Die fehlende rechtliche Legitimation der gezielten Tötung eines iranischen und eines irakischen Generals

 

Die Bundesregierung unterhält mit der „Stiftung Wissenschaft und Politik“ (SWP) ein außenpolitisches Beratungsinstitut, das Zugang zu internen Debatten der Bundesregierung hat und dem Grundrecht auf Freiheit der Wissenschaft unterliegt. Die Qualität der Beiträge aus diesem Haus ist überragend. Diese Institution, die von der Bundesregierung souverän an einer langen Leine gehalten wird, leistet einen wesentlichen Beitrag zu einer angemessenen Kultur der außenpolitischen Debatten in Deutschland.

Die „Stiftung Wissenschaft und Politik“ hat den Fall Soleimani zum Anlass genommen, sich Ende Januar 2020 mit einem Aufruf, einem Manifest, an die Öffentlichkeit zu wenden, dessen Adressat die Bundesregierung ist. Der Titel des Aufrufs: „Für eine Kultur völkerrechtlicher Rechtfertigung“. Daran lasse es die Bundesregierung, darf man schließen, mangeln. Der Anlass wird so beschrieben:

„… hat die Trump-Administration bislang kaum Anstrengungen unternommen, diese Operation juristisch plausibel zu begründen. Daran zeigt sich einmal mehr, dass völkerrechtliche Erwägungen für Präsident Donald Trump selbst bei derart wichtigen Entscheidungen keine Rolle spielen.

Diese Diagnose basiert faktisch auf der Lektüre des Schreibens, welches die USA am 8. Januar 2020 an den UN-Sicherheitsrat gerichtet haben. Das entspricht einer UN-rechtlichen Verpflichtung und hat den Sinn, eine grenzüberschreitende Gewaltanwendung angesichts der Verpflichtungen in Art. 51 UN-Charta zu begründen – diese Verpflichtung ist Ausdruck einer Kultur völkerrechtlicher Rechtfertigung, die den Autoren 1945 offenbar als Anliegen im Sinne war.

Das Schreiben der USA zeichnet sich dadurch aus, dass es bereits das Zitat der Schlüsselbegriffe aus Art. 51 UN-Charta weiträumig umgeht. So ist eine Legitimierung schon methodisch ausgeschlossen. Angesichts dessen, so der Vorschlag der SWP-Autoren, wird der Bundesregierung als Konsequenz nahegelegt:

Staaten, die wie Deutschland für eine starke regelbasierte internationale Ordnung eintreten, sollten sich daher umso mehr darum bemühen, dem Völkerrecht Geltung zu verschaffen. Dazu gehört auch, Zweifel an der Rechtmäßigkeit solcher Aktionen gegenüber den Verantwortlichen klar zu benennen, auch wenn es dadurch zu politischen Unstimmigkeiten kommt.

Das heißt die Bundesregierung solle vor dem Tatbestand des erneuten offenkundigen Rechtsverstoßes eines unserer zentralen Verbündeten in der NATO nicht erneut den Kopf in den Sand stecken – auf diesem Blog thematisiert wurde das zuletzt im Umgang mit der Türkei, nach ihrem Einmarsch in Afron am 20. Januar 2018. Die Türkei hatte danach einen ähnlich lapidaren Art. 51-Brief an den UN-Sicherheitsrat geschrieben, was einer führenden Völkerrechtlerin aus Deutschland zuweit ging, sodass sie sich entschloss, die offenkundige Diagnose des Rechtsverstoßes mit ihrem Namen zu verbinden. Seitdem hat der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages wie vom Fließband völkerrechtswidriges Verhalten in der grenzüberschreitenden Gewaltanwendung unserer Verbündeten diagnostiziert; also von Staaten, denen wir deshalb verbunden sind, weil ihnen angeblich  die „rule based order“ in gleicher Weise wie uns am Herzen liege.

Die Bundesregierung aber hat sich regelmäßig einem solchen Urteil verweigert. Selbst für Fälle grenzüberschreitender Gewaltausübung seitens unserer Verbündeten im G7-Rahmen, zu denen sie ihre explizite Zustimmung im Nachhinein gegeben hat, hat sie sich verweigert, die rechtliche Argumentation dazu zu liefern. Das ist der Typ des Verhaltens, welches die SWP-Autoren inkriminieren und sagen: Wenn Euch das Recht ernstlich am Herzen und nicht nur auf den Lippen liegt, dann beendet dieses Verhalten. Kehrt zurück zur Kultur, die in der UN-Charta gemeint war!

Anlass dafür, diesem Ansinnen zu folgen, hätten mündliche Anfragen an die Bundesregierung in der Debatte des Deutschen Bundestages vom 15. Januar geboten. Das Protokoll weist aus, dass es fünf Anfragen zur rechtlichen Beurteilung gegeben hat – die Bundesregierung hat die Antworten nur schriftlich nachreichen mögen. Und in allen Fällen war der Tenor ihrer Antwort (zu den Fragen 7 bis 11 in der Anlage, S.17412ff) gleich, er lautete:

Der gezielte Luftschlag der USA gegen Führungskräfte der iranischen Al-Quds-Brigade sowie von ihnen unterstützte Milizen in Irak ist nach Angabe der USA in Ausübung des völkerrechtlichen Selbstverteidigungsrechts gemäß Artikel 51 Charta der Vereinten Nationen erfolgt. Die Bundesregierung hat die entsprechende Erklärung der USA zur Kenntnis genommen.

Eine umfassende völkerrechtliche Bewertung des US-Vorbringens durch die Bundesregierung erfordert eine detaillierte Analyse der tatsächlichen Umstände. Untersucht werden müssen unter anderem bestehende, mit den Getöteten verbundene Anschlagsplanungen gegen US-Ziele. Die Bundesregierung verfügt jedoch nicht über diese Kenntnisse.

Das völkerrechtliche Selbstverteidigungsrecht gemäß Art. 51 UN-Charta ist die Übertragung des innerstaatlichen Notwehrrechts auf die Situation zwischenstaatlicher Gewaltanwendung. Wie beim Notwehrrecht ist entscheidend, die Anrufung dieser Ausnahmeregelung eng zu fassen – wird zugelassen, sie extensiv auszulegen, so geht das zu Lasten des Generellen, des Gewaltverbots zur Austragung von Konflikten. Zur Entscheidung steht im Falle der gezielten Tötungen vom 3. Januar 2020, ob eine lediglich (angeblich) „drohende“ Gewaltanwendung  seitens einer funktionierenden Organisation durch Entfernung, gegebenenfalls Tötung, hochrangiger Befehlshaber unterbunden werden könne.

Die Antwort lautet: Bei wirklichen, das sind gut aufgestellte und funktionierende, Organisationen ist das gleichsam qua definitionem nicht der Fall. Eine Anschlagsplanung, ein bewaffneter Angriff, für deren Durchführung von oben grünes Licht gegeben wurde, wird umso wahrscheinlicher im unwillkürlichen Sinne, also im Sinne einer automatischen Unterbrechung, unabhängig von einer Führungsperson durchgeführt, je höher diese in der Befehlskette situiert ist. (Willkürlich, im Sinne einer Macht zur Unterbrechung, zum Beispiel aufgrund einer Kollaboration mit dem Gegner in letzter Minute, ist es genau andersherum.) Eine „unmittelbare Bedrohung“ kann deswegen von hochrangigen Personen nicht ausgehen – es sei denn, eine solche Person sei – sinnwidriger Weise – selbst als Attentäter unterwegs; Stauffenberg wäre ein Beispiel für diese Ausnahme-Situation in Doppelfunktion. Dann aber wäre, so die lapidare Feststellung des SPD-Fraktionsvorsitzenden im Deutschen Bundestag Rolf Mützenich, eine Verhaftung durch das US-Militär, welche „offensichtlich noch nicht einmal erwogen“ worden sei, das verhältnismäßige Mittel. Über die Kapazitäten dazu verfügen die US-Streitkräfte in Bagdad.

Die Bundesregierung verweigert sich somit allen Vorgehensweisen, wie sie zu einem eigenen Urteil gelangen könnte. Sie will das offensichtliche Urteil nicht fällen, sie will den Verbündeten nicht mit ihrem Verdacht des Rechtsbruchs konfrontieren. Sie vermeidet das nur ausgewählten Staaten gegenüber – gegenüber entsprechender Gewaltanwendung anderer Staaten hingegen hegt sie diese Zurückhaltung beziehungsweise Hemmung nicht.

Die Bundesregierung stellt somit ihr Verständnis von Bündnissolidarität über ihre offene rechtliche Beurteilung. So trägt sie wesentlich dazu bei, der Glaubwürdigkeit der Begründung dieser Allianz, dass es um eine Wertegemeinschaft gehe, wo Recht an erster Stelle stehe, die Basis zu entziehen. Das gestörte Verhältnis der Bundesregierung zur Kultur völkerrechtlicher Rechtfertigung hat enorme (innenpolitische) Sprengkraft für den deutschen Beitrag zum Zusammenhalt des westlichen Bündnisses. Darüber scheint sich die Bundesregierung nicht im Klaren zu sein. Sonst würde sie diese Bombe, der Aufforderung durch die „Stiftung Wissenschaft und Politik“ gemäß, entschärfen, auch wenn sie dadurch absehbar den Sprengkörper „USA“ provozieren würde. Die Frage, die sich stellt, ist eben, was wichtiger ist: das Bündnis des „Westens“ im funktionalen Sinne oder das Bündnis mit den USA, also das „westliche“ faktische Bündnis, im geographisch vorfindlichen Sinne.

Der Bundespräsident hat in seiner Rede bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2020 einen Test gemacht, der für die Bundesregierung vielsagend sein mag. Nach einer vorbereitenden Ankündigung …

Da Sie mich kaum eingeladen haben werden, um … diplomatische Fäden weiterzuspinnen, … will ich darüber sprechen, wie sich diese Welt von Deutschland aus heute darstellt. … Diplomatie ist nicht mehr mein Kerngeschäft. So werden Sie mir meine deutlichen Worte hoffentlich nicht nur nachsehen, sondern sie womöglich sogar erwarten.

… folgte schließlich eine Passage, in der Russland, China und dann auch der eigene Verbündete, die USA, in etwa nach gleichem Maßstab, dem der Treue zum Völkerrecht, beurteilt wurden. Das ist ein Novum. Zitiert wird hier nur die Passage zu den USA.

Und unser engster Verbündeter, die Vereinigten Staaten von Amerika erteilen unter der jetzigen Regierung selbst der Idee einer internationalen Gemeinschaft eine Absage. … Es ist ja wahr: Das Völkerrecht schützt vor allem die Kleineren. … Sind das Recht und die Regeln also von überragender Bedeutung für die Kleinen, so sind sie für die Großen immer nur eine Option. Sie können auch anders bestehen.

Explizit ist das äußerst vorsichtig formuliert. Da steht nicht „Die USA werfen ihre Bindung an das Völkerrecht in den Wind.“ Steinmeier deutet nur an, was jedermann denkt: Für die USA ist die Bindung an das Völkerrecht eine Option, welche sie zunehmend, mit dem jetzigen Präsidenten im Extrem, auch an Explizitheit, verwerfen.

Am Tage darauf hat der Außenminister der USA, Mike Pompeo, diese Passage der Steinmeier-Rede aufgenommen:

…quote, that the United States “rejects the international community.” End of quote. I’m here this morning to tell you the facts. Those statements simply do not affect in any significant way or reflect reality.

Das Zitat ist übrigens manipuliert. Der Redetext Steinmeiers, auch in englisch zu Verfügung gestellt, weist die von Pompeo angezogene Stelle aus mit „rejects the very concept of an international community“. Steinmeier bezog sich auf Trumps Konzept – damit aber wollte sich der Außenminister der USA lieber nicht auseinandersetzen. Denn wenn er es täte, wäre der Ausgang klar. Weiter Pompeo, sein Kern-Argument:

Respect for sovereignty of nations is a secret of and central to our success. The West is winning. But now, more than 30 years since the fall of the wall, countries that don’t respect sovereignty still threaten us. Some nations still desire empire.

Das heißt die Reaktion des Hegemons USA auf Steinmeiers Vorhaltung ist schlicht dieselbe wie seit Jahrtausenden von Hegemonen formuliert: Wir wollen eigentlich schon, aber da sind leider immer noch die anderen mit bösen Intentionen – deswegen können wir einstweilen nicht so, wie wir eigentlich wollen. Pompeos Botschaft, im Titel seiner Rede formuliert, ist „The West is winning“ – und die Herrschaft des Rechts kann erst beginnen, wenn wir gewonnen haben – solange, bis dahin, muss die Herrschaft des Rechts abgewogen werden mit anderen Zielen, vor allem dem der Selbstverteidigung. Die Herrschaft des Rechts wird auf die Tage des Endsieges verschoben. Das ist politische Theologie, das ist die Taktik der Verschiebung der Heilserwartung. „Some nations still desire empire.“ ist zudem die Taktik des „Haltet den Dieb!“.