, sondern dem Pentagon – und damit letztlich dem Oberbefehlshaber der Streitkräfte, also dem Präsidenten der USA.

Wenn man unterstellt, wie im zweiten Impeachment-Verfahren behauptet, dass der damalige Amtsinhaber die Absicht hatte und veranlasst hat, dass das Capitol besetzt wurde, dann muss man auch unterstellen, dass er in seiner Rolle als Oberbefehlshaber und somit Über-Chef des Pentagon auch dafür gesorgt haben wird, dass ein früher Einsatz von Verstärkungskräften unter dem Befehl des Pentagon dieses sein Vorhaben nicht konterkariert.

Direkter Befehlshaber dieser Verstärkungskräfte, der Nationalgarde, insbesondere deren Quick Reaction Force, war in der fraglichen Zeit Generalmajor William Walker. Der hatte bei einer Anhörung am 3. März 2021 im US-Congress Zweierlei erklärt:

  1. Mit einem Schreiben vom 5. Januar 2021 habe der Armee-Chef ihm die Kompetenz entzogen, die Quick Reaction Force selbständig einzusetzen.
  2. Am 6. Januar habe er um 13:49 h vom Chef der Capitols-Polizei einen Anruf mit der dringlichsten Bitte um sofortige Unterstützung erhalten, habe das umgehend nach oben weitergeleitet – und habe um 17:08 h – das sind drei Stunden und 19 Minuten später – die Freigabe, die von Pentagon-Chef Miller unterzeichnet war, vom Armee-Chef McCarthy, der Ebene dazwischen, erhalten.

Seitdem, seit zwei Monaten, darf das Publikum rätseln, was ders damalige Pentagon-Chef Christopher Miller sowie McCarthy fast dreieinhalb Stunden lang mit der dringenden Unterstützungsbitte gemacht haben. Sicherlich haben beide den Fernseher in ihren Büros nebenbei laufen gehabt. Und viele Telefongespräche geführt oder in Sitzungen sich beraten haben sie auch. Dass sie nicht einen falschen Eindruck, der an autoritative Staatsformen erinnert, dadurch erwecken wollten, dass sie Militär zum Capitol schicken, haben beide schon verlauten lassen – der Ironie in dieser ihrer entschuldigend gemeinten Aussage waren sie sich offenkundig nicht bewusst.

Nun, am 12. Mai 2021, mehr als zwei Monate später, wurde Miller vom Repräsentantenhaus vorgeladen, um den Zeitvertreib über dreieinhalb Stunden zu erklären. McCarthy hat noch nicht ausgesagt.

Millers Ausage zu seinem Zeitvertreib ab 13:30 h

Miller hat ein sehr umfangreiches Statement abgegeben, von insgesamt 12 Seiten. Er gab an, von dem erfolgreichen Eindringen in das Capitolsgebäude vor 13:30 h Kenntnis erhalten zu haben. Dennoch dauerte es bis um 14:30 h, dass er sich mit McCarthy und Generalstabschef Milley dazu besprach. Dann aber sei vom ihm um 15:04 h die Freigabe entschieden worden, kommuniziert von McCarthy, auch an General Walker, den Chef der Nationalgarde.

Das heisst, wenn man die Aussage von General Walker daneben hält: Die Freigabe muss mehr als zwei Stunden im Pentagon herumgeirrt sein. Dazu ist Miller massiv schmallippig. Seine Aussage dazu ist lediglich:

Um 17:22 h erreichten Mitglieder der Nationalgarde das Capitol und begannen die Polizeikräfte dort zu unterstützen. Diejenigen unter Ihnen mit militarischer Erfahrung … werden einsehen wie schnell unsere Reaktion war.

Wenn korrekt ist, was Miller hinsichtlich des Zeitpunkts der Ankunft der ersten Kräfte beim Capitol ausgesagt hat, und was General Walker sagte, wann er die Freigabe erhalten hat, dann gilt: Die Kräfte brauchten lediglich 14 Minuten von der Befehligung bis zum Beginn des Einsatzes.

Fragt sich also weiterhin: Was haben Miller und McCarthy gemacht, erst von 13:30 h bis 15:00 h; und dann von 15 h bis 17 h? Dass sie viel telefoniert haben, ist schon klar. Dass sie auch mit dem Weißen Haus telefoniert haben, hat Miller schon angegeben. Ob sie auch mit Trump, direkt oder – wahrscheinlich – indirekt telefoniert haben, ist die offene Frage.